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Corona-Pandemie Kein Protest um jeden Preis

Magdeburger Unternehmer distanzieren sich von der bundesweiten Protestinitiative „Wir machen auf“.

Von Katja Tessnow 08.01.2021, 00:01

Magdeburg l Bundesweit ruft eine Initiative „Wir machen auf“ Gastronomen, Händler, Friseure und andere Dienstleister dazu auf, sich ab 11. Januar 2021 über Corona-Schutzregeln hinwegzusetzen und Geschäfte zu öffnen. Online stößt der Aufruf auf ein großes Echo. in Magdeburg distanzieren sich Unternehmer entschieden von dieser Art des Protests. 

„Das ist nicht der richtige Weg“, sagt Rolf Lay. Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft (IG) Innenstadt bündelt die Interessen von mehr als 250 Innenstadtunternehmern vom Gastronomen bis zum Einzelhändler. Hinweise auf eine Beteiligung von IG-Mitgliedern an der Aufmachen-Initiative gebe es aber bisher nicht. „Dem Handel geht es tatsächlich ex- trem schlecht. Leerstände werden stark zunehmen und Existenzen verschwinden“, zeichnet Lay ein dramatisches Bild und sagt: „Aber deshalb gegen das Gesetz zu verstoßen, ist nicht ratsam.“

Initiator der Aufmachen-Aktion, platziert auf dem Online-Kanal Telegram, soll nach eigenem Bekenntnis der Inhaber eines Kosmetikstudios in Krefeld sein. Unterstützt wird der Aufruf zum offenen Rechtsbruch offenbar von Teilen der Querdenken-Bewegung und der Reichsbürgerschaft, aber auch verzweifelten und in ihrer Existenz bedrohten Unternehmern.

„Das wäre fatal“, urteilt Ratskeller-Geschäftsführer Matthias Nawroth über eine Beteiligung von Magdeburger Kollegen an der Aktion, „aber mir ist auch keiner bekannt, der da mitmachen will“. Nawroth kritisiert eine verfehlte Kommunikationspolitik und jeweils zu kurzfristige Shutdown-Verlängerungen, „aber ansonsten hat das alles ja seinen Grund und die jetzigen Entscheidungen der Bundesregierung finde ich gar nicht so falsch“. Natürlich sei eigentlich jede Initiative besser als den Kopf in den Sand zu stecken, so Nawroth, „aber diese hier ist nicht sinnvoll“. Er jedenfalls würde keinem Kollegen raten, auf solche Weise seinen Gewerbeschein und womöglich Ansteckungen zu riskieren.

Dem schließt sich Mückenwirt Uli Bittner an und urteilt über den Aufruf zum Aufmachen ab nächsten Montag: „Das geht absolut nicht.“ Vor allem mit Blick auf Köche und Servicepersonal halte er schweren Herzens und bei Kurzarbeit die Türen des Restaurants geschlossen, „aber im Moment geht es einfach nicht anders. Wir setzen optimistisch auf März, April und die wärmeren Zeiten – dann geht‘s wieder aufwärts.“ Bittner setzt sogar darauf, dass 2021 wieder Oktoberfeste gefeiert werden können. „Wir bereiten uns jedenfalls darauf vor. Und wenn es dann nicht geht, dann nicht. Was bleibt uns übrig?“ Auch er, so Bittner, habe lange mit den Widersprüchlichkeiten mancher Corona-Regelungen gehadert: „Im Supermarkt fasse ich den nicht desinfizierten Einkaufswagen an, aber im durchdesinfizierten Lokal darf ich nicht speisen.“ Inzwischen denke er einfach weniger darüber nach und setze auf Optimismus für den Sommer.

„Die Verzweiflung ist riesengroß, bei uns und fast allen Kollegen“, sagt Mathias Fangohr, der mit seinem Partner Matthias Kunze neben dem Café im Kloster Unser Lieben Frauen die Gastronomie im Gesellschafts- und im Schauspielhaus betreibt. Dennoch hat er Verständnis fürs Schließgebot: „Die Infektionszahlen geben nichts anderes her.“ Eine Öffnung gegen Gesetz und aus Protest lehnt er kategorisch ab, „schon aus Verantwortung für unsere Mitarbeiter und Gäste“. Das Café im Kloster unterhält einen Außenbetrieb, der wirtschaftlich nichts mit Normalzustand zu tun habe, aber immerhin ein paar der nicht durch Hilfsprogramme gedeckten Kosten (zum Beispiel für Kredite und nur gestundete, also aufgeschobene Steuern) einspiele. „Aber wir halten durch und wir schaffen das“, sagt Fangohr.

Einsicht in die aktuelle Corona-Lage gibt auch Gastronom Arno Frommhagen (Flair und Gastro Conzept) zu Protokoll: „Das macht ja keiner aus Schikane“, akzeptiert er den Schließbefehl zu Infektionsschutzzwecken. „Vom Aufruf zum zivilen Ungehorsam mittels Öffnung halte ich gar nichts.“ Allee-Center-Managerin Petra Kann gelobt auf Nachfrage: „Wir werden uns auch weiterhin strikt an alle behördlichen Auflagen halten." Nach ihrer Kenntnis gebe es im Center keine Händler, die trotzt der behördlichen Auflagen ihre Geschäfte öffnen wollen.

Polizei und Ordnungsbehörden sind gewarnt, haben aber laut Polizeisprecherin Tracy Bertram keine Erkenntnisse über eine Beteiligung örtlicher Unternehmer an der Aufmachen-Aktion. Die Kontrollen von Polizei und Ordnungsdienst werden aufrecht erhalten und Verstöße gegen die Corona-Eindämmungsverordnung geahndet. Zum schwerwiegenden Verstoß gegen die Corona-Regeln war es im Oktober 2020 gekommen, als sich bei einer unerlaubten Party in einer Magdeburger Lokalität mehr als 80 Gäste mit dem Coronavirus infizierten – inzwischen ein Fall für die Staatsanwaltschaft.