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Klimadialog Ökonom: Energiewende funktioniert nicht

Projekte wie Repaircafé, Foodsharing-Initiative oder Vitopia zeigen in Magdeburg, was für die Zukunft nötig ist.

Von Martin Rieß 11.04.2016, 17:19

Magdeburg l Ein grünes Wachstum und damit die in Deutschland propagierte Energiewende kann nicht funktionieren – mit dieser kontroversen These hat Niko Paech, Wirtschaftsprofessor an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, im Rahmen einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Stadtverwaltung den diesjährigen Klimadialog bestritten. Der Wirtschaftswissenschaftler vertritt die sogenannte Postwachstumsökonomie und sagt: „Trotz eines riesigen Aufwands für die Energiewende produzieren wir immer mehr Kohlendioxid.“ Ein Grund: Anstelle ihr Verhalten zu ändern, setzen die Menschen auf technische Lösungen. Die Technik sorgt nicht dafür, dass tatsächlich Ressourcen geschont würden. „Das ist ein moderner Ablasshandel“, sagt Niko Paech.

Als Beispiel nennt er die Windkraft: Anstelle alte Kohlekraftwerke abzuschalten, würde aus Deutschland immer mehr Strom exportiert. Würde hier auf Ersatz statt auf Wachstum gesetzt, würde es kein Wachstum geben und doch einen Fortschritt. Oder im Kleinen der Wunsch vieler Menschen, ein spritsparendes Auto zu fahren bei der gleichzeitigen Verweigerung, auf weite Flugreisen zu verzichten. Eine Reise nach Neuseeland und zurück verursache einen Kohlendioxid­ausstoß, der dem Fünffachen dessen entspricht, der jedem Erdenbürger rechnerisch zusteht.

Bedeutet das einen Verlust an Lebensqualität? Nein, meint der Ökonom. Für Genuss und damit für wirkliche Lebensqualität ist ab einem gewissen Punkt die zur Verfügung stehende Zeit entscheidend. Möglichst viel konsumieren zu wollen, führe statt zu Lebensqualität zu Stress.

Frage aus der Zuhörerschaft: Wie sollen die Menschen davon überzeugt werden, auf vermeintlichen Wohlstand zu verzichten? Niko Paech nennt zwei Wege: Zum einen die weiteren Krisen. Die würden über kurz oder lang Veränderungen erzwingen. Der Wirtschaftswissenschaftler sagt: „Entscheidend sind die Menschen, die jetzt schon die entsprechenden Visionen entwickeln.“ Und die dann von den anderen als Vorlage genutzt werden können.

Beispiele für Vorreiterprojekte gibt es auch in Magdeburg: Mit einer Foodsharing-Initiative wird der Vernichtung von Lebensmitteln entgegengewirkt, mit Vitopia gibt es im Herrenkrug ein Projekt zu Leben und Arbeit, und im Repaircafé wird die Lebenszeit von Elektrogeräten verlängert. Dietrich Zosel ist Initiator in der Region und meldete sich zu Wort: Mit der Reparatur von Elektogeräten werde nicht nur die unnötige Entstehung von Elektroschrott vermieden, es würden auch soziale Kontakte geknüpft und das Zufriedenheitsgefühl aller Beteiligten gesteigert. Als weiteres Beispiels aus der Region nennt der Referent das Ökodorf Siebenlinden.

Dies entspricht der Vision von Niko Paech vom künftigen Wirtschaften: Weniger am gewohnten Arbeitsplatz, sondern mehr Engagement als sogenannter Prosument im Sinne regionaler Initiativen oder gar im Sinne der Selbstversorgung. Er sagt: „Das bedeutet übrigens nicht, dass ich gegen wirtschaftliches Handeln bin.“ Aber in Zukunft seien mehr regionale Konzepte gefragt – vom Ring von Handwerkern, der sich um Instandhaltung und Reparaturen kümmert, bis hin zum Umschneidern alter Textilien zu neuer Mode.

Im Rahmen des Schwerpunktes „klimagerechte Stadt“ ist der Klimadialog Teil des Beitrags Magdeburgs im Wettbewerb „Zukunftsstadt“. In diesem möchte Magdeburg unter anderem mit einer ausgereiften Beteiligung von Bürgern und Wissenschaft überzeugen. Andere Elemente waren bislang zum Beispiel die Zukunftswerkstätten für Stadtteile, zur Mobilität oder für das Industriegebiet der Zukunft.