1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Freizeit zwischen Angst und Idylle

Coronavirus Freizeit zwischen Angst und Idylle

Die Magdeburger versuchen Ruhe zu bewahren, was das Coronavirus angeht. Doch viele werden von Existenzängsten geplagt.

Von Christina Bendigs 18.03.2020, 11:34

Magdeburg l „Früher hat man immer gefragt, ob der andere noch Arbeit hat. Heute fragt man: Bist du noch gesund?“, sagt Brigitte Gaube. Am Dienstag ist sie im Allee-Center unterwegs, um gemeinsam mit ihrem Mann die notwendigen Einkäufe zu erledigen. „Wir hamstern nicht. Und was die Leute mit so viel Toilettenpapier wollen, ist uns ein Rätsel“, sagt sie schmunzelnd.

Die Ausbreitung des Coronavirus nimmt das Rentner-Paar „ruhig“, sagt Brigitte Gaube. Die Hände habe sie sich sowieso schon oft gewaschen, nun reinigt sie sie noch einmal öfter. Ihr Mann ging regelmäßig zum Schwimmen. Das fällt nun aus angesichts geschlossener Bäder. Und sie selbst kann derzeit keine Physiotherapie in Anspruch nehmen. Die Schließungen halten die beiden für vernünftig. Die Arbeit werde ihnen nicht genommen. Die Gartensaison gehe langsam los, so dass sie dort zu tun haben werden. Ansonsten versuchen sie, keine Hektik oder Panik aufkommen zu lassen.

Mit Schließungen gerechnet hat ein Senior aus Staßfurt. Der ist am Dienstag im Allee-Center unterwegs, um für einen Angehörigen noch etwas abzuholen. Die Schließungen habe er erwartet, als Bayern als erstes deutsches Bundesland weitreichende Maßnahmen ergriffen hatte. „Was ich nicht verstehe ist, warum die anderen Bundesländer nicht nachziehen“, sagt er. Er selbst gehört mit seinen über 80 Jahren zur Risikogruppe Nummer 1, wie er sagt: „Man muss schon aufpassen.“

Zum Einkaufen nimmt er daher Handschuhe mit, Alltagsgegenstände desinfiziert er. Das eigene private Leben schränkt er auch ein. Sein Fitnessstudio sei noch geöffnet, er gehe aber nicht mehr hin, sagt er. Und auch seine Frau nutze das Angebot nicht mehr. Freunde würden die Eheleute nicht meiden. Doch hätten diese von sich aus gesagt: Das lassen wir jetzt mal lieber sein. Das nachmittägliche Eis in Staßfurt lassen sich die beiden jedoch nicht nehmen, „die Tische waren weit auseinandergestellt“, so dass das Risiko sich anzustecken minimiert werde.

Genau das geschieht am Dienstagnachmittag auch auf der Terrasse des Alex Magdeburg, wo bereits Stühle gerückt werden, während die beiden Staßfurter ihre Einkäufe erledigen. Das Café am Ulrichplatz ist ein beliebter Ort, um in der Nachmittagssonne die ersten warmen Frühlingstage zu genießen. Es gehört zu jenen Restaurants, die geöffnet bleiben dürfen, wie Mandy Tränkner als Geschäftsführerin berichtet. Zwischen allen Tischen muss aber ein Mindestabstand eingehalten werden, um die Infektionsgefahr für die Gäste zu minimieren. Koch Christian Fischer und eine weitere Mitarbeiterin räumen nach und nach Stühle und Tische beiseite. Im Restaurant selbst sind Besucher angehalten, auf Platzanweisungen durch das Personal zu warten. Auf diese Weise soll auch dort der Mindestabstand gewahrt werden, der von den Behörden vorgeschrieben ist. Von einem normalen Restaurantalltag kann nicht die Rede sein. Nicht nur Mitarbeiter sind aufgrund von Schul- und Kita-Schließungen bereits weggeblieben, wie Mandy Tränkner erzählt.

Auch die Zahl der Gäste sinkt im Alex. „Normalerweise sind wir an den Wochenenden meist ausreserviert“, sagt sie. Inzwischen sind für die Wochenenden noch Plätze zu bekommen. Die Mindestanzahl von 50 Menschen im Raum werde eingehalten, sagt sie. Sorgen um die Zukunft macht sie sich trotzdem: „Privat ist es eine Katastrophe, so wie bei jedem anderen auch.“ Vor allem die finanziellen Einschränkungen bereiten Ängste. Auch ihre eigenen Mitarbeiter könnten betroffen sein. Doch diesbezüglich gelte es jetzt erst einmal abzuwarten, wie sich die Situation entwickelt. „Die Mitarbeiter haben Verständnis. Und wir versuchen, eine faire Lösung zu finden“, sagt die Betriebsleiterin. Verständnis für die Maßnahmen hat sie trotzdem. „Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor dem, was uns gerade passiert. Die Gesundheit geht vor“, sagt sie.

Die bittere Erfahrung der Einschränkungen musste auch Mandy Dorendorf aus Magdeburg machen. Als Selbstständige war sie in der Gastro-Branche tätig. „Jetzt habe ich frei“, sagt sie. Kurzarbeitergeld gebe es für sie nicht. Existenzsorgen begleiten sie. „Es ist alles abgesagt, ob Veranstaltungen nachgeholt werden und wenn überhaupt ab wann, das ist fraglich“, sagt sie besorgt, „für mich ist es eine Katastrophe“, sagt die Alleinstehende.

Aktuell ist es für ihre Schwester jedoch ein Glück: Denn so kann Mandy Dorendorf gemeinsam mit ihrer Mutter Margit Dorendorf auf Nichte Emma aufpassen. Die geht eigentlich in die erste Klasse und sollte jetzt Rechnen, Schreiben und Lesen lernen. Das Mädchen ist hin- und hergerissen: „Ich finde es schade, nicht zur Schule gehen zu können. Aber Ferien sind auch mal schön.“ Nur dass in diesen Ferien einiges anders ist und die vielen Freizeiteinrichtungen, in denen Schulkinder normalerweise erlebnisreiche Ferien verbringen könnten, geschlossen sind. Und so unternimmt die Familie angesichts des guten Wetters derzeit Picknicks und Fahrradtouren an der frischen Luft. Den gestrigen Nachmittag verbrachten sie am Adolf-Mittag-See – in gebührendem Abstand zur nächsten Picknick-Decke.

Die Parks der Stadt scheinen Rückzugsorte zu sein. dort herrscht am Dienstag lebendiges Treiben. In kleinen Grüppchen sind Schüler und Studenten unterwegs. Auch der Eiswagen von „Puntschella“ steht am gewohnten Platz an der Sternbrücke, wo auch Mitarbeiter der Parkwacht gerade ein Eis schlecken und Mitarbeiterin Claudia Jungmann eine Kugel Eis nach der anderen verkauft. Erst in der vorigen Woche habe die Saison begonnen. Am Montag verzeichnete sie bei bis zu 17 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein top Umsätze. Doch ob sie auch in den nächsten Tagen mit dem Eiswagen vor Ort sein darf, ist fraglich. Wie es für die Angestellte weitergeht, ist daher auch noch ungewiss. Abwarten lautet auch für sie die Devise.

Auf der Terrasse des Le Frog genießen Amélie und Virginia den gestrigen Nachmittag. Amélie geht eigentlich in Wolmirstedt zur Schule. Doch die Schulschließungen bescheren ihr viel freie Zeit. Es seien zwar Aufgaben erteilt worden. Diese würden aber keineswegs den Schulalltag ersetzen. „In der Schule könnte man beim Lehrer noch mal nachfragen und es sich erklären lassen“, sagt sie. Diesen Austausch gibt es jetzt nur via Internet oder mit Freunden. Sie selbst geht in die neunte Klasse. Vor allem für die Abschlussjahrgänge sieht sie Probleme. Insgesamt hält sie sich eher zu Hause auf, sagt sie. Aber das Treffen mit der Freundin im Café will sie sich auch nicht nehmen lassen. In voll besetzte Cafés würden sich die beiden aber angesichts des Coronavirus nicht mehr setzen. Virginia arbeitet bereits als Altenpflegerin. Die Besuche sind stark eingeschränkt, es werde besonders auf die Handhygiene geachtet.

Orte, an denen sich das Virus schnell verbreiten kann, sind auch die Spielplätze der Stadt. Und die waren am Montag nach den Kita- und Schulschließungen auch deutlich in Beschlag genommen. Am Dienstag scheint es etwas ruhiger geworden zu sein. Auch Familie Tabbert aus Burg wollte mit ihrem Sohn eigentlich nicht auf den Spielplatz im Rotehornpark gehen. „Wir wollten an der Elbe spazieren gehen“, erzählen die Eltern. Doch als kaum Kinder auf der MS Rotehorn tobten, gestatteten sie ihrem Sohn das Spielen. Dessen Vater ist Binnenschiffer und oft zwei Wochen am Stück nicht zu Hause. Die Mutti arbeitet im Krankenhaus. Wenn ihr Mann wieder los muss, wird ihr Sohn wieder in die Kita gehen. „Und hoffentlich werden dann auch ein paar Kumpels da sein“, sagt die Mutter, die für die Betreuung eine Bescheinigung vom Arbeitgeber ausfüllen lassen musste.

Die Familie lebt in einem Haus mit Hof und Grundstück. „Wenn man mit drei Kindern in einer Vier-Raum-Wohnung in der Stadt sitzt, kann ich mir vorstellen, dass das wirklich schwierig für die Familie werden kann“, sagt die Mutti. Die Nachrichten erinnern sie aktuell an kriegsähnliche Zustände. „So etwas haben wir noch nicht erlebt“, sagen sie und blicken ebenfalls mit einem mulmigen Gefühl in die Zukunft.

Die Medizinstudentinnen Kareen Hoffmann und Linda Gstettenbauer sind am Dienstag mit dem kleinen Henri in der Stadt unterwegs. „Ich bin froh, dass ich noch in Elternzeit bin und nicht mit Kita-Schließzeiten zu kämpfen habe“, sagt Linda Gstettenbauer. Ihr Mann ist Arzt. Eine Lösung zu finden, wäre sicher schwierig. Obwohl der Uni-Betrieb aktuell ruht, sind die Medizinstudenten der Uni Magdeburg dennoch aktiv. „Wir wurden gefragt, ob wir mit aushelfen könnten“, erzählt Kareen Hoffmann. Statt zum Campen zu fahren, wird sie ab der nächsten Woche in der Notaufnahme aushelfen. In Berlin seien Medizinstudenten bereits in pflegerische Aufgaben eingebunden. Dass sie sich selbst mit dem Virus anstecken könnten, darum machen sich die beiden zunächst keine Sorgen. Denn sie würden nicht zur Risikogruppe gehören. Menschenansammlungen würden sie dennoch meiden. Die Hoffnung ist, dass sie bald weiterstudieren können und irgendwann als ausgebildete Ärzte helfen können.

Zu der Frage, was man nun noch darf, erklärte Stadt-Pressesprecherin Kerstin Kinszorra am Dienstag, dass das Gebot, Menschenansammlungen zu meiden, gelte. „An die frische Luft sollte jeder, dem das möglich ist“, sagt sie, „aber eben nicht mit mehreren Personen.“ Durch die Verordnung des Landes, die am Mittwoch in Kraft trat, hätten sich die meisten Möglichkeiten zu Menschenansammlungen erledigt. Kinszorra: „Wir bauen auf die Vernunft der Menschen und die Einsicht, dass jeder zum Schutz aller auf Kontakte zu anderen Menschen verzichtet.“

Alle aktuellen Entwicklungen zum Thema Corona in Magdeburg und Sachsen-Anhalt finden Sie hier in unserem Live-Ticker.