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  7. Wohngeld beantragen: Reform für mehr Mietzuschuss – Lange Wartezeiten in Magdeburg

Inflation und Armut Behörden kämpfen mit Antragsflut: Tausende Magdeburger warten auf Wohngeld

Wie viele andere Behörden bundesweit ist die Magdeburger Wohngeldstelle der Flut von Neuanträgen nicht gewachsen. Was das im Einzelfall für Betroffene bedeutet.

Von Katja Tessnow Aktualisiert: 11.03.2023, 14:18
Kaum mehr Geld zum Leben: Tausende Magdeburger müssen aktuell sehr lange auf die Bearbeitung ihrer Wohngeldanträge warten.
Kaum mehr Geld zum Leben: Tausende Magdeburger müssen aktuell sehr lange auf die Bearbeitung ihrer Wohngeldanträge warten. Foto: dpa

Magdeburg - Seit Jahresbeginn 2023 haben deutlich mehr Menschen in Deutschland Anspruch auf Wohngeld. Die Magdeburger Wohngeldstelle kämpft mit einer Antragsflut und ist – wie viele andere Behörden bundesweit – komplett überlastet. Für Betroffene hat das fatale Folgen.

Wohngeld beantragen: Magdeburger warten auf Zuschuss

Manfred Meier* (Name von der Redaktion geändert) ist ein kranker Mann. Ehemals Fleischer und nach der Wende von Job zu Job – in der Regel niedrig bezahlt, aber körperlich fordernd, machte 2010 zuerst der Rücken nicht mehr mit und dann das Herz Probleme. Es folgte Krebs. Seit 2012 bezieht der allein lebende Magdeburger Rente, aktuell etwas mehr als 850 Euro. Für seine kleine Wohnung zahlt er 345 Euro Miete und erhielt bisher 33 Euro Wohngeld als Zuschuss.

Schon im vergangenen Oktober stellt der Mann einen Nachfolgeantrag auf Wohngeld – und wartet und wartet. Als dann noch eine Nebenkostennachzahlung ansteht und damit eine Mietzahlung von knapp 700 Euro, gehen alle Kontosignale auf Rot. Verwandte helfen in der Not und Manfred Meier wendet sich wütend an „die Politik“. In der SPD-Ratsfraktion findet er Gehör und Hilfe. Dessen Mitglied Karsten Köpp reicht das Dilemma mit Namen und Adresse an die Oberbürgermeisterin weiter.

Wohngeldreform für mehr Mietzuschuss: Nachzahlung lässt auf sich warten

Anfang März 2023 – etwa ein halbes Jahr nach Antragstellung – geht der positive Bescheid bei Manfred Meier ein. Mit der Wohngeldreform steigt sein Mietzuschuss auf 176 Euro monatlich. Eine Erleichterung, doch die Nachzahlung kommt erst zum Monatsende. Der Renter hat die lange Durststrecke noch nicht überstanden. Sein Fall ist exemplarisch. Wie Manfred Meier warten Tausende Magdeburger lange auf die Bearbeitung ihrer Anträge.

Für den Stadtrat Karsten Köpp ist das ein Unding. „Die Menschen stehen mit dem Rücken zur Wand. Das ist doch eine Katastrophe.“ In einer Anfrage an die Verwaltung macht Köpp die Sache zum Thema, fordert Aufklärung zur Lage in der Wohngeldstelle. Nahezu zeitgleich legt die Verwaltung am 7. März von sich aus eine Information „Aktuelle Situation in der Wohngeldbehörde“ an den Stadtrat vor. Sie liest sich dramatisch und macht Betroffenen keine Hoffnung auf baldige Besserung.

Die Fakten: 2883 offene Anträge zählte die Wohngeldstelle Ende Januar und damit etwa siebenmal mehr als im Vorjahr. Doch das ist längst nicht alles. Darüber hinaus sind 1848 „digitale Postvorgänge“ noch unbearbeitet – vermutlich mit vielen weiteren Anträgen. „Eine unbekannte Anzahl“ von „Postvorgängen“ sei obendrein noch nicht einmal digital erfasst. Die Behörde hat selbst keinen Überblick über das Ausmaß der Antragsflut, geschweige denn sieht sie die Chance zur schnellen Abarbeitung.

Wohngeldstelle in Magdeburg braucht mehr Personal

Die Wohngeldreform beim Bund – das neue „Wohngeld Plus“ – hat sie überrollt, weil mit Anhebung der Bemessungsgrenzen weit mehr Haushalte – bundesweit werden zwei Millionen geschätzt – wohngeldberechtigt sind. In der Magdeburger Wohngeldbehörde wurden zur Bewältigung der erwartbaren Antragsflut 34 neue Stellen zum Jahresbeginn geschaffen, davon 24 für Sachbearbeiter und 10 für Bürohelfer. Sie seien „großteilig“ besetzt worden, heißt es aus dem Sozialdezernat.

Allerdings habe „aufgrund der Bewerberlage“ eine zweite Ausschreibung gestartet werden müssen. Die Neulinge sind noch in der Einarbeitung, was dazu führe, „dass die Bestandskräfte ihre Arbeitszeiten auf die Wissensvermittlung und die Abarbeitung von Anträgen verteilen müssen“.

Immerhin: Eine erste Auszahlung des neuen „Wohngeld Plus“ hat die Stadt Ende Februar bewältigt und schüttete dabei – samt Nachzahlungen – rund 1,5 Millionen Euro an 2611 Magdeburger Haushalte aus. Beim Antragsstau und einer etwa halbjährigen, perspektivisch sogar noch etwas längeren Bearbeitungszeit werde es vorerst bleiben, schätzt die Stadtverwaltung realistisch ein und bittet Betroffene, von Nachfragen und Beschwerden in der Behörde abzusehen; keine Zeit zur Beantwortung.

Nur in akuten Notlagen rät die Wohngeldstelle zur Kontaktaufnahme und avisiert Vorschussleistungen.

Vermieter signalisieren Kulanz bei Zahlungsrückständen

Auf Verständnis können Betroffene in der Wohngeld-Warteschleife auch bei manchem Vermieter setzen. Für die Wohnungsbaugesellschaft Wobau macht deren Geschäftsführer Peter Lackner – nach Einzelfallprüfung – Hoffnung auf zinslose Stundung und Ratenzahlung. Ebenso verfährt – hier „auf gegenseitiger Vertrauensbasis“ die Wohnungsgenossenschaft MWG, die schon Zahlungsaufschub gewährte.

Lesen Sie auch: Kommentar zur Wohngeld-Warteschlange - Vermieter sind mit im Boot

Auf Nachfrage signalisiert auch Vonovia, ein privater Großvermieter mit 3800 Wohnungen im Magdeburger Bestand, Kulanz, falls Mieter aufgrund behördlicher Verzögerungen in Zahlungsrückstand geraten. „Voraussetzung ist, dass die Mieterinnen oder Mieter mit uns Kontakt aufnehmen, damit wir die Umstände kennen“, sagt Vonovia-Sprecher Matthias Wulff.

Hintergrund zum „Wohngeld Plus“

Zum 1. Januar 2023 trat das „Wohngeld Plus“ in Kraft. Die Wohngeldreform des Bundes zollt der Inflation Tribut und erweitert den Kreis derjenigen, die Anspruch auf Mietzuschüsse haben, stark. Bundesweit wird von einer Steigerung der wohngeldberechtigten Haushalte von 600.000 auf mehr als zwei Millionen ausgegangen.

In Magdeburg beziehen rund 2600 Haushalte Wohngeld. Darüber hinaus sind fast 2900 Anträge als noch unbearbeitet registriert, rund 1850 weitere Briefe an die Wohngeldstelle digital erfasst, aber nicht ausgewertet und eine „unbekannte Anzahl“ weiterer noch gar nicht gesichtet. Die Bearbeitungszeit für Wohngeldanträge liegt aktuell bundesweit und auch in Magdeburg bei durchschnittlich einem halben Jahr.

Der Wohngeld-Plus-Rechner der Bundesregierung bietet online Aufschluss darüber, ob und in welcher Höhe ein Haushalt wohngeldberechtigt ist.