Sandra Braun und Karola Schulze pilgerten nach Santiago de Compostela / Am Montag Buchlesung in Kamern Jakobsweg: Wandern wie in einer Familie
Vier Wochen raus aus dem Alltag und sich beim Wandern auf dem Jakobsweg auf die kleinen Dinge des Lebens besinnen, Ruhe und auch zu sich selbst finden: Sandra Braun und Karola Schulze haben auf der Pilgerroute beste Erfahrungen gemacht und wollen anderen Mut machen, diesen Weg auch zu gehen.
Havelberg l Als Sandra Braun im Jahr 2009 mit Sohn und Tochter, damals 16 und 19 Jahre jung, schon einmal auf dem Jakobsweg pilgerte, war ihr klar, dass dies nicht das letzte Mal gewesen ist. Die Schönfelderin schwärmte von ihren Erlebnissen und fand in ihrer Arbeitskollegin Karola Schulze aus Kamern eine Mitstreiterin, die mit ihr den Weg zur Kathedrale im spanischen Santiago de Compostela gehen wollte. Beide arbeiten im Havelberger Krankenhaus. Dass die Krankenschwestern auf einer Station für vier Wochen gemeinsam Urlaub bekommen konnten, haben sie ihren Kollegen zu verdanken. "Sie machten uns das möglich, dafür ein großes Dankeschön", sind beide froh. Und auch die Familien mussten mitspielen, schließlich bestimmte der Jakobsweg die Urlaubsplanung für 2011, die Ehemänner blieben zu Hause.
"Bei 38 Grad und Sonne über die Pyrenäen hatten wir gleich einen harten Start."
Sandra Braun
Am 3. Oktober war es endlich so weit. Mit Radfahren, Wandertouren allein oder gemeinsam, Spanischkurs, Einlaufen der Wanderschuhe und der Wahl der richtigen Ausrüstung hatten sich beide intensiv auf den Jakobsweg vorbereitet. Von Berlin aus ging es mit dem Flieger nach Paris und von dort über Biarritz nach St. Jean Pied de Port - dem Startpunkt für ihre 420 Kilometer lange Strecke bis nach Santiago de Compostela.
Für die erste Etappe haben Sandra Braun und Karola Schulze gleich 26 Kilometer über die Pyrenäen bis nach Roncesvalles eingeplant. "Bei Sonne und 38 Grad Celsius war das ein harter Start, aber wir wurden mit einer herrlichen Landschaft belohnt", berichtet Sandra Braun. In zwölf Etappen schaffen sie rund 300 Kilometer und legen eine Pause ein. Von Burgos geht\'s mit dem Bus anschließend nach Leon, um Zeit zu sparen und die letzten 120 Kilometer wieder unter die Füße nehmen zu können. Ab Sarria wird\'s dann richtig voll, hier steigen viele Wanderer ein. Denn wer die begehrte Pilgerurkunde haben möchte, muss die letzten 100 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben (200 per Fahrrad). Am 24. Oktober ist dann für die beiden Frauen die Kathedrale in Santiago de Compostela das Ziel vom fünf Kilometer entfernten Monte de Gozo aus.
Bei 19 Grad und Nieselregen hätte das Wetter zwar besser sein können, "aber wir hatten großes Glück, die nach uns gelaufen sind, sind im Schnee stecken geblieben". Für den Besuch der Kathedrale nehmen sich die beiden Frauen richtig Zeit. Danach fahren sie noch mit dem Bus ans "Ende der Welt" nach Finesterra. Der am Atlantik gelegene Ort ist ebenfalls beliebtes Ziel vieler Pilger. "Wir wären die 100 Kilometer auch gern noch gelaufen, aber dazu reichte unsere Zeit nicht", erzählt Karola Schulze. Am 27. Oktober geht es zurück nach Deutschland.
Was beide erlebt haben, hat Sandra Braun in einem Buch festgehalten. Mit Hilfe von Stefanie Schulze und Silvana Dreusch ist das 170-Seiten starke Werk erschienen. Am Montag, 3. Dezember, wollen sie interessierte Zuhörer bei einer Lesung ab 19 Uhr im Gemeindesaal in der ehemaligen Schulküche in Kamern teilhaben lassen an ihrem Jakobsweg. Sie zeigen auch viele Fotos und servieren Baguettes mit dem beliebten Serrano-Schinken und der Paprikasalami Chorizo sowie Rioja-Wein. Für diejenigen, die sich mit dem Gedanken tragen, den Camino zu erlaufen, haben sie zahlreiche Tipps parat und zeigen, womit ihr Rucksack gefüllt war.
Die beiden Frauen haben viel zu erzählen. Zum Beispiel, weshalb sich vier Franzosen, die in den Pyrenäen wanderten, in der Pilgerhütte wegen des Föngeräusches sehr amüsiert haben. Oder weshalb sie sich den kleinen Franzosen David zum Schwiegersohn wünschen würden. Sie erzählen von Leni und einer Ärztin aus Finnland, die sie immer wieder trafen, von den Eheleuten Maria und Helmut, die nach einem Streit jeder für sich allein den Jakobsweg beschritten, von einem jungen Koreaner, der wohl wegen vieler Blasen an seinen Füßen irgendwann aufgab. Und auch von Donna Maria, die den Pilgern nicht nur die begehrten Stempel in den Pass drückt, sondern mit frischem Brot und Marmelade auch für Stärkung sorgt.
Die Chemie zwischen den Wanderern, die sich gemeinsam auf den Weg machen wollen, muss stimmen. "Und man muss tolerant miteinander umgehen", erzählen die beiden Frauen, die seit dem Jakobsweg beste Freundinnen sind. Ansonsten muss den Füßen großes Augenmerk gelten. Bei Strecken zwischen 20 und 30 Kilometern täglich haben sie viel zu leisten. Von ihrer ersten Tour wusste Sandra Braun, dass das Abkleben der Füße mit Pflaster sowie Hirschtalg die besten Mittel gegen wunde Haut sind. Dennoch bekam sie Blasen und auch die Zehennägel fielen nach den Bergtouren ab. Die Füße bestimmen auch viele Pilgergespräche. Wie heil sie sind, will jeder wissen. Doch auch sonst kommt man schnell ins Gespräch - über Sprachgrenzen hinweg. Manche Leute trifft man immer wieder, kehrt in die selben Pilgerherbergen ein. "Das ist wie in einer Familie."
Während im Sommer manche schon sehr früh aufstehen, um sich gute Plätze in den Herbergen zu sichern, ist das im Herbst nicht der Fall. "Im Oktober ist der Jakobsweg nicht so überlaufen, man kann ganz relaxt laufen", vergleicht Sandra Braun die zweite mit der ersten Tour im August 2009. Den Weg genießen, war die Parole der beiden Frauen. "Wir haben uns keinen Stress gemacht und mittags immer eine Pause eingelegt", erzählt Karola Schulze. Dann rollten sie ihre Iso-Matten aus, packten ihre Wegzehrung aus und freuten sich über ihren "very nice place". Für die Rast suchten sie sich immer beste Plätze aus, von denen sie die anderen Pilger, oftmals unbemerkt, beobachten konnten. Zum Ritual gehörte, dass Sandra Braun eine Geschichte vorlas. Am Anfang aus "Vier Millionen Schritte bis zum Ende der Welt" des Ungarn János Kertész, der für sie ein wichtiger Reiseführer war, später aus ihren Tagebucheinträgen.
Übernachtet haben sie in großen Herbergen mit hunderten Betten, Sporthallen, kleineren Pensionen und in einer Kirche. Zweimal haben sie sich ein Hotel gegönnt. Die Preise reichen von einer Spende über 9 und 15 bis 25 Euro pro Nacht. Abends gab es in vielen Lokalen Pilgermenüs. Für zehn Euro für Vorspeise, Hauptgang und Nachspeise "kann man essen ohne Ende". Und eine halbe Flasche Wein gibt\'s noch dazu. "Als Pilger ist man eine geachtete Person", haben die Frauen festgestellt. Bis auf eine Ausnahme war es auch in allen Herbergen sehr angenehm, haben sie beste Erfahrungen gemacht.
Die Ausrüstung der Wanderer ist recht spartanisch, schließlich wird alles auf dem Rücken getragen, was man dabei hat. Deshalb wurde abends auch immer gewaschen, um frische Kleidung zu haben.
"Der Jakobsweg war das schönste, davon habe ich am meisten profitiert."
Karola Schulze
"Man kommt total runter, ist raus aus den täglichen Verpflichtungen", erzählt Sandra Braun. Der Blick wird für kleine schöne Sachen am Wegesrand geweitet. "Das ist wirklich Urlaub, man empfindet die Zeit als richtig lang", sagt Karola Schulze. Sie ist schon in viele ferne Länder gereist, aber das Wandern auf dem Jakobsweg "war das schönste, davon habe ich am meisten profitiert". Sie haben viele Aussteiger getroffen, Menschen, die sich selbst finden, sich neu orientieren wollten. Wo, wenn nicht auf dem Camino hat der Ausspruch "Der Weg ist das Ziel" eine solche Bedeutung?
"Wir haben uns immer behütet gefühlt, haben uns stets sicher gefühlt", berichtet Karola Schulze, die aus ihrem Glauben heraus den Jakobsweg gegangen ist. Doch auch als Atheist findet man seinen Seelenfrieden. Sich Grenzen setzen, mit wenig auskommen, auf seine Gesundheit achten und sich nicht zu überfordern, sehen, was man schaffen kann, wenn man es will - all das haben die beiden Frauen erlebt.
Nach ihren schönsten Erlebnissen befragt, antworten sie wie aus einem Munde: der Weg über die Pyrenäen, die Ankunft in der Kathedrale in Santiago de Compostela und das "Ende der Welt".
Gern lassen sie andere teilhaben an ihren Erlebnissen und geben natürlich auch Tipps. Sie freuen sich auf viele Besucher am Montag. Der Eintritt ist frei, um Spenden zur Deckung der Unkosten des Abends wird gebeten.
Sollte weiteres Interesse an einer Lesung oder an dem Buch bestehen, kann man sich an Sandra Braun wenden unter (039382) 31285 oder per E-Mail an spalitsch@gmx.de.