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Im Gespräch mit Marc Stefan Sickel, Verwaltungsdirektor und Vizegeneralintendant am Theater Magdeburg "Ich werde nicht dafür bezahlt, Horrorszenarien an die Wand zu werfen"

30.04.2012, 03:35

Das Theater hat Geldsorgen. Das ist nicht neu. Aktuell reißt der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ein neues Millionenloch ins Budget. Verwaltungsdirektor Marc Stefan Sickel sprüht im Gespräch mit Volksstimme-Redakteurin Katja Tessnow nichtsdestotrotz nur so vor Optimismus.

Volksstimme: Ab August erhöht das Theater erneut seine Ticketpreise. Eine Schauspielkarte kostet dann im Normaltarif 17 Euro. Es ist noch kein Jahrzehnt her, da konnten die Magdeburger für unter zehn Euro eine Schauspielaufführung besuchen ...

Marc Stefan Sickel: Die Zeiten sind vorbei und das ist auch richtig so. Angesichts dessen, was das Theater kostet und dass es mit Steuergeldern hochsubventioniert wird, haben wir eine Verantwortung für eine vernünftige Preisbildung, die es ermöglicht, dass das Theater einen Teil seiner Kosten selbst erwirtschaftet. Es kann nicht sein, dass wir nach dem Motto einladen, kommt alle her, das kostet fast gar nichts. Was hier produziert wird, hat seinen Preis. Das muss auch dem Publikum bewusst sein.

Volksstimme: Aber das Theater hat auch einen Bildungsauftrag und die Gesellschaft allgemein den Anspruch, dass sich jeder den Besuch leisten können muss. Sie haben, bevor Sie nach Magdeburg wechselten, an der Oper in Franfurt am Main und beim europäischen Kulturhauptstadtprojekt "Ruhr 2010" in Essen gearbeitet. Kommen Ihnen im Vergleich die Eintrittspreise in Magdeburg lächerlich gering vor?

Marc Stefan Sickel: Ein Vergleich mit den Verhältnissen in Frankfurt am Main oder etwa an der Bayerischen Staatsoper, die 40 Prozent ihrer Kosten selbst erwirtschaftet, ist unmöglich. Ich habe schon ein gutes Gefühl dafür, was hier möglich ist und weiß, dass sich die Eintrittspreise an der hiesigen Kaufkraft orientieren müssen. Es wäre katastrophal, mit einer unvernünftigen Preisbildung das Publikum zu verprellen. Nichts ist schwieriger als einmal verlorene Theatergänger wieder zurückzugewinnen. Wir haben unsere Auslastung 2011 mit 165000 Zuschauern auf 80,5 Prozent und unseren Kostendeckungsgrad auf 11,7 Prozent steigern können. Damit sind wir in Sachsen-Anhalt mit Abstand vor Dessau und Halle absolute Spitze.

Volksstimme: Stechen einzelne Sparten in der Auslastung heraus?

Marc Stefan Sickel: Musical geht am besten. Magdeburg ist offenbar eine Musicalstadt. Der Konzertbereich kommt auf sehr gute 87,7 Prozent, aber auch das Ballett ist gut ausgelastet. Und daran ist - Sie können gerne unsere Unterlagen einsehen - nichts schöngerechnet.

Volksstimme: Sie glauben also nicht, dass die Preisanhebung das Theater Gäste kosten wird.

Marc Stefan Sickel: Wir sind gemäß dem vom Stadtrat beschlossenen Konsolidierungskonzept verpflichtet, unsere Eintrittspreise alle zwei Jahre zu reformieren. Das folgt einer Systematik, der wir uns gar nicht entziehen können. Wir legen großen Wert auf die Beibehaltung des Ermäßigungssegmentes, haben zum Beispiel für das Weihnachtsmärchen sogar den Eintrittspreis gesenkt und vorwiegend im Normal- und Spitzentarif moderat die Preise erhöht. Das ist verantwortbar. Wir wollen jährlich 100000 Euro Mehreinnahmen mit dem Ticketverkauf erzielen.

Volksstimme: Aber Ihr finanzielles Problem ist viel größer. Eben erst hat die Stadt ihren Zuschuss 2012 für das Theater um eine halbe Million auf knapp 15,6 Millionen Euro aufgestockt und dem Haus damit zu einem ausgeglichenen Wirtschaftsplan 2012 verholfen, da schlägt der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst eine neue Riesenlücke ins Budget. Eine halbe Million Euro fehlt im laufenden, sogar eine ganze im nächsten Jahr, um die steigenden Lohnkosten zu decken. Wie wollen Sie das Problem lösen?

Marc Stefan Sickel: Der Oberbürgermeister und der Stadtrat haben klar formuliert, dass das Theater diese Mehrkosten nicht alleine kompensieren kann, sondern dass sie gesamtstädtisch konsolidiert werden müssen.

Volksstimme: Sie rechnen also mit einer weiteren Aufstockung der städtischen Fördermittel?

Marc Stefan Sickel: Wir werden uns jedenfalls nicht zurücklehnen und sagen, das zahlt schon alles die Stadt und vom Land wollen wir in Zukunft auch mehr Geld haben. Stadt und Land dürfen gewiss sein, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um unseren Anteil an der Kostendeckung zu steigern. Doch wenn wir die künstlerische Qualität am Haus erhalten wollen, sind uns dabei Grenzen gesetzt.

Volksstimme: Die liegen wo?

Marc Stefan Sickel: Bei der Kunst. Wir dürfen und wollen nicht an der Kunst sparen, sondern an anderen Stellen im Haus. Ich sitze jeden Monat mit allen Budgetverantwortlichen am Tisch und wir gehen alle Positionen durch, um zu sehen, wo wir sparen können, ohne dass es dem Publikum auffällt. Da geht es manchmal um 50 Euro. Das macht viel Arbeit, aber das schafft ein Kostenbewusstsein. Im Ergebnis wird zum Beispiel mein Büro jetzt nur noch einmal in der Woche gereinigt. Und sieht es hier etwa schlimm aus? Außerdem sehen wir im Fall des Ausscheidens von Mitarbeitern oder bei Elternzeit, ob wir manche Stelle befristet unbesetzt lassen können. Unser Kostümdirektor verzichtet zum Beispiel bis zur neuen Spielzeit auf seine Assistenz. Das geht natürlich nicht dauerhaft und wir wollen auf diese Weise auch keine Stellen abbauen. Wir versuchen aber durch die temporäre Nichtbesetzung Geld einzusparen. Das ursprünglich im Wirtschaftsplan 2011 kalkulierte Minus in Höhe von 566000 Euro haben wir auf diese Weise und durch Mehreinnahmen auf 50000 Euro abschmelzen können. Zwar liegt der Jahresabschluss noch nicht vor, die Wirtschaftsprüfer sind noch im Haus, aber es sieht gut aus. Für 2012 haben wir uns zusätzliche Einsparungen und Mehreinnahmen in Höhe von 100000 Euro vorgenommen.

Volksstimme: Was natürlich längst nicht ausreicht, um das Loch zu schließen, das die steigenden Gehaltstarife ins Budget reißen. Mit fast 80 Prozent und etwa 21 Millionen Euro machen die Personalkosten den Bärenanteil am Theaterhaushalt aus. Müssen sich Ihre rund 450 Mitarbeiter auf einen neuen Haustarif, also auf Lohnverzicht, einrichten?

Marc Stefan Sickel: Wir hatten bis 2010 einen Haustarifvertrag und streben keinen neuen an. Theaterleitung und Stadt haben sich dazu klar positioniert. Ein Haustarif kann zur Überbrückung kritischer Situationen hilfreich sein, er ist aber kein probates Mittel zur dauerhaften Kostensenkung. Einerseits weil das Theater im Werben um interessante Künstlerpersönlichkeiten dann nicht mehr wettbewerbsfähig wäre. Zum anderen reden wir hier ja schließlich nicht von paradiesischen Gehaltszuständen, sondern über Bruttolöhne von 1600, 1800, 2000 Euro. Das muss man sich vorstellen: Da steht ein top ausgebildeter Opernsänger oder ein hochleistungsfähiger Tänzer auf der Bühne und geht regelmäßig mit einem Nettoverdienst von knappen 1000 Euro nach Hause. Wenn wir dem noch 20 Prozent per Haustarif wegnehmen, kann er sich als Aufstocker beim Sozialamt anstellen. Wenn man da zum Schluss kommt, anders ginge es nicht, dann muss man sagen, wir können uns das Theater so einfach nicht mehr leisten.

Volksstimme: Allerdings wird am Theater höchst unterschiedlich verdient und vielfach als ungerecht empfunden, dass Orchester- oder Chormitglieder deutlich besser gestellt sind als Solisten.

Marc Stefan Sickel: Eine Neiddebatte wird es mit mir und mit der Generalintendantin Karen Stone nicht geben. Wir werden hier nicht die Sau durchs Dorf treiben und auf die vermeintlich gut vedienenden Künstlerkollektive am Theater schimpfen. Das wäre im Sinne aller Beschäftigten dumm, denn auf diese Weise setzten wir nur eine Lohnspirale nach unten in Gang, die niemandem nutzt.

Volksstimme: Stadtrat und Stadtverwaltung haben im Sinne des Theaters klare Forderungen ans Land gestellt und erwarten ab 2013 die Aufstockung der jährlichen Landesförderung um mindestens eine Million, also auf rund zehn Millionen Euro inklusive einer dynamischen Anpassung nach oben für steigende Lohnkosten. Wie groß ist Ihre Hoffnung darauf, dass dies gelingt?

Marc Stefan Sickel: Ich bin sehr optimistisch. Es gibt Signale aus der Landespolitik, die belegen, dass es gesehen wird, dass das Theater Magdeburg landesseitig unterfinanziert ist. Zuletzt hat das Herr Staatsminister Robra anerkannt. Die wirtschaftlichen Leistungen des Theaters Magdeburg werden durchaus wahrgenommen und geschätzt. Die Benachteiligung Magdeburgs im Vergleich zu anderen Häusern im Land ist durch nichts gerechtfertigt. Ich möchte hier nicht, denn das wäre unprofessionell, über mögliche Ergebnisse der Beratungen im Kulturkonvent spekulieren. Aber ich kann sagen, dass wir sehr zuversichtlich sind.

Volksstimme: Und wenn Ihre Zuversicht enttäuscht wird - das Land fährt bekanntlich auch hart auf Sparkurs - dann stehen doch Sparten auf dem Spiel?

Marc Stefan Sickel: Wie dumm wäre es denn, wenn ich hier sitzen und jetzt solche Horrorszenarien an die Wand werfen würde. Dafür werde ich nicht bezahlt. Es gibt überhaupt keinen Anlass zu glauben, es wäre von irgendeiner Seite gewünscht, dass es dazu kommt. Die Stadt Magdeburg bewirbt sich darum, im Jahr 2020 Kulturhauptstadt Europas zu werden und betrachtet das Theater als eine wichtige Säule. Ich stoße überall auf offene Arme und Ohren. Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, dass die Kunst am Hause gedeihen kann. Dann werden wir unsere Existenzberechtigung erfolgreich verteidigen.

Volksstimme: Sie haben Ihren Dienst am Theater Magdeburg vor acht Monaten angetreten. Wie gefällt Ihnen Ihr neuer Arbeitsplatz?

Marc Stefan Sickel: Ich bin sehr angetan von der Arbeitsatmosphäre und dem Klima hier. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Generalintendantin und Verwaltung die künstlerische und wirtschaftliche Entwicklung des Hauses als gemeinsame Herausforderung verstehen. Es ist sehr wichtig, dass wir in diesen Zeiten mit Karen Stone eine Generalintendantin haben, die auch ein Kostenbewusstsein in ihre Arbeit einfließen lässt. Und ich bin begeistert, wie hier Stadtverwaltung und Theaterleitung an einem Strang ziehen. Ich habe selten einen Oberbürgermeister erlebt, der sich so entschieden für das Theater in seiner Stadt einsetzt.

Volksstimme: Rechnen Sie eigentlich nur oder sehen Sie sich auch mal eine Aufführung an?

Marc Stefan Sickel: Selbstverständlich und ganz regelmäßig. Ich habe eine große Liebe zum Musiktheater und bin von der Magdeburgischen Philharmonie schlichtweg begeistert. Was dieses Orchester unter der Leitung von Kimbo Ishii-Eto, natürlich zusammen mit den Sängern und der Regie, in Produktion wie "Jenufa" oder "Madame Butterfly" leistet, das ist herausragend. Vom Sänger-ensemble bin ich sehr angetan und auch das Ballett von Gonzalo Galguera gefällt mir gut.

Volksstimme: Und im Schauspiel waren Sie noch nicht?

Marc Stefan Sickel: Selbstverständlich bin ich auch da sehr häufig. Ich habe sehr gerne die "Faust"-Inszenierungen gesehen und mir gefallen die Arbeiten von Jan Jochymski. Aber ich muss gestehen, dass ich eine Vorliebe fürs Musiktheater habe. Aber hier wie auch im Schauspiel, wenn ich mir die Pläne für die kommende Spielzeit ansehe, dann freue ich mich sehr darauf und fühle mich in meinen Erwartungen an ein Theater vollumfänglich bestätigt.