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Lesung Kamern - Wiege des Landmaschinenbaus

Nach Vorlesungen unter anderem in Sandau und Klietz wurde das Buch „Das Wissen der Region“ nun auch in Kamern vorgestellt.

Von Ingo Freihorst 13.09.2016, 01:01

Kamern l Bis auf den letzten Platz besetzt war die Schiffsgaststätte in Kamern, wo Gastgeber und Autor Günter Klam vom KulTour-Verein die etwa 40 Heimatfreunde zur Vorlesung begrüßte. Er selbst hatte in dem Buch über den „Berg der Ärgernis“ in den Kamernschen Bergen berichtet – sein damaliger Lehrer Ewald Gorges hatte ihn für die heimische Sagenwelt begeistert. Der Gastgeber schlug zudem spontan eine Sammlung für die sanierungsbedürftige Orgel an, in deren Ergebnis nach der Lesung 121,71 Euro zusammenkamen.

Den ersten Vortrag übernahm Lektorin Bärbel Conrad, denn Autor und Landwirt Horst Krull war 2014 verstorben. Er hatte über Kamern als Feriendorf sowie über seinen Weg vom Einzel- zum Genossenschaftsbauern berichtet. Ab etwa 1960 wurde die Seegemeinde zum Erholungsort, bis zu 600 Mittagsgäste musste die damalige HO-Gaststätte versorgen. Sechs Ferienlager, Campingplatz und Bungalowsiedlung wurden im Ort oder dessen Nähe errichtet.

Der Vater von Horst Krull war im Krieg geblieben, weshalb die Witwe mit ihren drei Kindern den Bauernhof allein durchbringen musste. Die Milch von den sechs Kühen wurde mit einem Hundegespann nach Hause transportiert. In den Anfangsjahren der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) wurden noch viele Fehler begangen – so gab es Rinderoffenställe oder Schweinehütten, was unter den Tieren zu erheblichen Verlusten führte. Die LPG vom Typ III war vollgenossenschaftlich, 1970 verschmolz die LPG Typ I – hier wurde nur das Land genossenschaftlich beackert – mit dieser. Um 1975 wurden die LPG in Pflanzen- und Tierproduktion getrennt.

Nachdem Günter Klam über den Berg der Ärgernis informiert hatte, war Autor Eberhard Puls aus Tangermünde an der Reihe. Der Arzt hatte vor 47 Jahren mit Kamern als Urlaubsort Bekanntschaft geschlossen – mit dem Trabi und der fünfköpfigen Familie. Über die Hedemicke am Ortseingang war er auf die Kamernsche Sagenwelt gestoßen, über deren Hauptfigur Frau Harke berichtete er in seinem Beitrag.

Die Verehrung der riesigen und gütigen Erdenmutter Frau Harke gehe wahrscheinlich auf die Fruchtbarkeitsgöttinnen der Jungsteinzeit zurück, so Eberhard Puls. In deutschen Sagen haben solche Erdenmütter verschiedene Namen – wozu auch die Frau Holle aus dem Grimmschen Märchen gehört. Bei den Germanen wurde einer Göttin namens Freia gehuldigt.

Das Vermächtnis der Frau Harke – ein nachhaltiger und rücksichtsvoller Umgang mit der Natur – sei auch heute noch sehr aktuell, erklärte der Tangermünder. Weil viele Bäume für den Bau von Gebäuden gefällt wurden, hatte die Sagengestalt die Kamernschen Berge verlassen. Dabei rammte sie ihren Spinnrocken voller Wut in die Erde – woraus die Hedemicke erwuchs.

In die reale Heimatgeschichte entführte als letzter Autor Bernd Richter aus Bergisch Gladbach. Seine Vorfahren stammten aus Kamern, sie hatten von hier aus einst dem märkischen Landmaschinenbau wertvolle Impulse verliehen.

Zum Stammvater der Landmaschinen-Dynastie wurde der 1792 geborene Johann Friedrich Richter, der um 1824 die väterliche Schmiede – sie befand sich höchstwahrscheinlich auf dem Hunnenberg – übernahm. Neben den üblichen Tätigkeiten fertigte er auch Sensen und Handhäckselmaschinen an. Und er besaß wohl enorme Kräfte: Überliefert wurde, dass er ein gestürztes Pferd auf den Schultern aus einem Kellereingang trug. Er zeugte in zwei Ehen 13 Kinder und starb im Alter von 91 Jahren.

Seine fünf Söhne traten alle in die Fußstapfen des Vaters. Der 1833 geborene Friedrich übernahm 1860 die Schmiede und baute sie stark aus. Denn die Nachfrage nach den hier produzierten leichtgängigen Breitdreschmaschinen war riesig, zudem waren für diese nur noch zwei bis drei Pferde als Antrieb nötig. Die Schmiede reichte bald nicht mehr aus, weshalb 1875 in Rathenow eine Landmaschinenfabrik erbaut wurde, 1879 folgte dann noch eine Eisengießerei.

Mit beschäftigt waren hier zunächst auch die Brüder Otto, Ferdinand und Christian Friedrich. Vor dem Ersten Weltkrieg waren dort knapp 200 Mitarbeiter tätig. Im Jahre 1896 wurde bereits die 3000. Dreschmaschine ausgeliefert, 1925 waren es dann schon 12 000.

Otto Richter wagte 1881 den Schritt in die Selbständigkeit und gründete eine Fabrik im altmärkischen Bismark, wo 1898 die 1000. Maschine ausgeliefert wurde. Bruder Christian Friedrich (der Uropa des Autors) gründete 1885 eine Fabrik in Brandenburg an der Havel, wo auch Göpel, Pflüge, Pferderechen und anderes produziert wurden. Und er importierte als Sohn eines Dorfschmieds sogar Maschinen aus Übersee!

Als letzter machte sich Ferdinand Richter ab 1890 in Treuenbrietzen mit einer eigenen Fabrik selbständig. Einzig Wilhelm Richter blieb Kamern verbunden, er betrieb hier die väterliche Schmiede weiter.

Obwohl es tausende Richtersche Landmaschinen gab, ist dem Autoren nur noch ein Exemplar davon bekannt.