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Stadt MagdeburgKita-Eltern sind Schulden-Millionäre

Rund eine Million Euro schulden Eltern von Kita-Kindern der Stadt Magdeburg. 2600 Familien sind mit der Beitragszahlung im Rückstand.

Von Katja Tessnow 14.06.2019, 01:01

Magdeburg l Ab August 2019 – ein politischer Entscheid zur Familienföderung – sinken die Kita-Beiträge in Magdeburg. Am Rande des dafür wegweisenden Ratsbeschlusses im Mai, mahnte der Finanzausschussvorsitzende Reinhard Stern (CDU) im Gegenzug verstärkte Bestrebungen der Stadtverwaltung an, Rückstände einzutreiben. In einer Information an den Stadtrat legt der Finanzbeigeordnete Klaus Zimmermann (CDU) jetzt die Fakten auf den Tisch. Sie lesen sich – das nichtöffentliche Papier liegt der Volksstimme vor – eindrucksvoll.

Nach einem Auf und Ab seit 2014 hat der Eltern-Schuldenstand im Februar 2019 erstmals die Millionengrenze gesprengt. Ende Mai – das geben die aktuellsten Zahlen her – schuldeten Eltern von rund 2600 Kita-Kindern der Stadt rund 950.000. Hinter der Zahl stehen Kinderschicksale.

Bereits anno 2014 führte die Stadt Magdeburg per Satzung harte Bandagen in Sachen Umgang mit Kita-Beitragsschuldnern ein. Das simple Rezept: Zwei Monate Zahlungsrückstand ist gleich Kündigung. Die Träger der rund 140 Magdeburger Kindertagesstätten – neben der Stadt selbst Vereine, Stiftungen, Kirchen und gemeinnützige Gesellschaften – sind angehalten, die zwischen ihnen und den Eltern abgeschlossenen Betreuungsverträge nach zweimonatigem Zahlungsrückstand aufzukündigen. Die Kinder dürfen ihre Kita nicht mehr besuchen.

Jährlich 750 Kita-Kinder sind nach Angaben der Stadt Magdeburg vom Rauswurf bedroht. Weil die Mehrheit der Eltern nach Einleitung des Kündigungsverfahrens zahlt oder Stundungen aushandelt, werden nur rund 10 Prozent der Kündigungen tatsächlich wirksam, jährlich rund 75 Kinder also tatsächlich vor die Kita-Tür gesetzt.

Kita-Schulden in Magdeburg

Im aktuellen Schuldnerbericht schreibt der Finanzdezernent: „Die Erfahrungen zeigen, dass eine kontinuierliche Umsetzung der in der Satzung beschlossenen Verpflichung zur Kündigung dazu führt, dass Kostenbeiträge pünktlich gezahlt werden. Hier liegt ein hohes Potenzial, offene Forderungen zu minimieren.“ Im Klartext: Die Rathausfinanzer drängen auf mehr und unmittelbarere Rauswürfe von Schuldner-Kindern.

Offenbar scheut manch Kita-Träger den drastischen Schritt. Im Volksstimme-Gespräch bestätigen Verantwortliche mehrerer Kita-Betreiber – sie wollen nicht öffentlich genannt werden – Zurückhaltung und juristische Bedenken. „Das ist ein schwieriges Thema. Der Anspruch der Stadt richtet sich gegen die Eltern. Das Recht auf Betreuung hat das Kind“, sagt der Vertreter eines großen Kita-Trägers und merkt an: „Selbst wenn wir die Betreuungsverträge kündigen, können die Eltern mit Verweis auf den Rechtsanspruch bei einer anderen Einrichtung einen neuen Vertrag abschließen.“ Die Verwaltung verweist indes darauf, dass Neuverträge zur Betreuung der Kinder von Schuldner-Eltern „erst nach Freigabe durch das Jugendamt möglich“ seien.

Betroffen vom Rauswurf aus der Kita sind nicht die Kinder von Müttern und Vätern im Hartz-IV-Bezug. Sie besuchen kostenlos Krippe, Kindergarten und Hort. Schuldig bleiben den Beitrag Eltern aus allen möglichen Einkommensgruppen von der geringverdienenden Alleinerziehenden bis zum gut verdienenden Mittel- oder sogar Oberschichtler, der wegen privater Umstände – selbst verschuldet oder nicht – in Zahlungsnot gerät.

Einen beträchtlichen Teil der Schulden wird die Stadt Magdeburg niemals kassieren. Bereits 2013 wurden rund 26.000 Euro an Elternschulden „unbefristet niedergeschlagen“, wie es im Juristendeutsch heißt. 161 Schuldner haben die Privatinsolvenz durchlaufen oder sind – im Einzelfall – verstorben. Weitere 1900 säumige Eltern schlossen Vereinbarungen zur Stundung mit der Stadt ab; Gesamtvolumen rund 1,4 Millionen Euro. Mehr als die Hälfte dieser Vereinbarungen (rund 990 Fälle mit 728.000 Euro Umfang) wurden schon storniert oder widerrufen. In nur 35 Prozent dieser Fälle erhofft sich die Stadt nachträgliche Zahlungen durch Druck bis vors Gericht.

Ein Vollzeit-Krippenplatz in Magdeburg kostet 207 Euro (ab August 150 Euro) pro Monat, zuzüglich Essengeld. Rund 18.000 Kinder besuchen Krippe, Kindergarten und Schulhort. Insgesamt kostet ihre Betreuung jährlich 115 Millionen Euro, wovon allein 62 Million Euro die Stadt Magdeburg schultert und 44 Millionen Euro das Land Sachsen-Anhalt. Etwa neun Millionen steuern die Eltern bei. Erklärtes Ziel von Stadtverwaltung und Ratsmehrheit ist mittelfristig der kostenlose Kita-Platz für jedes Kind.