Gescheiterte Existenzgründung in Magdeburg: Corona und der geplatzte Plan B
In der Pandemie ein Geschäft zu eröffnen, ist mutig. Erst recht, wenn man damit die eigene drohende Arbeitslosigkeit abwenden will. Eine Magdeburgerin hat genau das versucht – und muss nun doch aufgeben. Die Volksstimme besuchte sie.

Magdeburg - Die Modepuppen sind nackt. In den teils eigenhändig restaurierten Regalen sammeln sich die letzten bunten Holzfiguren an Schlüsselanhängern. In der Ecke ist ein Schirm mit Marilyn-Monroe-Motiv aufgespannt. „Corona hat uns ausgebremst“, steht in handgeschriebenen Buchstaben auf den Zetteln an den Fenstern.
Am 16. Juli 2020 erfüllte sich Karola Koj den Wunsch eines eigenen Ladens und eröffnete ihre Boutique. Aber die Einbußen durch die Corona-Pandemie sind zu groß, die Einnahmen zu gering. Nicht mal ein Jahr später muss sie die Türen schließen. Als sie ihre Geschichte erzählt, wird sie emotional. Denn in Karola Kojs „Plan B.outique“ gibt es nur noch die Überreste zu finden. Die Überreste eines Plan B, der nicht aufgegangen ist.
Alles fing im Juni letzten Jahres an. Da wurde das Modegeschäft, in dem die 56-Jährige zuvor acht Jahre arbeitete, geschlossen. Um nicht plötzlich ohne Job dazustehen, nutzte die gelernte Einzelhandelsverkäuferin die Chance dazu, sich selbstständig zu machen.
Sie übernahm die 131 Quadratmeter großen Räumlichkeiten und plante die Eröffnung ihres eigenen Ladens, in dem neben Damenbekleidung auch Deko-Artikel, Möbelstücke und Holzspielzeug für Kinder angeboten werden sollte. „Das war mein Plan B gegen die Arbeitslosigkeit“, erklärt sie den Namen.
Die drei Wochen vor Eröffnung bezeichnet sie als „Hauruckaktion“. Eltern, Freunde und Bekannte hätten geholfen, innerhalb kürzester Zeit alles auf die Beine zu stellen. Um sich nicht zu verschulden, verzichtete sie auf einen Kredit. Ihre Mutter unterstützte sie bei der fälligen Kaution. „Ohne meine Familie und Freunde wäre ich schon früher verzweifelt“, sagt sie heute dankbar.
Da die Eröffnung so spontan und schnell ablief, hatte sie keine Zeit, sich ausgiebig mit Gründungszuschüssen, Fördergeldern oder Coachings zu befassen. Die Sommermonate liefen zwar erst mal gut, die Einnahmen deckten die Kosten, aber Koj war auf der Suche nach finanzieller Unterstützung, auch um die geliehene Kaution zurückzuzahlen. Zunächst wandte sie sich an die Stadt Magdeburg. Corona-Hilfen etwa standen ihr aber nicht zu. „Da Sie Ihren Betrieb erst im Frühjahr 2020 gegründet haben, erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen, um diese Hilfen zu beantragen“, steht im offiziellen Schreiben von Oberbürgermeister Trümper. Der Dezember läutete den zweiten Lockdown ein und damit den Beginn einer Odyssee aus weiteren Schreiben, Ablehnung und Enttäuschung. Zwei Tage mit „50 Prozent auf alles“ waren Kojs Versuch, sich ein kleines Polster aufzubauen.
Laden zählte nicht als Neugründung
Aber dass die Schließung bis weit nach Weihnachten andauerte, damit hätte sie nie gerechnet. Anfang dieses Jahres verfasste sie Schreiben an den CDU-Abgeordneten Tino Sorge, Ende Februar sogar an Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Die Antworten – ob per Telefonanruf oder E-Mail – fielen ähnlich aus wie die von Trümper. Sie könne von Corona-Soforthilfen bzw. Überbrückungshilfen keinen Gebrauch machen, hieß es. Der Grund war immer derselbe: Koj eröffnete mitten in der andauernden Pandemie. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie schrieb, es sei davon auszugehen, sie habe „unter Kenntnis der Corona-Pandemie das wirtschaftliche Risiko auf sich genommen“. Ein weiteres Argument: Ihr Laden zähle nicht als Neugründung. Jede neue Zurückweisung fühlte sich für Koj furchtbar an: „Die haben das schön umschrieben, aber es bedeutet einfach nur: Pech gehabt. Und jeden Abend hat man im Fernsehen von Corona-Hilfen gehört. Aber wo sind die für Leute wie mich?“
Auch der fehlende Internetauftritt erschwerte die Angebote von Click&Collect und Click&Meet. „Ich habe mich in Eiseskälte vor die Tür gesetzt und gewartet, dass Leute ein Shirt kaufen wollen. Ich konnte mir in der kurzen Zeit vorher keine Rücklagen bilden.“
Um die Kosten zu decken, hätte sie mehr als dreimal so viel einnehmen müssen. „Meine beiden Aushilfskräfte musste ich entlassen. Seit Februar war ich eigentlich immer alleine, acht Stunden an sechs Tagen der Woche“, blickt sie zurück auf die schwierige Zeit. Ein eigenes Gehalt konnte sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auszahlen und beantragte zunächst Grundsicherung.
Menschen kamen, um ihre Probleme abzuladen
Koj ist nicht die Einzige mit finanziellen Sorgen während der Pandemie. Viele Kunden seien aus Einsamkeit gekommen und um ein paar Worte zu wechseln. „Der Laden war auch eine Anlaufstelle, man kannte mich. Viele kamen, um ihre Probleme abzuladen. Einmal kam eine Friseurin und weinte, weil es ihr auch so schlecht ging“, erzählt sie. Situationen wie diese werden zur Zerreißprobe.
Im März war Koj endgültig an ihre Grenzen gelangt. „Das war dann der Zeitpunkt, an dem ich kein Geld mehr hatte.“ Ihr war klar, dass sie aus dem Mietvertrag rausmüsse, „damit ich nicht in die Insolvenz rutsche“. Die Wobau sei ihr sehr entgegengekommen. Ende Juni endet der Vertrag nun offiziell. Die Mietkosten wurden mit der Kaution verrechnet, so käme sie immerhin ohne großen Schuldenberg aus der Sache raus, erzählt sie.
Während Karola Koj in der letzten Woche noch einmal mit gewohntem Elan für ihre letzten Kunden da war, musste sie sich auch immer wieder kurz sammeln, die ein oder andere Träne konnte nicht mehr zurückgehalten werden. Sie hat eine Verlängerung der Grundsicherung beantragt, müsse sich jetzt erst mal von dem Jahr erholen. Trotz allem zeigt sie sich aber auch schon positiv: „Das schaffen wir auch noch. Und wer weiß, vielleicht mache ich irgendwann noch mal einen kleinen Laden auf.“