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Millionenbaustelle Weitere Probleme beim Tunnelbau

Die Magdeburger Stadträte rügen die Informationspolitik der Verwaltung zur Tunnelbaustelle.

Von Katja Tessnow 23.04.2016, 01:01

Magdeburg l Die von den Grünen im Magdeburger Stadtrat beantragte Aussprache zum Tunnelbau sollte am Donnerstag Klarheit über den Tunnelbau bringen. Am Ende stand fest: Niemand kann aktuell sagen, was das Bauwerk kosten wird. „Der Point of no Return ist überschritten“, sagte Jürgen Canehl (Grüne) – entschiedener Tunnelbaugegner seit Jahr und Tag – zum Auftakt der Debatte. Soll heißen: Jedermann, auch Canehl, ist klar, dass es kein Zurück mehr gibt. Dennoch müsse über das Ausmaß der Probleme am Bau und deren Auswirkungen gesprochen werden. Die Baugegner haben aktuell reichlich Gelegenheit, den Finger in die offene Wunde zu legen. Auf der Baustelle läuft es nicht rund.

„Es gibt Mängel in der Planung. Die Planer bestreiten das. Wir haben eine Ersatzvornahme vorgenommen.“ Der Baubeigeordnete Dieter Scheidemann hatte keinen leichten Part zu absolvieren, als er Stellung zur Lage beziehen sollte. Er referierte über grobe Fehler in der Entwurfsstatik und „weitere Probleme“, zum Beispiel mit unerwarteten Hohlräumen in den alten Stützwänden, die einen Teil der Last der neuen Bahnbrücken schultern müssen. Sie würden mit Zement verpresst, des Weiteren mehr und dickere Bohrpfähle (120 statt 90 cm stark) gesetzt, auf dass der Bau dem starken Druck des Grundwassers standhalte.

Was Scheidemann mit „Ersatzvornahme“ sagen will: Die aktuell anfallenden zusätzlichen Arbeiten wollen die Auftraggeber (Stadt und Bahn) später den Planern in Rechnung stellen. Allerdings weiß aktuell niemand, wie hoch die Kosten am Ende sein werden und zweitens bedarf es wohl eines Richterspruchs, auf dass die Planer ihre Fehler einsehen – vorausgesetzt sie haben wirklich solche gemacht. Nahezu wie eine Erfolgsmeldung verkündete Scheidemann, dass zumindest stehen bleiben kann, was bisher für Tunnel und neue Brücken errichtet wurde: „Rückbaumaßnahmen sind nicht nötig.“

In der Folge erging sich Scheidemann in einer Aufzählung schon gehabter Sperrungen für den Tunnelbau und der Feststellung, dass ab 5. September Straßenbahnen, Radfahrer und Fußgänger wieder passieren dürfen. Die Autos ließ er außen vor, aber das ließ der Grüne Canehl der Verwaltung nicht durchgehen. Das Fazit aus Scheidemanns Beitrag im Rat: Es gibt eine Reihe von Problemen am Bau, die Nachtragsrechnung steht aus. „Ein Nachtragsangebot soll uns in den nächsten Tagen vorgelegt werden.“ Die bauausführenden Firmen rechneten also noch zusammen, was an Kosten aus dem Statikdilemma resultiert.

Viele Räte waren mit den Auskünften zur Lage unzufrieden. „Wir fühlen uns spät eingebunden in die Probleme, die es offenbar gibt“, räumte Frank Schuster (CDU) ein. Sie seien bereits seit Januar bekannt. Dass sich die Verwaltung bis heute außerstande erachte, eine Schätzung über die Mehrkosten abzugeben, auch das ließ Schuster nicht unkommentiert: „Wir wissen, dass für die Bauausführung auch gleich die 120er Pfähle angeboten worden waren, also kennen wir den Preis. Eine Kostenschätzung wäre möglich gewesen.“ Schuster regte an, die Verwaltung zur regelmäßigen Berichterstattung über die Lage am Tunnelbau im Bau- und im Finanzausschuss zu verpflichten.

Dieser Forderung schloss sich Falko Grube (SPD), Vorsitzender des Bauausschusses, an. „Wir werden das machen.“

Linksfraktionschef Frank Theile schimpfte: „Der Vortrag von Herrn Scheidemann war eine lose Zusammenstellung von Details aus dem Zusammenhang heraus. Mich hat das nicht zufriedengestellt.“ Die Fraktion fühle sich schlecht informiert; die Wahrheit über die Kostenentwicklung käme nur scheibchenweise und auf Nachfrage auf den Tisch. Theile verwies darauf, dass die Linke schon 2015 eine Berichterstattung gefordert, eine regelmäßige Ratsmehrheit den Antrag aber abgelehnt habe. Jetzt steht die Forderung von allen Fraktionen im Raum.

Einigkeit herrscht zwischen Verwaltung und Ratsmehrheit darin, dass alle Hebel auf fristgerechten Bauabschluss 2019 gestellt werden müssen, zur Not auch mit längerfristigen Komplettsperrungen, wie sie ursprünglich gerade nicht vorgesehen waren. CDU und SPD zogen Dauersperrungen ins Kalkül, wenn sie helfen könnten, Zeit und Kosten zu sparen. Zu diesem Zeitpunkt hatten der Oberbürgermeister und sein Baubeigeordneter noch nicht ausgesprochen, was sie längst wussten: Die erste Dauersperrung für Pkw ist im Gange. Der Grüne Jürgen Canehl musste drängend Antwort auf die Frage nach der Länge der aktuellen Sperrung einfordern.

„Bis Februar 2017“, konstatierte Trümper erst ganz am Ende der Debatte. Für Autofahrer und den Innenstadthandel ein Paukenschlag. Der Grüne Tom Assmann hatte schon zuvor ein düsteres Bild des Niedergangs gezeichnet: „Der Innenstadthandel verzeichnet 10 bis 15 Prozent Umsatzrückgänge. Wir reißen mit dem Arsch ein, was wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, aber wir wollen nicht, dass die Innenstadt wieder aussieht wie 1990.“ Assmann forderte einen „Maßnahmeplan“ zur Stärkung der Innenstadt.

Trümper verwahrte sich dagegen, dass für die Probleme der Händler „eins zu eins“ der Tunnel verantwortlich sei. „Mindestens in gleichem Maße ist der Internethandel schuld.“

Was die Tunnelbaukosten – zuletzt mit rund 100 Millionen Euro angegeben – betrifft, wurde im Verlauf der Debatte an keiner Stelle auch nur eine neue Zahl genannt.

Auf Volksstimme-Nachfrage räumte Trümper später am Rande ein, dass er doch schon ein bisschen gerechnet habe und allein die Materialkosten z. B. für die neuen Bohrpfähle auf 2,5 Millionen Euro schätze. Auf die Stadt dürfte am Ende ein Vielfaches dieser Summe an Mehrkosten allein aus dem aktuellen Statikdilemma zukommen.