Erinnerung an einen weithin bekannten Havelberger Musikprofessor Hugo Rüdel leitete in Berlin und Bayreuth Chöre
Die beiden alten Häuser auf dem Areal des alten Betonsteinwerkes in Havelberg werden vor dem Abriss denkmalpflegerisch dokumentiert. Eines ist das Geburtshaus von Hugo Rüdel, ein zu seiner Zeit bekannter Musikprofessor, an den in Bayreuth eine Straße erinnert. Museologin Antje Reichel kennt seine Geschichte.
Havelberg l Professor Hugo Rüdel aus Havelberg - hinter diesem Namen steckt ein Stück Musikgeschichte. Für Kenner verbindet er sich mit der Geschichte des Berliner Domchores und der Bayreuther Festspiele. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte Professor Hugo Rüdel zu den bekanntesten Chorleitern seiner Zeit. Laut Kirchenbuch der Stadtkirche wurde er am 7. Februar 1868 in Havelberg geboren und am 10. Mai in der Stadtkirche St. Laurentius getauft. Seine Eltern waren Johann Friedrich August Rüdel (1816 bis 1887) und Pauline Amalia Albertine, geb. Knüppelholz (1831 bis 1891).
Hugo hatte vier ältere Geschwister, drei davon aus der ersten Ehe seines Vaters (August *1846, Marie *1847 und Anna *1849). In zweiter Ehe kamen 1864 Gustav und vier Jahre danach Hugo auf die Welt. Die Familie wohnte "Vor dem Sandauer Tor" auf dem Grundstück direkt vor der damaligen Ziegelei, heute Elbstraße 2, Betonsteinwerk.
Das Wohnhaus war ein geräumiges Einzelhaus mit großem Garten. Hugos Vater August betrieb hier als Gastwirt ein Kaffeehaus mit Kegelbahn. Außerdem besaß er bei Toppel eine Ziegelei, die in jener Zeit sicher gute Gewinne abwarf und die Familie ernährte. Hauptsächlich war August Rüdel jedoch "Stadtmusicus" in Havelberg. Er dirigierte eine Musikkapelle und leitete den Chor des Männergesangsvereins. Hugos Kindheit und Jugend in Havelberg waren eng mit den Begebenheiten jener Zeit verknüpft. Ab 1875 ging er in die Stadtschule und wahrscheinlich ab 1880 in die höhere Bürgerschule gegenüber dem Dom. Er lernte in Havelberg mehrere Hochwasser kennen, erlebte die Zusammenlegung von Stadt und Berggemeinden 1876, den Bau des Wasserwerks und des Bahnhofs. Sein Heimatort war geprägt von Ziegeleien, Schifferkneipen und Militärkasernen. Die Schifffahrt zwischen Hamburg und Berlin hatte hier ihren Feierabendplatz und brachte viele Fremde nach Havelberg.
"Der Domkantor hatte keine Sänger, weil die lieber zum Pfingstkonzert gingen."
Hugo war 19 Jahre alt, als sein Vater verstarb. Doch bis dahin gab der Vater ihm das Rüstzeug für sein erfolgreiches Leben mit. Als Musikdirektor der Stadt leitete August Rüdel die Stadtkapelle und veranstaltete zahlreiche Konzerte. Die "Rüdel\'sche Kapelle" spielte zu verschiedensten öffentlichen Anlässen, Feiern und Kaffeenachmittagen in den Gartenrestaurants. Havelberg hatte als bürgerliche Kleinstadt damals eine Musik und Konzerte liebende Einwohnerschaft. In den Tagebüchern des Domkantors Stürmer finden sich Bemerkungen über Hugos Vater, die ihn als einen einfallsreichen Lebemann beschreiben. Unter anderem ist vermerkt, dass Stürmer am Pfingsttag in der Kirche keine Sänger hatte, weil traditionell im Rüdel\'schen Garten früh ein Pfingstkonzert stattfand, zu dem die Sänger wohl viel lieber erschienen als zur Kirche.
Hugo und sein Bruder Gustav zogen sicher Anfang der 1890er Jahre nach Berlin. Während Gustav als "Gerichts-Actuar" arbeitete, begann Hugo mit dem Studium der Musik in Berlin. Von der Familie Rüdel ist nach dem Tod der Mutter Pauline 1891 und der Hochzeit des Bruders 1892 kein Kirchenbucheintrag mehr zu finden.
Seine musikalische Laufbahn begann als Waldhornist. Die Havelberger Zeitung schreibt 1928 über ihn: "Cosima Wagner war auf ihn aufmerksam geworden und berief ihn um die Jahrhundertwende nach Bayreuth. In Berlin gründete er eine Opernchorschule und wurde bald Direktor des Domchores. Bald nach der Übernahme der Leitung des Berliner Domchores übernahm er größere Konzertreisen in das Ausland und pflanzte somit die große Kunst der geistlichen Musik in weitere Volkskreise."
Seit 1909 dirigierte er den Berliner Hof- und Domchor. In Bayreuth leitete er wiederholt seit 1906 die Festspielchöre. Aber auch als Komponist und Chorleiter des Berliner Lehrergesangsvereins machte er sich einen Namen.
In Havelberg gab Hugo Rüdel zu seinem 60. Geburtstag 1928 ein Konzert. Der Presse ist zu entnehmen, wie stolz die Bürger damals auf ihn waren: "Der gestrige Sonntag stand in hervorragender Weise unter dem Eindruck der Aufführungen des Berliner Staats- und Domchores in der Havelberger Stadtkirche. Nicht nur die Bürgerschaft der Stadt, sondern auch viele auswärtige Gäste mit Privatautos und Postkraftwagen waren zu diesem Festkonzert erschienen, sodass alle Plätze in der Kirche besetzt waren. Damit wurde auch gleichzeitig dem Direktor Professor Hugo Rüdel, als Havelberger Kind, zu seinem 60. Geburtstag die hohe Wertschätzung und die verdiente Ehrung seiner Persönlichkeit hier dokumentiert."
Sechs Jahre danach, am 27. November 1934, verstarb Hugo Rüdel. In der Havelberger Zeitung stand dazu: " Professor Hugo Rüdel verstorben. Ein weit über die Grenzen der Reichshauptstadt und des deutschen Vaterlandes hinaus bekannter Musiker, der ehemalige Direktor des Festspielchores in Bayreuth, des Opernchores der Staatsoper und des Staats- und Domchores, Professor Hugo Rüdel, ist in seiner Berliner Wohnung plötzlich verstorben." Sein Grab befindet sich auf dem Südwestfriedhof in Berlin-Stansdorf. In Bayreuth ist eine große Straße nach ihm benannt. Grammophonplatten, Rundfunkaufnahmen, Zeitungsartikel und Aktenmaterial sind Zeugen seines Lebens.
Aber auch vom Vater August Rüdel blieben in Havelberg Zeugen erhalten. Als Ziegeleibesitzer stempelte er seine Steine. In Havelberg findet man noch (aber selten) Ziegel mit dem Eindruck "A. RÜDEL HAVELBERG".