Lokaler Klimaschutz Magdeburg atmet durch

Freiflächen und Schneisen sollen auch künftig für ein gutes Stadtklima in Magdeburg sorgen.

Von Jana Heute 29.08.2017, 01:01

Magdeburg l Der Bauboom in Magdeburg geht einher mit Verlust an Stadtgrün. Der neue Landschaftsplan für Magdeburg soll regulierend eingreifen und für ein gesundes Stadtklima sorgen. In unserer Serie stellen wir den Entwurf mit ausgewählten Themen vor. Heute: Klima und Luft.

Die Verlockung ist groß. Unbebaute Flächen, vielleicht sogar in citynaher Lage, bieten sich bestens als lukratives Bauland an. Wie schnell es gehen kann, erlebten vor fünf Jahren Dutzende Hobbygärtner in Nordwest. Ihre grünen Parzellen sollten zugunsten des boomenden Häuslebaus weichen, so die Idee der Stadtplaner.

Erst lauter Protest und – vor allem – eine Studie zur Bedeutung der bedrohten Gartensparten Wrede-Stiftung und Petunia für das innerstädtische Klima retteten den Bestand der grünen Parzellen. Experten hatten im Rahmen der Studie extra Rauch aufsteigen lassen, um zu sehen, wohin dieser mit der kalten Luft zieht.

Ergebnis: Er zog geradewegs in die Magdeburger Innenstadt.

Der Nachweis war erbracht. Das Gebiet mit den Gartenvereinen ist Bestandteil eines wichtigen Kaltluftkorridors für die Innenstadt von Magdeburg und dürfe – so das Fazit –, wenn überhaupt, nur geringfügig weiter versiegelt werden. Damit kippte das Bauprojekt, das Planungsamt machte einen Rückzieher.

Das Beispiel steht symptomatisch für ein hochaktuelles Thema angesichts der anhaltenden Baulust: Welche Freiflächen braucht Magdeburg auch künftig, um buchstäblich frei durchatmen zu können? Wo sind die wichtigen Lüftungskorridore für unser funktionierendes Stadtklima, die tunlichst nicht zugebaut werden sollten? Die Antworten liefert der Entwurf für den neuen Landschaftsplan Magdeburg, der künftig als Orientierung für die weiteren Planungen dienen soll.

Die Experten betonen: Soll unser Stadtklima auch künftig gut funktionieren, muss es Grün- und Freiflächen als „Ausgleichsräume“ sowie übergeordnete Luftaustauschbereiche, auch Kaltluftschneisen genannt, geben. Eine Karte bietet dazu eine aktuelle Übersicht. Diese Bereiche seien „zu bewahren, zu ertüchtigen und gegebenenfalls wiederherzustellen, um nachteilige stadtklimatische Effekte zu mindern und bioklimatische Verhältnisse zu verbessern“, heißt es in dem Landschaftsplanentwurf. Das bedeute, dass diese Flächen von Versiegelung und Bebauung „möglichst freizuhalten“ seien.

Insgesamt sei die Versorgung der Stadt mit Kaltluft gut, stellen die beteiligten Experten fest. Und so soll es auch bleiben. Allerdings lasse die Qualität der Frischluft dort nach, wo sie zuvor auf große Verkehrsadern stoße. Dazu gehören nördlich die Autobahn 2, westlich die Autobahn 14 und von Nord nach Süd der Magdeburger Ring mit Verkehrsmengen von 30.000 bis 75.000 Fahrzeugen pro Tag.

Besonders betroffen seien der Kreuzungspunkt Faule-Renne-Niederung/Magdeburger Ring und die parallel verlaufenden Abschnitte von Klinke- und Eulegraben-Niederung mit dem Magdeburger Ring. Dennoch vermag die Kaltluft die mit Schadstoffen angereicherte Luft zu verdünnen und hygienisch aufzuwerten, heißt es weiter.

Innerhalb des linkselbischen bebauten Stadtgebietes befinden sich inselartige Grün- und Freiflächen, die als bedeutsame Kaltluftentstehungsgebiete fungieren. Als Beispiele werden die Glacis entlang der vormaligen westlichen Stadtfestungsanlagen genannt und ebenso der Nordfriedhof, der Geschwister-Scholl-Park, die Freiflächen um die Johanniskirche, der Klosterbergegarten sowie der Westfriedhof.

Die großen Wassermengen der Elbe können Wärmeenergie sehr gut speichern. Sie können bei höherer Luft- als Wassertemperatur Wärmeenergie aufnehmen (zum Beispiel im Juli 2013: mittlere Lufttemperatur 20,7 Grad Celsius, mittlere Tagesmittelwassertemperatur 20,3 Grad Celsius). Bei höherer Wasser- als Lufttemperatur können sie wiederum Wärmeenergie in die Luft abgeben (z. B. im Februar 2013: mittlere Tagesmittelwassertemperatur 2,7 Grad Celsius, mittlere Lufttemperatur 2 Grad Celsius). Deshalb wirken die Wassermengen auf die Lufttemperaturen der Umgebung ausgleichend.

Der rechts-, also ostelbische Teil Magdeburgs gehört zum Naturraum „Elbe-Mulde-Tiefland“. Das Gebiet ist von zahlreichen Altarmen früherer Elbverläufe gekennzeichnet und stärker hochwassergefährdet. Es wird als Grünland oder Wald genutzt (z. B. Herrenkrugpark, Elbauenpark, Waldgebiet Biederitzer Busch, Rotehornpark auf der Elbinsel, Waldgebiet Kreuzhorst, Elbauenwiesen Kreuzhorst, Greifenwerder und Randau).

Diese unbebauten und vegetationsreichen Flächen sind wichtige Kaltluftentstehungsgebiete, so betonen die Experten. Hier entwickelt sich sauerstoffreiche und belastungsfreie Luft.

Auch die Waldflächen wirken für das Stadtklima sehr ausgleichend: Nachts gibt es nur milde Lufttemperaturabfälle. Tagsüber sorgt die Wasserverdunstung im Wald wiederum dafür, dass Wärmeenergie verbraucht wird. Weiterer Pluspunkt: Der Wald filtert Schadstoffe. Die kleineren Siedlungen Werder, Brückfeld, Cracau und Prester seien zudem verkehrsmäßig und damit auch lufthygienisch deutlich weniger belastet. Wermutstropfen im Osten: Staus auf der Bundesstraße 1 schmälern die Umweltbilanz.

Die gute Nachricht lautet: Bezogen auf das Gesamtgebiet Magdeburgs von 202 km² (gleich 100 Prozent) machen Grün- und Freiflächen 69 Prozent, also deutlich mehr als die Hälfte, aus (insgesamt 139 km²). Fünf Prozent davon gelten sogar als bioklimatisch sehr bedeutsamer Ausgleichsraum. Das ergab die Klimaanalyse für das Stadtgebiet Magdeburg aus den Jahren 2012 bis 2015, die Eingang in den Landschaftsplan fand.

Das Gegenstück, also der versiegelte Siedlungsraum, nimmt danach einen Anteil von 50 km² ein. Das entspricht immerhin auch einem Viertel. Die übrigen Anteile bilden Gewässer- und Straßenflächen.

Die „Klimakarte“ steht damit. Wie viel Berücksichtigung sie bei etwaigen Bauvorhaben tatsächlich finden wird, hat letztlich der Stadtrat Magdeburg zu entscheiden.