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Grenzöffnung 12. April 1990 bleibt in Erinnerung

Am 12. April 1990 ging zwischen Kaiserwinkel und Jahrstedt die Grenze auf. Gerne hätte man diesen Jahrestag gefeiert, doch es geht nicht.

Von Markus Schulze 10.04.2020, 20:02

Kaiserwinkel l Nur drei Kilometer liegen zwischen Jahrstedt und Kaiserwinkel. Gefühlte Ewigkeiten waren es aber Welten. Der Eiserne Vorhang trennte die Orte: Jahrstedt im Osten, Kaiserwinkel im Westen.

Traditionell bestanden zwischen den beiden Drömlingsdörfern enge Bande. Bis zum Zweiten Weltkrieg gingen die Kaiserwinkler in Jahrstedt zur Schule. Außerdem war die Straße nach Jahrstedt für die isolierten Kaiserwinkler die einzige Verbindung zur Außenwelt, wissen Dieter Harms und Karl-Heinz Kull. Beide sind in Kaiserwinkel zu Hause, haben aber eine besondere Beziehung zur Altmark. Harms ist gebürtiger Jahrstedter, Kull war nach der Wende in Kunrau und Klötze in leitenden Verwaltungspositionen tätig.

Kull, ehedem bei der Samtgemeinde Brome beschäftigt, war es auch, der 1990 die Grenzöffnung zwischen Jahrstedt und Kaiserwinkel vorantrieb. Dazu nutzte er ein Sondierungsgespräch, das am 5. März 1990 anlässlich des Europatages im Hotel Hubertus in Zicherie stattfand. Ihm gegenüber saß Günter Jordan, der seinerzeit die DDR-Grenztruppen befehligte. Spontan fragte er den Oberst, ob man nach Böckwitz/Zicherie (18. November 1989) und Steimke/Brome (11. Februar 1990) nicht auch die Grenze zwischen Jahrstedt und Kaiserwinkel öffnen könnte. Im Hinterkopf hatte Kull das Mückenfest, das früher rund um den 1. Mai in Kaiserwinkel über die Bühne ging. Wäre der Weg nach Jahrstedt frei, würde sich die Besucherzahl schlagartig erhöhen.

Und tatsächlich: Jordan willigte ein. Dann ging es schnell. Bereits am nächsten Tag gab es einen Ortstermin. Am 15. März begannen der Abbau der Grenze und die Rekonstruktion des Weges, der sich im Niemandsland verbarg. Zwei Wochen später waren die Arbeiten abgeschlossen.

Zwischenzeitlich war längst verabredet worden, dass am 12. April eine Grenzöffnungsfeier erfolgen sollte. Die Organisation oblag der Freiwilligen Feuerwehr Kaiserwinkel. „Das war ein ganz schöner Aufwand“, entsinnt sich Kull, der Kontakt zu den Landräten Heinrich Warnecke (Gifhorn) und Ulrich Koppe (Klötze) knüpfte und auf westlicher Seite die Einladungen verschickte. Auf östlicher Seite übernahm das der Jahrstedter Bürgermeister Siegfried Fest. Darüber hinaus setzte sich Kull mit jenem Festzeltbetrieb in Verbindung, der sonst immer das Mückenfest ausstaffierte. „Julius, du hast schon so viel Geld bei uns verdient, jetzt kriegen wir mal ein Zelt umsonst“, bat Kull. Besagter Julius ließ sich nicht lumpen und packte neben dem Zelt noch 100 Liter Freibier drauf.

Schnell verstrich die Zeit und der 12. April war gekommen. Für Essen und Trinken war gesorgt, Züge aus Parsau und Steimke machten Musik, Jugendliche aus Kaiserwinkel halfen bei der Bewirtung. Die Gäste aus der Altmark durften „rüber“, wenngleich noch ein provisorischer Kontrollpunkt eingerichtet wurde.

„Das Wetter war herrlich“, erinnert sich der Kaiserwinkler Helmut Hecker, der aus der Nähe von Stendal stammt. Morgens hatte er noch geholfen, das Festgelände herzurichten, die Feier verpasste er aber wegen seiner Schicht im Volkswagenwerk.

Ansonsten war aber jeder dabei, der Rang und Namen hatte, darunter Graf Günzel von der Schulenburg sowie die „Spitzen“ der Samtgemeinde Brome, Otto Müller und Hans Schönecke, dazu der Bromer Pastor Günter Proft. Nach einigen Grußworten ging es zum gemütlichen Teil über. Die Stimmung war euphorisch.

Fürs Erste wurde die Grenze nach dieser Feier, um Mitternacht, wieder verschlossen, ging aber pünktlich zum Mückenfest wieder auf. Zwischen dem 28. April und dem 1. Mai 1990 wurde an selber Stelle ein zeitweiliger Grenzübergang geschaffen. Mit großem Erfolg: „Die Leute haben uns die Bude eingerammt. Die meisten kamen über Jahrstedt“, ist sich Kull sicher.