Handel Wir-Gefühl ist jetzt noch wichtiger
Auf der Havelberger Stadtinsel nahm das Geschäftsleben am Montag nach vier Wochen Corona-Zwangspause wieder Fahrt auf.
Havelberg l Elke Zeppik hat sich mit Masken, Handschuhen und Desinfektionsmittel ausgestattet. Die Uhrmachermeisterin auf der Havelberger Stadtinsel schloss am Montag wieder regulär ihre Geschäftstür auf. Und konnte auch die ersten Kunden begrüßen. Ein Geburtstagsgeschenk wurde gekauft, Batterien gewechselt, Reparaturen abgeholt. Immer mal wieder klingelt das Telefon: „Ja, wir haben geöffnet“, antwortet die Havelbergerin auf die meist gestellte Frage.
Sie ist froh über die Lockerungen, die es ihr möglich machen, ihr Geschäft auf der Stadtinsel in Havelberg nun wieder zu öffnen. Für Reparaturen durfte sie das auch während der strengeren Auflagen. „Doch diese Ungewissheit, was alles noch kommen mag, ließ mich nicht in Ruhe arbeiten.“ Wie sie die vier Wochen Ladenschließung überstanden hat? „So wie es einem geht, wenn man einen Monat kein Geld verdient. Dabei bin ich zum Glück nicht erst 20 und muss mein Geschäft nicht erst aufbauen, und ich habe meinen Mann, der Geld verdient“, zieht sie Vergleiche zu anderen, die es in dieser Corona-Zeit schlechter haben. Ihre Hoffnung? „Dass bald ein Impfstoff gefunden wird und wir in unsere Zeit vorher zurück können, damit man auch mal wieder Menschen umarmen kann, die man lange nicht mehr gesehen hat.“
Geschäftlich gesehen wünscht sich Elke Zeppik, dass die Zeit der Bestellerei vielleicht ein Ende findet. Einen entsprechenden Spruch, der sinnbildlich für die Hoffnung vieler in der aktuellen Zeit steht, sich auf die Geschäfte vor Ort zu besinnen, hat sie schon lange in ihrem Laden zu hängen: „Es ist ein guter, alter Brauch, wo repariert wird, kauft man auch!“ Abgesehen vom verlorenen Ostergeschäft fehlen nun die Kunden, die jetzt normalerweise Schmuck und Uhren für Jugendweihe, Konfirmation und Taufen kaufen würden.
Für die Begleichung der Fixkosten hat sie die Soforthilfe bei der Investitionsbank des Landes beantragt – und sogar schon bewilligt bekommen. „Obwohl ich den Antrag per Post gestellt habe.“
Das hat auch Christine Rattay gemacht, nachdem sie in den Medien von den Betrugsversuchen bei den Antragstellungen per Mail gelesen hatte. Doch hat sie noch keine Antwort bekommen. In ihrem Kreativladen hat sie eine Sperrlinie vor den Kassenbereich gezogen, damit der Abstand eingehalten werden kann. Desinfektionsmittel steht bereit. „Die Flaschen habe ich noch von Opa“, erinnert sie an die Pflege des ältesten Mannes der Welt, der im Oktober kurz nach seinen 114. Geburtstag gestorben war. Regelmäßig putzt sie die Türklinken ab, aber meistens steht die Ladentür offen. Mit der Soforthilfe, die der Staat Selbständigen für drei Monate bis zu einer Höhe von 9000 Euro gewährt, kann sie die Fixkosten wie Miete, Steuerberater und Versicherungen bezahlen. Die Krankenversicherung etwa fällt nicht darunter. Und schon gar nicht die verlorenen Einnahmen. Sie findet die Soforthilfe gut, auch wenn sie später bei der Steuer als Einnahme verbucht werden muss.
Ihr wichtigstes Standbein sind Werbemittel für Firmen. „Aber auch die Aufträge sind mit Beginn von Corona auf einmal weggebrochen. Nun läuft das langsam wieder an und ich denke, dass es wieder aufwärts geht. Ich hatte extra noch neue Osterdekoration für den Laden bestellt. Die ist jetzt verstaut. Ich habe schon öfter Höhen und Tiefen durchlebt. Ich werde bestimmt auch das schaffen“, ist sie optimistisch.
Im Schuhladen von André und Karin Peter sollte das Geschäft mit der Frühjahrskollektion gerade losgehen, als „wir von jetzt auf gleich schließen mussten“. Das Lager ist voll, die Kasse leer, beschreibt André Peter die Situation, die durch die Corona-Pandemie für viele existenzbedrohend ist. „Hotels, Pensionen, Gastronomie, Einzelhandel, alle sind betroffen und wir hoffen, dass sich die Leute auf die Anbieter vor Ort besinnen und die Region unterstützen“, sagt der Havelberger, der in der Versicherungsbranche tätig ist und deshalb nicht nur vom Schuhgeschäft leben muss. Dass die Regierung Selbständige mit der Soforthilfe unterstützt, begrüßt das Ehepaar. „Doch die Leute glauben, wir bekommen jetzt 9000 Euro für drei Monate. Dem ist nicht so, das Geld ist für die Fixkosten gedacht. Die Ladeninhaber haben aber keine Einnahmen gehabt und die Lebenshaltungskosten laufen weiter“, gibt er zu bedenken.
Im Sinne aller Gewerbetreibenden in der Altstadt setzt er auf die Havelberger und ihre Unterstützung für die heimische Wirtschaft. „Gerade jetzt ist es wichtig, dass ein Wir-Gefühl entsteht. Wir gehören zusammen und gemeinsam können wir durch diese Situation kommen.“ Sobald es wieder möglich ist, soll es in der Steinstraße wieder ein Straßenfest für die Havelberger und Besucher von außerhalb geben. Und für Einkäufe in der Corona-Zeit planen Peters Rabatte ein.
Gegenüber vom Schuhgeschäft ist auch Sybille Konrad froh, ihr Geschäft wieder öffnen zu dürfen. Dies und das hat sie im Angebot, und obwohl sie schon 77 Jahre zählt, denkt sie noch lange nicht daran, ihr Geschäft aufzugeben. „Meine Mutter ist über 100 geworden, da habe ich noch Zeit.“ Am Freitag putzte sie die Schaufenster und dekorierte neu. „Endlich wieder offen“ steht auf einem Schild, das Christine Rattay angefertigt hat.
Bei Grunwalds gibt es jetzt wieder Fernseher, Staubsauger, Waschmaschinen und anderes mehr zu kaufen. Der Reparaturservice war auch in den vergangenen vier Wochen möglich und der Paketservice lief auch weiter. „Die Kunden sind flexibel und hatten sich auf unsere verkürzten Öffnungszeiten eingestellt“, berichtet Birgit Grunwald. Jetzt gibt es eine Kaufzurückhaltung und es sind auch nicht so viele Menschen unterwegs.
Ein Umstand, den auch Mathias und Jürgen Haut kennen. „Es ist kaum einer da, der jetzt Uhren oder Schmuck kauft. Touristen dürfen nicht kommen, die älteren Leute sollen nicht rausgehen, die jungen Leute spielen zu Hause Lehrer und Erzieher. Und auch die Wochenendheimkehrer bleiben meist zu Hause. Die Trauringe liegen auf Eis, weil die Brautpaare im Moment keine großen Hochzeiten feiern können“, zählt Mathias Haut auf. Eine Situation wie zum Hochwasser 2013, als auch alle was anderes im Kopf hatten als shoppen zu gehen. Auch er spricht die Fixkosten an, die lediglich durch die Soforthilfe abgedeckt werden. Ein Kurzarbeiter bekommt 60 bis 67 Prozent, ein Unternehmer muss sehen, wie er seine laufenden Kosten etwa für Krankenversicherung und Kredite finanziert. Privat aber, sagt er, waren es die schönsten vier Wochen seines Lebens, „weil ich viel Zeit hatte, sie mit meinen beiden Kindern zu verbringen.“