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Coronavirus Schwere Vorwürfe gegen Magdeburger Heim

Nach dem Corona-Tod dreier Bewohner eines Magdeburger Heims gibt es schwere Vorwürfe. Was der Geschäftsführer dazu sagt.

Von Marco Papritz 09.12.2020, 00:01

Magdeburg l Aktuell ist die Einrichtung, die von Wohnen und Pflegen Magdeburg (WuP), einer gemeinnützigen GmbH der Stadt, im Sommer eröffnet wurde, nicht zugänglich. Elf Mitarbeiter und zwölf Bewohner sind positiv auf das Coronavirus getestet worden – drei Senioren sind verstorben, bestätigte Geschäftsführer Norbert Lendrich am Montag gegenüber der Volksstimme. Wann genau der erste Fall auftrat, darüber herrscht Unstimmigkeit.

Eine Mitarbeiterin soll am 16. November positiv getestet worden sein, was von einer leitenden Pflegefachkraft einige Tage verschwiegen worden sei, „obwohl andere Mitarbeiter Kontakt hatten“, berichtet eine Person aus dem direkten Umfeld gegenüber der Volksstimme. Sie will ano­nym bleiben. Am 20. November habe das Gesundheitsamt zunächst die Bewohner von zwei der drei Wohnbereiche des Hauses getestet, vier Tage später dann den dritten. „Bis dahin kam es zu keinen Tests der Mitarbeiter.“

Dies werde in der Fieberambulanz nachgeholt – vielfach mit positivem Ergebnis. Dazu heißt es aus dem Mitarbeiterkreis, dass lange keine Anordnung zur Flächendesinfektion (Handläufe, Türklinken ...) existiert habe, sogenannte Kittelflaschen zum Mitführen fehlen würden. „Das heißt, wenn ich in einem Zwei-Bett-Zimmer arbeite und von einem Bewohner zum nächsten gehe, muss ich erst den Raum aufsuchen, wo sich der nächste Desinfektionsspender befindet, um dann wieder zurückzugehen und den anderen Bewohnern versorgen zu können.“

Zudem soll nicht ausreichend Bettwäsche zur Verfügung stehen. „Bewohner liegen auf Tischdecken, Wolldecken oder beschmutzter Wäsche.“ Zur Situation sei eine Schweigepflicht auferlegt worden. Und: In der Fieberambulanz sollten die Mitarbeiter angeben, dass sie mit den sogenannten FFP2-Masken arbeiten würden, die sie „aber nicht zur Verfügung hatten“.

Zu diesen schweren Vorwürfen wolle man sich nicht äußern, verweist die stellvertretende Leiterin der Einrichtung eine Anfrage an den Geschäftsführer von WuP, Norbert Lendrich. Dieser zeigt sich überrascht und kann die Angaben in einem Gespräch mit der Volksstimme nicht nachvollziehen, wie er betont. Der erste Corona-Fall in Salbke sei am 20. November bekanntgeworden und dann alles Notwendige umgehend eingeleitet worden. „Dass nicht alle Bewohner mit einem Mal und die Mitarbeiter gleich mit getestet wurden, was ideal gewesen wäre, wurde so vom Gesundheitsamt angeordnet“, sagt Lendrich.

Den konkreten Vorwurf, es gebe nicht genügend Desinfektions- und Schutzausstattung für die Mitarbeiter, kann er nicht nachvollziehen: „Alles steht in großer Anzahl zur Verfügung.“ Zudem würden regelmäßig Qualitätstests vorgenommen, um die Arbeit zu überprüfen. Dass „gravierende Missstände – wenn es sie geben sollte – nicht direkt mit der Hausleitung, den Vertrauenspersonen, mit der Geschäftsführung oder gar der Heimaufsicht angesprochen wurden“, mache ihn stutzig.

Zugleich hebt Lendrich die hohe Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter von WuP hervor, die „seit dem Ausbruch der Pandemie noch mehr gefordert sind“. Dass während des ersten Lockdowns der Krankenstand innerhalb von WuP zurückgegangen ist, wertet Lendrich als Zeichen des Engagements und der Verantwortung. Das Salbker Haus ist das einzige WuP-Haus, in dem bislang das Coronavirus festgestellt wurde.

Dort fallen Mitarbeiter aus, so dass am 25. November „in Absprache mit dem Betriebsrat ein Notfallbetrieb ausgerufen werden musste“, so Lendrich. Das heißt, dass die Arbeitszeiten auf zwölf Stunden und die Arbeitstage auf sieben ausgedehnt wurden – per freiwilliger Erklärung, „die von allen mitgetragen wurde“. Oder wie es aus dem Mitarbeiterkreis heißt, als „freiwilliger Zwang“.

Eher unfreiwillig blieben in diesen Tagen die Besucher in den WuP-Heimen außen vor. Sie bekamen wegen fehlender Schnelltestmöglichkeiten keinen Zugang, was für Kritik von Angehörigen sorgte. Oberbürgermeister Lutz Trümper hatte sich nun die Pflegeheime regelrecht vorgeknöpft. Seiner Anordnung zu Schnelltests für Mitarbeiter und Besucher vom 23. November sei nur sehr schleppend nachgekommen worden, wie er kürzlich bei einer Pressekonferenz zur Corona-Lage wissen ließ.

Auf der anderen Seite stieg die Zahl der Infizierten in den Heimen. „Ich bin wütend, denn die Senioreneinrichtungen sind ein äußerst sensibler Bereich“, sagte Trümper zur Volksstimme. Er verweist darauf, dass etwa 70 Prozent der Todesfälle mit einer Covid-19-Erkrankung aus Altenheimen stammen. Am Freitag wurde gemeldet, dass in einem Heim der Caritas 17 Bewohner positiv getestet wurden.

Norbert Lendrich sagt, dass binnen zwei Wochen die Test­anordnung umgesetzt wurde. 88.000 Tests stünden zur Verfügung, die notwendigen Schulungen der Mitarbeiter durch Hausärzte werde in dieser Woche abgeschlossen, „so dass Besuche wieder möglich sind“.

Die geschilderten Missstände seien der Heimaufsicht übrigens nicht bekannt, wie es vom zuständigen Sozialministerium heißt. Die Heimaufsicht habe die Einrichtungsleiterin zu dem Vorwurf befragt, „die ihn als unberechtigt zurückgewiesen hat“.

Wie schwer die Vorwürfe wiegen können, zeigt eine Nachfrage beim Landgericht. Sollten die Mitarbeiterangaben stimmen, dass in Bezug auf das Coronavirus schlampig gearbeitet und etwas verschwiegen wurde, kämen verschiedene Tatbestände in Betracht, die von fahrlässiger Körperverletzung bis zu fahrlässiger Tötung reichen. Ein Verfahren in der Sache „Haus Salbke“ wurde bislang nicht eröffnet, wie es weiter heißt.