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Kommunen Baupreise explodieren

Die Baubranche boomt. Kommunen wie Schönebeck müssen daher tiefer in die Tasche greifen.

Von Heike Liensdorf 09.04.2019, 10:07

Schönebeck l Sorgenkind Bauen? Guido Schmidt wiegt den Kopf hin und her, so könne er das nicht stehen lassen. „Das reine Bauen nimmt die wenigste Zeit in Anspruch“, sagt der Baudezernent. Das Drumherum koste viel mehr Zeit und manchmal auch Nerven.

Und das Drumherum beginne mit der Idee. Das Fachamt erarbeite mit einer Grobplanung, was gebraucht wird, was erforderlich ist. Bereits realisierte Vergleichsprojekte werden herangezogen. Ob Straßenbau, Objekte oder Begrünung. Wie viel ist von welcher Einzelposition benötigt worden? Und was hat der laufende Meter gekostet, der Quadratmeter, der Kubikmeter?

Immer mit Blick auf den Baukosten-Preisindex. Eine Übersicht über aktuelle Preise. Dort sind auch Preissteigerungen mit angesetzt. Bis vor wenigen Jahren lagen diese noch bei anderthalb bis zwei Prozent pro Jahr. Doch seit 2015 sind die Preise explodiert, so die Erfahrung der Stadtverwaltung. Teils um 20 bis 30 Prozent.

Wie kommt das? Die Zinsen sind seit einiger Zeit niedrig, das macht das Bauen attraktiv. Land, Bund und EU legen für viele kommunale Projekte Förderprogramme auf. Dazu kommt das Beseitigen der Hochwasserschäden beziehungsweise die Maßnahmen zum Hochwasserschutz, die zu 100 Prozent gefördert werden. Die Wirtschaft hat gut zu tun. Die Baufirmen wissen, sie müssen auf Ausschreibungen nicht mehr mit Kampfpreisen reagieren, um den Zuschlag zu bekommen. Wenn es der eine Auftrag nicht wird, dann der nächste. Es gibt genügend Maßnahmen, die realisiert werden wollen. „Angebot und Nachfrage eben“, sagt Guido Schmidt.

„In der Anfangszeit, als die Baupreise so anstiegen, haben wir uns auch mit anderen Kommunen kurzgeschlossen, ob es ihnen auch so geht. Aber überall das gleiche, die Erfahrung haben alle gemacht“, so der Baudezernent.

Von der Grobplanung bis zu Ausschreibung und Baustart gehen gut und gerne drei, vier Jahre ins Land. „Es ist ja nicht so, dass wir ein Projekt heute aufzeichnen und morgen bauen. Da sind Genehmigungsprozesse einzuhalten, Fördermittelanträge zu stellen, Beteiligungen abzufordern ... Das Geld muss im Haushalt eingestellt werden, der Stadtrat muss sein Okay geben“, erklärt Guido Schmidt. Wenn es dann an die Ausschreibung geht, sei die Kostenschätzung nicht selten schon überholt. „Für einige Projekte im Doppelhaushalt 2018/2019 mussten wir die Mittel um 20 Prozent hoch setzen“, benennt er eine Konsequenz. Und selbst bei eingerechneten Preissteigerungen sei nicht sicher, dass es auch Firmen gibt, die den Auftrag übernehmen. „Teils sind Angebote so überdimensioniert teuer abgegeben worden, dass wir die Ausschreibung aussetzen mussten“, erzählt er. Oder die Firmen seien so voll, dass sie erst mit einem Jahr Vorlauf Kapazitäten hätten.

Beispiele gebe es genug. So das Wirtschaftsgebäude des Heimattiergartens. Höchstens 250.000 Euro waren im Budget eingeplant, die Kostenschätzung lag aber bei 400 000 Euro. Es musste mehrmals umgeplant werden. Ursprünglich sollten in den Keller Gästetoiletten rein – gestrichen. Statt komplett neu zu bauen, ist die Bodenplatte vom alten Gebäude erhalten und erweitert worden. „Um bei leistbaren Kosten zu bleiben, mussten wir viel reduzieren“, räumt Guido Schmidt ein.

Die Bauamt-Mitarbeiter würden um die Entwicklung wissen und seien sensibilisiert. So sei beispielsweise der Neubau der Kita Gänsewinkel – Bauherr war die Stadt – in elf Losen ausgeschrieben worden. Diese seien nacheinander vergeben worden. Nach jeder Vergabe habe man geprüft, ob man mit den eingestellten Mitteln ausreicht. Eine Punktlandung. Verbaut wurden dort 2,183 Millionen Euro vom Bund, 242.000 Euro vom Land und – wie geplant – 254.000 Euro Eigenmittel der Stadt. „Ein großes Lob an meine Kollegen, sie machen das mit sehr viel Akribie“, betont der Dezernent.

„Doch wenn sich die Kosten im Laufe des Bauens auf einmal überschlagen, kann man vielleicht im privaten Bereich stoppen, im öffentlichen geht das nicht“, so Oberbürgermeister Bert Knoblauch (CDU). So seien beim An- und Umbau des Gerätehauses Ranies die Angebote meist über den eingestellten Summen gewesen, eine Umplanung jedoch nur mäßig möglich. „Weil diese Maßnahme so wichtig war, haben wir vom Stadtrat beschließen lassen, dass wir das Geld von anderen Projekten nehmen“, erinnert der Stadtchef. Aus den veranschlagten 430.000 Euro sind 503.000 Euro geworden.

Ein weiteres Beispiel ist die Geschwister-Scholl-Straße. Im vergangenen Jahr sollten auf zwei Abschnitten – 425 und 922 Meter – die Nebenanlagen erneuert werden. Im Stadthaushalt waren dafür 1,3 Millionen Euro eingeplant – laut einer Kostenkalkulation vor der unerwarteten Baupreissteigerung. Das zeigte auch das Ergebnis: Auf die Ausschreibung gab es nur ein Angebot und das belief sich auf 3,3 Millionen Euro. Die Stadtverwaltung musste umplanen. Sie ließ die Kosten noch einmal aktuell berechnen und schrieb noch einmal aus und zwar nur den 425-Meter-Abschnitt. Drei Angebote kamen rein. Die Arbeiten laufen derzeit. Die Auftragssumme beträgt 800.000 Euro. Die Nebenanlagen des 922-Meter-Abschnitts sollen 2020/21 realisiert werden, wenn möglich über Fördermittel.

Apropos Fördermittel. Sie seien Fluch und Segen zugleich, so Knoblauch. Einerseits könne sich die Stadt nur deshalb große Projekte mit einem – im Vergleich zu den Gesamtkosten – kleinen Eigenanteil leisten. So wird der verrohrte Abfanggraben (11,6 Millionen Euro) zu 85 Prozent gefördert oder die Verlängerung des Bahnhofstunnels (1,6 Millionen Euro) zu 80 Prozent. „Verwaltung und Stadträten ist klar: So günstig bekommen wir diese Vorhaben nie wieder umgesetzt. Mit dieser Förderhöhe und zu diesen Kosten. Und da der Investitionsstau da ist, reizen Fördermittel und niedrige Zinsen natürlich, Projekte anzugehen“, nennt Bert Knoblauch die eine Seite der Medaille. Guido Schmidt ergänzt die andere: „Doch was hinter Fördermitteln für ein Aufwand für die Verwaltung steckt ... Die Rahmenbedingungen müssen abgeklärt werden, um zu wissen, ob Mittel überhaupt beantragt werden können. Dann der oft seitenlange Antrag. Später die Abrechnung, der Kostennachweis. Das ist eine enorme Arbeit, vorher und hinterher, die von außen keiner sieht, die aber Personal bindet.“

Dennoch wolle man nicht jammern, betonen Oberbürgermeister und Baudezernent unisono. „Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten gerade kleine Handwerksbetriebe Dumpingangebote abgeben, um Aufträge zu bekommen. Es gab oft Schwarzarbeit und viel zu geringe Löhne. Das muss momentan nicht mehr sein. Zum Glück. Und für uns als Stadt ist es ja auch schön, wenn es unseren Firmen gut geht“, so Knoblauch. Mit Blick auf den nächsten Doppelhaushalt werde man für Bauprojekte eine normale Preissteigerung von zwei Prozent beachten, ergänzt Schmidt. Denn die Preisspirale könne ja nicht immer weiter nach oben gehen.

Gab es denn auch schon mal ein Projekt, das günstiger als geplant geworden ist? Der Stadtchef überlegt kurz, muss dann aber zugeben: „In meinen fünf Jahren im Amt habe ich das noch nicht erlebt.“