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Verabschiedet Juze-Chef geht in den Ruhestand

Im Herzen ist er jung, auch wenn er nun in den Ruhestand geht. Rolf Müller hat 25 Jahre das Havelberger Jugendzentrum geleitet.

Von Andrea Schröder 29.03.2019, 18:49

Havelberg l „Leiter des Jugendzentrums zu sein, ist ein Traumjob. Es ist nach dem Bürgermeister der schönste Job in Havelberg.“ Das sagt Rolf Müller rückblickend, auch wenn es so gut wie nie normale Acht-Stunden-Tage gab und ihn die Arbeit voll und ganz 60, 70 Stunden die Woche forderte. Vieles rückte dafür in den Hintergrund. Doch er hat es gern getan. „Weil man sich hier voll einbringen und Ideen entwickeln kann. Es erfordert Ausdauer, alles zu planen, zu finanzieren, durchzuführen und abzurechnen. Doch macht es Spaß zu sehen, dass das, was man entwickelt, zum Erfolg führt und alle mitziehen. Die Förderrichtlinien lassen einem viele Freiheiten. Das ist mit keiner anderen pädagogischen Arbeit vergleichbar.“

Der einstige Lehrer für Mathe­matik, Physik und Sport war schon immer der Typ fürs Außerunterrichtliche. Drei, vier Klassenfahrten machte er pro Jahr mit. Lehrer und Schüler kamen auf ihn zu, wenn es darum ging, noch einen zweiten Lehrer mitzunehmen. Der Havelberger unterrichtete in Klietz, wo es von Klasse 5 bis 10 mathematische Arbeitsgemeinschaften gab und oft Schüler an der Bezirksolympiade teilnahmen. Außerdem trainierte er dort die D-Jugend, die in der Bezirksliga spielte. Später wechselte er zum Rat des Kreises in die Abteilung Volksbildung. Nach der Wende baute er zunächst das Jugendamt mit auf.

Sport war schon immer sein Metier. In Havelberg spielte er 16 Jahre in der 1. Männermannschaft des Fußballvereins Einheit. So richtig in die Leichtathletik eingestiegen ist er während der Armeezeit, wo der Europa- und Weltrekordläufer auf der Mittelstrecke Siegfried Valenthin sein Sport­offizier war. Beim Studium in Magdeburg ging es weiter. Sprint und Langsprint waren seine Disziplinen. Mit einer Staffel wurde er Dritter bei den DDR-Meisterschaften, im Zehnkampf Bezirksmeister. Kein Wunder also, dass das Jugendzentrum eine sportlich-touristische Ausrichtung hat – und Rolf Müller noch heute beim SV 90 Havelberg den Nachwuchs trainiert.

Aus der Station Junger Techniker und Naturforscher war nach der Wende das Haus der Interessen hervorgegangen. Stadt und Landkreis wurde das zu teuer. Am 23. Oktober 1993 gründeten engagierte Eltern den Förderverein des Jugendzentrums, an dessen Spitze Brigitte Klemm stand. Wulf Gallert entwickelte das Konzept und übernahm zu Jahresbeginn 1994 die Leitung. Wolfgang Masur und Monika Richter gehörten mit zu den Gründern des Vereins. Rolf Müller wurde Mitarbeiter. Verhandlungen waren zu führen, um Gelder für Personal und Betriebskosten sowie Unterstützung durch ABM-Kräfte zu bekommen. Außerdem musste es sich in der Stadt herumsprechen, dass es nun eine Einrichtung gab, die für alle Kinder und Jugendlichen offen steht. „Das war eine schwere Zeit damals.“

Das Konzept war von vornherein so ausgelegt, dass das Jugendzentrum keine Grenzen kannte. Nicht alle Bürgermeister riefen hurra, als sie nach der Einrichtung von Jugendklubs gefragt wurden. Die Gemeinde Klietz war die Erste, die im April 1994 einen Jugendklub unter Regie des Fördervereins eröffnete. Im Juli kamen Nitzow und Schollene hinzu. Viele Jahre waren es zehn Jugendeinrichtungen im Elb-Havel-Winkel. Mit der Erweiterung der mobilen Jugendarbeit sind es heute 14.

Über die Förderung von Jugendeinrichtungen könnte Rolf Müller wohl ein Buch schreiben. Bis 1999 lief es sehr gut, die im Land eingeführte Jugendpauschale brachte einen Aufschwung. So konnten zum Beispiel ABM-Kräfte zu pädagogischen Fachkräften qualifiziert werden. Damals übernahm der Landkreis zwei Drittel der Kosten des Juze und die Stadt Havelberg ein Drittel. Heute ist es umgekehrt. Oft gingen Verträge nur von Jahr zu Jahr, wurden Stunden gekürzt. Doch ließ sich Rolf Müller nie beirren und motivierte sein Team zum Weitermachen.

Die Leitung des Jugendzentrums liegt seit September 1994 in seinen Händen. Wulf Gallert war für die heutige Linke in den Landtag eingezogen. Schon die erste Paddeltour des Juze im Sommer 1994 konnte er nicht vollständig begleiten. Dabei war er der Wassersportler. Rolf Müller saß da zum ersten Mal in einem Paddelboot. „Wir sind von Potsdam nach Havelberg gefahren, die Kinder waren 10 bis 14 Jahre alt. Es war ein tolles Erlebnis.“ Seitdem gab es Dutzende Paddeltouren – sie sind eines der Markenzeichen des Jugendzentrums. Etliche, die früher als Kinder mitfuhren, waren oder sind heute als Betreuer dabei. Martin Lewa aus Stendal und Matthias Ahrends aus Havelberg zum Beispiel.

Auch darüber ließe sich ein Buch schreiben. Eine Episode ist diese: Die 20-köpfige Paddeltruppe war auf einem Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern angemeldet. Allerdings wusste die Vermieterin nicht, dass es Jugendliche sind. Sie bekam Panik, steckte einen 30 mal 30 Meter großen Platz ab und machte deutlich, dass sie keinen Ärger wolle. Am nächsten Morgen läutete sie mit der Feuerwehrglocke alle 50, 60 Camper zusammen und sagte: „Also Herr Müller, ich habe noch nie erlebt, dass eine Jugendgruppe so diszi­pliniert und so sauber ist.“ Die Havelberger bekamen eine Ehrenurkunde und die Einladung, gern wiederzukommen.

Durchschnittlich 40 Besucher sind es täglich im Juze. Neben rund 30 Projekten im Jahr gibt es die täglichen Angebote. Das Juze ist in der Stadt und auf den Dörfern ein verlässlicher Partner, wenn es um Feste geht. Oder setzt sich an die Spitze der Organisatoren, wie beim Oster-, Kinder- und Drachenfest. Bei der Verabschiedung am Freitag im Juze mit zahlreichen Gäste lobten unter anderem Bürgermeister Bernd Poloski und Jugendamtsmitarbeiterin Doris Meier das große Engagement von Rolf Müller, der das Juze zu einer Einrichtung entwickelt hat, die Vorbildwirkung hat. Er gab das Dankeschön zurück unter anderem an den Vorstand des Fördervereins, an die Mitarbeiter in den Klubs, an die Hansestadt Havelberg und vor allem an seine Familie. „Ohne diesen Rückhalt wäre das alles nicht möglich gewesen.“

Seinem Nachfolger Thomas Will steht er in den nächsten Monaten wöchentlich für ein paar Stunden zur Seite. Und ehrenamtlich bleibt er dem Juze ohnehin erhalten. Auch als Betreuer bei den Paddeltouren. Mit Blick auf die Rente – „ich fühle mich wie 30“ – freut sich Rolf Müller auf Zeit mit der Familie, wozu die beiden Enkel gehören. Mit seiner Frau hat er kleinere und größere Reisen geplant. Vietnam und Kambod­scha stehen für diesen Herbst auf dem Programm.

Was sein Engagement ausmacht, verdeutlichen diese beiden Philosophien, nach denen er unter anderem handelt: „Ich habe stets lieber im Zelt übernachtet, als am Schreibtisch gesessen.“ Und: „Lieber Kinder glücklich machen, als durch Kinder glücklich werden.“ Letzteres bezieht er auf Abzocke im Kinderbereich. Denn es macht ihn natürlich glücklich, wenn Kinder glücklich sind.