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Bürgermeister Trümper über Toleranz, Tunnelbau und Hartz IV

Was hat das Jahr 2018 gebracht? Und was sagt die Planung für 2019? Magdeburgs Bürgermeister zieht Bilanz.

Von Rainer Schweingel 27.12.2018, 13:08

Magdeburg l Kurz vor dem Jahreswechsel ist Zeit für eine Bilanz und den Blick voraus. In einer Interviewreihe werden Verwaltungs- und Fraktionschefs befragt - zum Auftakt Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD).

Wie beschreiben Sie die Stimmung 2018 in Magdeburg? Was nehmen Sie wahr?
Lutz Trümper:
Ich nehme eine überwiegend gute Stimmung wahr. Viele sind mit ihrem Leben zufrieden, sehen, dass sie eine ganze Menge erreicht haben und dass sich ihre Stadt weiter entwickelt.

Sagt das auch der Arbeitslose?
Wenn es um persönliche Situationen geht, dann gibt es natürlich große Unterschiede. Der eine fühlt sich sehr wohl. Der andere sucht seit zehn Jahren Arbeit, vielleicht eine spezielle Arbeit, denn es gibt ja viele offene Stellen. Im Großen und Ganzen glaube ich aber, dass sich die Stimmung in Magdeburg verbessert hat und dem angemessen ist, was wir in den letzten 25 Jahren in Magdeburg erreicht haben.

Nehmen wir mal einen kürzeren zeitlichen Abschnitt, sagen wir ab 2015, als die Flüchtlingsdebatte begann und ganz unterschiedliche Stimmungen ausgelöst hat, die viel überlagerte. Sind wir schon durch diese Phase durch?
Das Thema ist nicht durch. Die Hauptfrage für die Menschen bleibt ja: Wie geht es weiter. Die aktuelle Situation haben wir weitgehend im Griff. Die spannende Frage ist nun: Kommen die nächsten zehn Jahre noch mal 4000 oder 5000 nach Magdeburg oder wird das Niveau erst mal gehalten, so dass man gucken kann: Wie schaffen wir das? Wer schafft es von den Menschen, die zu uns gekommen sind, auf den ersten Arbeitsmarkt? Wer macht sich selbstständig? Wer verdient sein eigenes Geld? Wie kann man die Migranten in die Gesellschaft integrieren?

Wie ist jetzt die Situation?
Aktuell kann man nicht sagen, wie es weitergeht. Derzeit haben wir von den Flüchtlingen eine große Zahl im Hartz-IV-System. 20 Prozent der Hartz-IV-Kosten entfallen auf Zuwanderer. Das ist eine enorme Zahl und zeigt, welche Riesenaufgabe wir noch vor uns haben. Unser Ziel kann ja nur sein, alle wieder aus diesem System herauszuholen.

Wie packen Sie das an?
Das geht erst mal mit Qualifikation. Das ist das A und O. Da muss man sich bei den Jüngeren mehr anstrengen. Dort sind die größten Potenziale. Hier muss man schnell verhindern, dass die jungen Leute sehr lange in dem Hartz-IV-System bleiben. Bei den 40- bis 50-Jährigen ist das schon komplizierter, weil dort das Erlernen der Sprache schwieriger ist. Grundsätzlich ist aber die Chance groß, dass man nach einem Deutschkurs Arbeit findet. Aber wir haben auch schon viel geschafft. Die Planzahlen, wie viele wir von den Flüchtlingen in Arbeit bringen wollten, haben wir schon übertroffen. Allerdings mit der Einschränkung, dass es sich überwiegend um einfache Arbeiten handelt, zum Beispiel bei Zustelldiensten. Das reicht vielen im Moment, kann aber auf Dauer nicht die Lösung sein. Wir sind also einen guten Schritt vorangekommen. Die eigentliche Arbeit liegt aber noch vor uns.

Wie beschreiben Sie aktuell die Akzeptanz und Toleranz zwischen den Magdeburgern und den Zuwanderern?
Unterschiedlich. Die Menschen, die sich anstrengen, finden in der Regel große Unterstützung. Hier helfen viele Magdeburger, organisieren Deutsch-Unterricht und versuchen in ihrer Freizeit, sie mit ins Leben einzubinden. Und dann gibt es solche Zuwanderer, die am Strubepark stehen und Drogen verkaufen. Die möchte jeder am liebsten sofort wieder in ihre Heimat zurückschicken, auch weil sie das Bild der anderen Flüchtlinge, die sich anstrengen, in Misskredit bringen. Das sagen übrigens die Flüchtlinge selbst. Da sind wir als Staat noch zu schwach und kriegen das nicht hin, solche Brennpunkte zu beseitigen.

Warum ist der Staat zu schwach?
Wir müssen den Anwohnern immer wieder sagen: Gestern war die Polizei da, hat ein paar Leute mitgenommen. Aber heute stehen dieselben Personen wieder da am Strubepark und verkaufen wieder Drogen. Das ist eine Schwäche, die die Bevölkerung wahrnimmt, weil der Staat nicht konsequent durchgreift.

Warum greift der Staat nicht durch?
Weil die rechtlichen Grundlagen dafür nicht ausreichend sind.

Sie könnten als Stadt doch mit dem Ordnungsamt viel stärker präsent sein. Das wäre ein Anfang.
Das machen wir ja. Wir haben vergangenes Jahr personell aufgestockt. Wir haben dieses Jahr noch mal zehn Stellen draufgepackt, um auch in den Abendstunden Dienst verrichten zu können. Aber das machen wir aus der Not heraus. Eigentlich sind wir in dieser Dimension nicht dafür zuständig. Aber wir machen das. Und wir brauchen dann natürlich für die Mitarbeiter, die nachts unterwegs sind, andere Schutzmaßnahmen. Ich kann die Kollegen nachts nicht ohne jede Eigenschutzmaßnahme in Schwerpunktbereiche schicken. Das geht nicht. Das müssen wir mit der Polizei abstimmen. Ziel ist ja eine Stadtwache.

Da sind wir aber noch keine großen Schritte weitergekommen, weil auch die Polizei nicht genügend Kräfte zur Verfügung hat. Aber klar ist eines: Wir müssen die Präsenz von Menschen in Uniformen abends auf der Straße in Magdeburg erhöhen, vor allem an den Brennpunkten.

Auf wie viele Zuwanderer und Flüchtlinge richten Sie sich 2019 ein?
Wir haben in diesem Jahr ca. 200 Personen zugewiesen bekommen. Wenn das im nächsten Jahr auch so ist, dann ist das verkraftbar. Ich wünsche mir, dass wir nur noch Flüchtlinge bekommen, die einen Aufenthaltsstatus haben. Damit liegt die Frage der Abschiebung nicht mehr bei uns. Und dann wäre es schön, wenn wir nur noch Familien bekommen.

Warum Familien?
Junge alleinstehende Männer – das kann man auf Dauer nicht vernünftig steuern. Familien sind unproblematisch. Wenn die mit ihren Kindern kommen, ist eine ganz andere Chance auf Integration da, als wenn große Gruppen von Männern kommen.

2015/16 mussten Sie um jedes Bett für die Unterbringung von Flüchtlingen kämpfen. Jetzt hat sich die Situation gewandelt. Jetzt wollen Sie aus den teuren Verträgen für Unterkünfte wieder rauskommen. Was aber ist, sollten die Flüchtlingszahlen wieder steigen?
Ich habe hier in den letzten Jahren viel gelernt. Unser Ziel von damals, niemanden in Zelten unterbringen zu müssen, haben wir erreicht. Aber jetzt stehen die Unterkünfte halbleer. Deshalb verhandeln wir, um aus den Mietverträgen wieder herauszukommen.

Um welche Summen geht es da bei Abstandszahlungen & Co.?
In der Summe über alles geht es um Millionen. Wenn wir das geschafft haben, verfügen wir noch über rund 1300 Plätze. Das halte ich für ausreichend.

Mancher wirft Ihnen vor, damals zu schnell Verträge mit viel zu langen Laufzeiten abgeschlossen zu haben.
Wir standen damals stark unter Druck in Sachen Unterkunftsplätze. Niemand konnte voraussehen, wie sich alles entwickelt. Fakt ist aber auch: Wenn jemand drei Millionen Euro in eine Unterkunft investiert hat für uns und wir mit ihm einen Vertrag über zehn Jahre abschließen, dann ist das auch so kalkuliert worden. Eine kürzere Laufzeit hätte natürlich auch höhere Kosten gebracht. Jetzt müssen wir die Überkapazitäten abbauen.

Werfen wir einen Blick auf die Magdeburger, die Arbeit suchen, und den Umstand, dass es Hunderte freie Stellen gibt. Warum bekommt man beides nicht zusammen?
Das muss man differenziert sehen. In Magdeburg gibt es etwa 8000 bis 10.000 Arbeitsuchende, denen 3000 freie Stellen gegenüberstehen. Da muss man auf die Altersstruktur sehen. Da sind viele dabei, die Mitte 50 und älter sind und natürlich mehr Schwierigkeiten bei der Jobsuche haben. Bei den Jüngeren ist die Situation schon besser. Wir haben da schon viel geschafft. Seit 2014 ist die Zahl von Erwerbsfähigen im Hartz-IV-System von 27.000 Personen auf 12.000 gesunken. Und jetzt kommen noch 4000 Personen aus dem Flüchtlingsbereich dazu. Wir haben den Anteil der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher fast halbieren können. Das zeigt, dass das System grundsätzlich funktioniert. Wir haben also mit dem Anspruch Fördern und Fordern in Hartz IV gute Ergebnisse erreicht.

Ihre Partei will aber gerade Hartz IV abschaffen.
Das verstehe ich nicht. Abschaffen kann man vieles. Man muss sich aber fragen, was kommt danach? Ich finde auch die Diskussionen um die Sanktionen völlig absurd. 97 Prozent sind ja von Sanktionen überhaupt nicht betroffen. Und von denen, die betroffen sind, bekommt niemand eine Sanktion, weil er einmal einen Termin verpasst. Wenn aber jemand fünf- oder sechsmal nicht zum Termin erscheint und man das Gefühl hat, der hat gar kein Interesse an einer Arbeitsaufnahme, dann sind Sanktionen absolut richtig. Und man muss vor allem bei den jungen Leuten genau hinsehen. Wenn dort der Eindruck entsteht, man könnte sich im Hartz-IV-System einrichten, dann wird es viel komplizierter und auch teurer für den Staat, ihn da wieder herauszuholen.

Also alles gut bei Hartz IV?
Nein. Verbessern muss man den Abstand zwischen denen, die Arbeit haben, und denen, die sie nicht haben oder wollen. Es muss doch ein Motiv geben, Arbeit anzunehmen. Es müssen also in den Niedriglohnbereichen die Löhne verbessert werden. Das müssen aber die Tarifvertragspartner machen, das kann nicht der Staat übernehmen.

Wenn Sie sagen, unter den Arbeitsuchenden sind viele wenig oder gering Qualifizierte, dann müssten Sie sich doch eigentlich über Ansiedlungen wie Amazon freuen, die nach Magdeburg kommen wollen und vor allem gering Qualifizierte einstellen. Gegenüber der Volksstimme hatten Sie aber jüngst gesagt, dass Sie auf Amazon vor den Stadttoren keinen Wert legen.
Nicht alle, die Arbeit suchen, sind gering qualifiziert. Hier muss man vor Pauschalisierungen warnen. Man kann genauso wenig sagen, die wollen alle nicht arbeiten, wie pauschal zu urteilen, die können alle nicht arbeiten. Es ist eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Dazu gehört für mich auch die Debatte über Zuverdienstmöglichkeiten. Wenn der Arbeitslose demnächst vielleicht noch mehr dazuverdienen darf, dann stellt sich die Frage, warum einer 40 Stunden arbeiten gehen soll, wenn er im Hartz-IV-System plus Zusatzverdienst, ohne 40 Stunden zu arbeiten, weitgehend genauso viel erhält. Das funktioniert eben nicht. Man muss den Einkommensabstand zwischen denen, die arbeiten, und denen, die nicht oder wenig arbeiten, erhöhen.

Worauf können sich die Magdeburger 2019 freuen?
Ich hoffe, dass wir beim Fußball nicht absteigen, dass wir endlich mit dem Brückenbau über die Alte Elbe beginnen können und dass die Sanierung der Schulen in Ottersleben, Diesdorf, des Edithagymnasiums und der Berufsschule in Lemsdorf umgesetzt werden kann.

Was war 2018 für Sie die größte Niederlage, die Sie einstecken mussten?
Am meisten hat mich die Entscheidung der Vergabekammer zum Brückenbau über die Alte Elbe geärgert inklusive der Vertagung auf 2019. Ansonsten gibt es keine großen Sachen, die ich als Niederlage bezeichnen würde. Klar möchte man immer, dass bestimmte Sachen schneller gehen. Nehmen wir die Baustellen. Auf dem Papier ist immer schnell geschrieben, wann was fertig ist. Aber dann geht die Baumaßnahme los. Da tauchen plötzlich unbekannte Leitungen auf. Dann hat die Baufirma nicht genügend Mitarbeiter und schon steckt man im Schlamassel.

Greifen wir mal den Tunnel heraus, der die Magdeburger wohl am meisten ärgert. Vor einem Jahr haben Sie erklärt, den Tunnelbau zur Chefsache zu machen. Was ist seitdem besser geworden?
Es bleibt extrem kompliziert. Wenn eine Baumaßnahme aus dem ursprünglichen Vertragszeitplan heraus ist, hat die Baufirma leider sehr gute Bedingungen. Wir mussten erreichen, dass wir mit der Baufirma auf Augenhöhe verhandeln können. Das haben wir geschafft. Wir haben jetzt eine Arbeitsgruppe aufgebaut, die endlich in der Lage ist, dies zu tun. Ziel ist, eine Vertragsanpassung hinzubekommen, die eine Bausumme und ein Ende vorsieht. Das wollen wir im ersten Quartal 2019 schaffen.

Wann fährt die Straßenbahn wieder?
Das wird Teil der Vertragsanpassung sein. Ziel ist jetzt, dass Ende 2019/Anfang 2020 die Straßenbahn wieder unter den Brücken fährt. Fußgänger und Radfahrer sollen möglichst ab Mai 2019 wieder unter den Brücken durchkommen. Das ist auch notwendig, weil die Bahn die neuen Bahnsteige ab Mai in Betrieb nimmt und dafür unter den Brücken Fluchtwege benötigt.

Mitte dieses Jahres kletterten die Tunnelkosten auf 140 Millionen Euro. Wo stehen wir jetzt?
Immer noch bei dieser Summe. Es ist aber abzusehen, dass das nicht reichen wird. Es wird von der Bauzeit abhängen. Die Firma will demnächst Bauzeit und Kosten definieren. Und dann werden wir darüber verhandeln und schauen, welches Ergebnis erreichbar ist.