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Finanzen Das Magdeburger Tunneldesaster

Magdeburgs Oberbürgermeister bekennt sich zur politischen Verantwortung für das finanzielle Tunneldesaster. Konsequenzen: keine.

Von Katja Tessnow 09.12.2017, 00:01

Magdeburg l Die Fraktion Linke/future! zog das Äußerste in Erwägung – Tunnelbaustopp in Magdeburg. Ihr Antrag auf Prüfung einer Verwandlung der Tunnel- in eine oberirdische Straßenbaustelle fiel im Stadtrat Magdeburg am 7. Dezember 2017 sang- und klanglos durch. Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) nannte ihn eine „Verkohlung und Verarschung der Bevölkerung“.

Es sei nicht mehr möglich, aus dem Projekt auszusteigen. Eine Ratsmehrheit aus CDU/FDP/BfM und SPD folgt Trümper und hält dem Tunnel zähneknirschend und mit Unwohlsein die Stange.

Zwei Stunden debattierte der Stadtrat am Donnerstag das Dilemma – emotional, wutschnaubend, ärgerlich, hilflos und teils reumütig. Von Freude keine Spur; bei niemandem. Der Anlass ist zu bitter.

Zu befinden hatten die Magdeburger Räte über die weitere Steigerung der Baukosten auf nun 139 Millionen Euro. Allein der städtische Anteil schnellt von zuletzt 42 auf 67 Millionen Euro. Grünenfraktionschef Olaf Meister erachtet selbst diese Rechnung als geschönt. „Sie tragen 22 Millionen Euro als Fördergeld vom Land ein, die es real gar nicht gibt, so dass wir bei fast 90 Millionen allein aus dem Stadthaushalt liegen.“

Das Land Sachsen-Anhalt ist schon vor dem Baustart aus der Projektförderung für den Magdeburger Tunnel ausgestiegen, überweist der Stadt aber jährlich viereinhalb Millionen Euro als Straßenbaupauschale. Die Stadt Magdeburg schiebt das Geld – während des Baus bis 2019 fließen 22 Millionen – komplett in die Tunnelkasse und zahlt andere Straßenbaumaßnahmen allein. Trümper kann die Kritik daran nicht nachvollziehen.

Finanzausschusschef Reinhard Stern (CDU) mahnte mehr Transparenz bei der Lagebeschreibung und einen neuen Zeitplan an: „Der Bau muss bis 2019 fertig sein!“ Aktuell kann das niemand versprechen. Daneben verwies Stern auf 137 Nachträge, die nicht abgearbeitet seien. „Im Ausschuss können wir immer nur zur Kenntnis, aber keinen Einfluss nehmen.“ Tunnelgegner Jürgen Canehl (Grüne) fuhr Stern in die Parade: „Sie waren es doch und der damalige Minister Daehre, die den Tunnel gegen Warnungen selbst aus den eigenen Reihen durchgeboxt haben.“

Canehl und sein Fraktionskollege Tom Assmann regten an, zu überdenken, ob man die Passage unter den Bahnhofsbrücken nicht gänzlich für den Autoverkehr sperren sollte. Dann bräuchte es keinen Tunnel. Heftiges Geraune. Empörung. Trümper, wutschnaubend: „Das sagen Sie mal den Leuten in Stadtfeld, dass da kein Auto mehr durchfährt.“

Linke und Grüne bleiben erklärte Tunnelfeinde. Zunehmend Reue zeigt die jeher zum Tunnel gespaltene SPD-Fraktion. „Man kann heute sagen, der Tunnelbau war die schlechteste Ratsentscheidung überhaupt“, sagte Marko Ehlebe. SPD-Fraktionschef Jens Rösler nannte die Situation „absolut misslich“ und gestand: „Es graust mich, was noch auf uns zukommt, wenn wir erst die Minusebene ausbuddeln.“ Linke-Fraktionschef Oliver Müller nannte einen „verwerflichen Umgang mit Steuergeld“, was gerade in die neue Röhre versenkt wird.

Der Oberbürgermeister nennt das Ganze „ein Desaster“ und räumt ein, den Durchblick verloren zu haben. „Ich würde gerne für Transparenz sorgen, aber dazu muss ich es erst mal selbst verstehen.“ Trümper hat keine Erklärung für die Fehlplanung. „Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte.“

Weil „nicht baubar“ gewesen sei, was 2015 beauftragt wurde, wird nun baubegleitend neu geplant: „Da hat man schon verloren“, sagt Trümper und kann nicht sagen, was der ganze Bau am Ende kosten wird. „Im Moment schicken Horden von Anwälten sich täglich Briefe hin und her.“

So viel ist sicher – ein Ende der Fahnenstange ist in Sachen Teuerung noch nicht erreicht. Politisch sieht sich Trümper selbst in der Verantwortung, sachlich kann oder will er keinen Schuldigen benennen. Einen „Offenbarungseid“ nannte Grünenfraktionschef Meister das Statement des Stadtoberhauptes.

Am Ende stimmten CDU/FDP/BfM und SPD (31 Stimmen) geschlossen fürs Weiterbauen und -bezahlen. 12 Räte von Linken und Grünen sagten Nein, drei enthielten sich. Abgelehnt wurde neben dem Baustopp-Antrag der Linken auch die Forderung nach Einsetzung eines Sonderausschusses zum Tunnelbau (Antrag Links für Magdeburg).

Auf Antrag von CDU/FDP/BfM – der Wunsch fand eine Mehrheit – muss Trümper ab Januar 2018 in jedem Quartal über die Lage an der Baustelle berichten.

Ebenfalls angenommen hat der Stadtrat Magdeburg einen Antrag der SPD, wonach die Stadtverwaltung dem Stadtrat bis März 2018 die geänderten Pläne für die Außen- und Umfeldgestaltung vorzulegen hat. Wenn der Tunnel schon so verdammt teuer würde, solle er am Ende nicht auch noch die Innenstadt verschandeln. „100.000 Euro mehr oder weniger machen’s jetzt auch nicht mehr dicke“, sagte Fraktionschef Rösler. „Der soll ja dann hundert Jahre oder noch länger da stehen.“