Heimatgeschichte Und Fräulein Schmok wacht weiter
Havelberg
Sie hat eine lockige Kurzhaarpracht, rosafarbene Wangen, rote Lippen und trägt ein Kleid aus blauer Seide. Das Fräulein Schmok sitzt in der Vitrine im Eingangsbereich des Arthotels Kiebitzberg und wacht über das Geschehen. Viel ist nicht los in diesen Wochen, in denen das Coronavirus Gaststätten und Hotel keine Öffnung erlaubt. Lediglich Geschäftsreisende dürfen hinein in das Haus, das an einem altehrwürdigen Platz steht: dem Schmokenberg. An ihn erinnert der Name des Restaurants im Hotel.
Auf Facebook hält Hotelchefin Renate Lewerken den Kontakt zur Außenwelt, die nun schon seit Mitte November nicht mehr in das Haus darf, das mit seinen Kunstgalerien, Konzerten, Theater- und Kabarettaufführungen sowie Restaurant und Hotel seit 2012 viele Besucher aus Nah und Fern in die Hansestadt lockt. Da war auch vom Fräulein Schmok zu lesen.
Wer ist das? Zunächst erstmal eine Puppe mit einem Kopf aus Porzellan, samtenem Kleid und flauschigen Stoffarmen. Doch ranken sich um sie Geschichten, die auch mit einem Bild zusammenhängen, das einst in dem Gasthaus am Schmokenberg für manche Spukgeschichte gesorgt haben soll und heute im Havelberger Prignitz-Museum zu finden ist. Es soll die Tochter des Damastwebers Schmok um 1840 zeigen. Das Museum hatte für die Restaurierung des Ölgemäldes auf Leinwand im Jahr 2014 um Spenden gebeten. Es hängt in der stadtgeschichtlichen Ausstellung. Der Rahmen müsste noch aufgearbeitet werden, sagt Museumsleiterin Antje Reichel. Ob es nun in den Museumsräumen, die sich im ehemaligen Kloster am Dom befinden, spukt, kann sie nicht sagen. Vielleicht des nachts. Vielleicht ist aber auch der Geist des Bildes in die Puppe geschlüpft und es spukt im Arthotel? „Henriette ist die gute Seele des Hauses, sie passt auf uns aus“, sagt Renate Lewerken.
Das Köpfchen der Puppe fand sich bei Arbeiten für das neue Hotel, das anstelle des bis dahin bestehenden Schmokenberg-Hotels im Jahr 2012 fertig gestellt wurde, in der Baggerschaufel. Bereits ein Jahr zuvor hatte das Arthotel mit dem kleinen Gästehaus seinen Betrieb aufgenommen. Sohn Florian hatte den Kopf gesichert und seine Frau Nancy der Puppe wieder Leben eingehaucht, in dem sie ihr einen Körper und das schicke blaue Kleid nähte. Henriette, so nennen Lewerkens das Fräulein Schmok, hatte laut der Farbreste am Puppenkopf schwarze Haare und eine Spange im Haar. Auf dem Bild im Museum zeigt sie sich mit blonder Lockenpracht. Auf jeden Fall ist eine gewisse Ähnlichkeit zu erkennen...
Artikel in der Zeitung
Renate Lewerken gefällt der Begriff Fräulein, auch wenn der heute manchmal angestaubt wirkt. „Das waren oft toughe Frauen, die ihr Ding gemacht haben.“
Zur Geschichte des Schmokenberges gibt es im Prignitz-Museum eine handschriftliche Ausarbeitung von Wilhelm Fubel aus den 1950er Jahren und einen Artikel aus der Zeit um 1938 von Herbert Schwan aus der Havelberg-Sandauer Zeitung. Unter der Überschrift „Aus dem alten Havelberg – Weshalb der Name Schmokenberg?“ beschäftigte sich Herbert Schwan mit der Geschichte des manchmal scherzhaft Schmokengebirge genannten Areals, das westlich am Ortseingang der Stadt oberhalb der Havel liegt. Zur Bedeutung des Namens berichtet er von drei Varianten: 1. An der Stelle haben die Wenden einst ihre heidnischen Osterfeuer abgebrannt. Der aufsteigende Rauch wurde auch Schmok genannt. 2. Laut Sprachforschern würde Schmok im Wendischen für Schlange stehen. Doch sah der Autor auch darin nicht die wirkliche Begründung, denn weder Schlangen noch andere derartige Kriechtiere wurden gesichtet. 3. Die wahrscheinlichste Variante dürfte die Namensgebung nach dem Leinewebergesellen Johann Joachim Schmok aus Nitzow sein, der laut Protokollbuch über das Leinen- und Damastwebergewerk von 1774 bis 1823 um die Verleihung des Meisterrechts warb. „Draußen vor der Stadt, auf domfiskalischem Felde“ wollte er eine „Damast- und Leinen-Fabrique“ gründen. Die Zunft legte ihm Steine in den Weg. Er errichtete die Fabrik, die allerdings nicht von langer Dauer war. Das war nach Aufzeichnungen von Wilhelm Fubel im Jahre 1792. Ein Grundbucheintrag von 1811 gestand dem Sohn Johann Daniel Friedrich Schmok den Verkauf zu.
1851 nahm die gastwirtschaftliche Geschichte des Schmokenberges seinen Lauf. Die Havelberger Vereinsbrauerei war zur Blüte gekommen und benötigte große Kellerräume, schrieb Herbert Schwan. Der Eiskeller ist heute noch erhalten. Eingemeißelt in Stein ist dort jene Jahreszahl. Auch ein Wirtshaus entstand, das sich als „Luftkurort Schmokenberg“ zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelte. Schwan beschreibt auch den Spuk des Bildes: Wenn es von seinem Platze an der Wand genommen werde, dann spuke es. Es sei schon ohne ersichtliche Ursache von der Wand gefallen. Bekam es wieder seinen angestammten Platz, verhalte sich das Fräulein Schmok vorbildlich ruhig. „Jeder Besucher des Schmokenberg wird nun doch wohl mit einer gewissen Scheu zu dem Bild des geheimnisvollen Fräulein Schmok emporblicken oder aber wird ihr belustigt zunicken, denn eigentlich ist sie doch ein sehr friedfertiger Hausgeist.“
Nun hat das Fräulein Schmok zwei Zuhause. Wenn sich Museum und Hotel wieder öffnen können, nicken Sie ihr doch einfach mal zu.