Vereine E-Sports in Magdeburg

Wir unterhielten uns mit dem Magdeburg eSports e.V. über Vorurteile, Trainingsabläufe und die Zukunft des elektronischen Sports.

Von Nico Esche 21.05.2020, 23:01

Magdeburg | Video- und Computerspiele fristen immer noch ein Nischendasein, in der Mitte der Gesellschaft scheint diese Art von Unterhaltung noch nicht angekommen. Obwohl die Branche jährlich mehr Umsatz erzielt, als alle anderen Medien wie Filme oder Musik.

Zumindest gilt das für die Bundesrepublik. Als Kunst- und Kulturgut werden Games nicht angesehen, regelmäßige und vor allem oft haltlose und hysterische Debatten über “gewaltverherrlichende” Spiele werden regelmäßig in den Medien aufbereitet. Dabei entwickelte sich im Fahrwasser von Video- und Computerspielen sportliche Aktivitäten, inklusive Vereinen und großen Turnieren, die immer wieder Zehntausende zusammenführen.

Vergangenen Winter fand in Magdeburg das ESL Wintermeisterschaftsfinale erstmals in Sachsen-Anhalt statt. Counter Strike, PUBG und League of Legends hießen die Disziplinen, bzw. die Games, die kompetitiv gezockt wurden.

Seit vier Jahren existiert in Magdeburg ein E-Sports-Verein: der Magdeburg eSports e.V.. Wir unterhielten uns mit Martin Müller, Vorsitzender des Magdeburg eSports e.V. und
Projektleiter des E-Sport Hub Sachsen-Anhalt, Technikchef Sascha Reißner und Projektmitarbeiterin des E-Sport Hub Sachsen-Anhalt Sandra Kilian.

Volksstimme: Ihr habt inzwischen über 200 Mitglieder im Verein. Was war der Ursprung der Gründung?

Martin Müller: Am 24. Mai 2016 haben wir den Magdeburg eSports e.V.
gegründet. Zu diesem Zeitpunkt fand E-Sport noch fast ausschließlich online statt und wir
wollten einen lokalen und regionalen Treffpunkt für jeden schaffen, der unser Hobby teilt.
Magdeburg war da als Standort naheliegend, bei einer Stadt mit rund 240.000 Einwohnern, sind es rund 10.000 E-Sportler. Das hat sich dann irgendwann so weit verfestigt, dass wir nun einer der größten lokalen E-Sports-Vereine Deutschlands geworden sind.

Wie zeigt sich die Aufnahme in der Gesellschaft zum Thema E-Sports? Ist es in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Sandra Kilian: Das liest man zwar öfter, aber ich finde, dass das noch nicht der Fall ist. Wir merken das zum Beispiel am E-Sport-Hub. Bei fast allen Gesprächen, die wir im Zuge dessen führen, muss man immer noch erklären. Den Unterschied zwischen Gaming und E-Sport, oder den Unterschied zwischen Breitensport und Profi-E-Sport. In den vergangenen Jahren ist eine Verbesserung zu sehen, aber bis zur Mitte der Gesellschaft haben wir noch
einen Weg zu gehen.

Gibt es immer noch das Klischee über gewaltverherrlichende Spiele in der Gesellschaft?

Martin Müller: Es kommt immer auf den Kontext an. Vor vier Jahren gab es in Deutschland gerade einmal zwei lokale Vereine. Heute reden wir von über 200 Vereinen. Wir sehen eine stetig wachsende Akzeptanz. Wir sehen zum Beispiel auch bekannte Vereine wie Alemannia Aachen oder Eintracht Frankfurt, die E-Sport im Breitensport in ihr Portfolio aufgenommen haben. Das reicht von FIFA bis hin zu Counter Strike. Wir haben vor dreieinhalb Jahren die Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt angeschrieben und angefragt, ob wir uns mal über Thema E-Sports austauschen wollen, parallel haben wir mit der “game” (Verband der deutschen Gamesbranche, Anm. d. Red.) Kontakt aufgenommen und gemeinsam mit anderen Vereinen aus unter anderem Berlin und Leipzig landes- und bundesweit die Idee des lokalen Breitensport mit hereingebracht. Über die Zeit sind so neben der reinen Vereinsarbeit Pilotprojekte in Magdeburg entstanden. Unter anderem die Trainingsausbildung zu League of Legends an der Universität Magdeburg.

Kann ich mir das wie eine Trainingslizenz vorstellen wie sie im Fußball gängig ist?

Martin Müller: Nein, soweit sind wir noch nicht, aber der Weg geht dorthin. Momentan ist es noch ein Wochenendkurs, der aktuell ausgebaut wird.

Sascha Reißner: Die Trainer sind meist beim Training mit dabei. Sie bringen den Mitgliedern unter anderem bei, wie man richtig und gesund auf den Stühlen sitzt, wie wichtig eine ausgewogene Ernährung und Spielpausen sind und motivieren sie sich zu bewegen. Zusätzlich werden natürlich Fair Play, die Werte des E-Sport und das Spielwissen vermittelt.

Klingt wie Strukturen in einem professionellen Fußballverein.

Martin Müller: Das ist schon ganz ähnlich. Die Trainer bekommen diese Strukturen bei der Trainingsausbildung beigebracht und geben das den Spielern so weiter. Dass man sich ab und zu auch mal gemeinsam eine Pizza gönnt, kommt schon vor (lacht). Aber generell, wie eben bereits beschrieben, kämpft der E-Sports mit vielerlei Problemen. Aktuell fehlt es prinzipiell an einer Anfassbarkeit im Bezug zu E-Sports, die wir weiter fördern wollen.

Was ist mit Anfassbarkeit gemeint?

Martin Müller: Du gehst durch die Innenstadt und siehst nichts von E-Sports. Du gehst in das Allee-Center, da steht beispielweise ein Bildschirm, auf dem Fußball läuft, zum Beispiel. Das gibt es im E-Sports nicht. So haben Menschen das Gefühl, dass das ganz weit weg ist, obwohl E-Sport zu jeder Zeit auch um sie herum stattfindet.

Ist das ein Problem von Angebot und Nachfrage?

Martin Müller: Sicherlich auch. In den vergangenen zwei Jahrzehnten mussten wir immer wieder Killerspieldebatten ausfechten. Das spielt eine sehr große Rolle bei der Akzeptanz. In den folgenden Jahren konntest du so die Gesellschaft nur noch schwer erreichen. Du bist ja nicht durch die Stadt gezogen und hast gesagt: “Hey, ich spiele Counter Strike”. 2014 hat sich das geändert, mit der ESL One in Frankfurt mit 15.000 Live-Zuschauer. Heute sind wir an dem Punkt, dass wir E-Sports in Schulen vorfinden, in Jugendclubs und Vereinen. Zudem fingen große Marken wie Mercedes und DHL an im E-Sport zu werben. Und diese gesellschaftliche Akzeptanz hat sich nach und nach entwickelt. So durften wir unter anderem Holger Stahlknecht und diverse Bundes- und Landtagsabgeordnete oder Sportler vom SCM bei uns im Vereinsheim begrüßen.

Wie wird euer Angebot in Magdeburg angenommen? Wie wird euer Angebot in Magdeburg angenommen?

Sandra Kilian: Mittlerweile gut. Immerhin bietet das Land Sachsen-Anhalt, neben Schleswig-Holstein, eine Förderung in Höhe von 15.000 Euro im Jahr an, das explizit an den E-Sport im Land gerichtet ist.

Martin Müller: Politisch gesehen werden wir gut angenommen.

Sandra Kilian: Bestes Beispiel ist hierbei die ESL-Wintermeisterschaft, die im vergangenen Jahr in Magdeburg stattgefunden hat. Wir haben uns gut ins Zeug gelegt, dass das hier stattfinden kann. 1.500 Zuschauer an einem Wochenende, das war eine super Sache. Wir waren auch beim Magdeburger Oberbürgermeister und haben das Thema bei ihm mal auf den Tisch gebracht. Das kam generell gut an.

Was plant ihr für die nahe Zukunft?

Martin Müller: Geplant ist, dass wir sehr bald ein E-Sports-Leistungszentrum hier in Magdeburg einrichten möchten. Wir sind ja in Stadtfeld schon relativ zentral, das soll künftig noch zentraler werden, nämlich in der Innenstadt. Wenn das alles klappt, haben wir bald ein Leistungszentrum mit über 150 Quadratmeter zur Verfügung. Wir wollen uns und den Standort Magdeburg im Bezug E-Sport weiterentwickeln und dazu gehört eben auch eine physische, infrastrukturelle Evolution.

Wie könnt ihr euch den vergleichsweise großen Zulauf an Mitgliedern eures Vereins erklären?

Sandra Kilian: Man könnte es vielleicht so erklären, dass man die Frage stellt: “Was ist eigentlich der Effekt von einem Verein”? Man trifft sich gerne mit Gleichgesinnten, online wie offline. Ich werde in meinen Interessen vertreten, habe eine Vereinsstruktur und muss mich nicht erklären als Gamer. Das ist schön, dass man das teilen kann. Warum das so in Magdeburg ist, können wir so nicht genau sagen.

Martin Müller: Wir haben hier in Magdeburg viele Gamer, aber das Angebot ist relativ niedrig. Wir haben hier keine Gaming-Kneipen, es fehlt Infrastruktur. Das Vereinsheim in Stadtfeld hat sicherlich dazu beigetragen. An mancher Stelle hatten wir auch einfach viel Glück. Eine gewisse Kontinuität ist das A und O.

Ein kleiner Überblick über eure Vereins-Mitglieder: sind das prinzipiell technik- und internetaffine Menschen?

Martin Müller: Internetaffin ja, aber das differenziert sich aus, je nach genutzter Plattform. Eine Konsole ist ein einfaches technisches Gerät, da sind die meisten nicht mit wahnsinnig viel Technikwissen beschlagen, was nicht böse gemeint ist.

Sascha Reißner: Bei einer Konsole ist es nunmal so: Du hast die Kiste da stehen, schiebst dein Spiel rein und dann funktioniert das Ding. Das ist beim PC anders, da wird auch viel mal gerne daran geschraubt, verbessert, Teile ausgewechselt. Da beschäftigt man sich häufig zwangsweise mit Technik.

Martin Müller: Dann können wir auch differenzieren je nachdem was gespielt wird. In Counter Strike haben wir sozusagen unsere “Altherrenmannschaft”. Das Spiel ist zwanzig Jahre alt, viele sind damit eingestiegen, sind nun Mitte 30, haben einen sehr hohen Bildungsabschluss. Die jüngsten sind vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Diese spielen in unserem Verein jedoch ausschließlich Spiele, die für ihr Alter ausgezeichnet sind. Wenn du noch keine 16 Jahre alt bist, spielst du bei uns kein Counter Strike, fertig aus, weil wir als Verein eine Verantwortung haben. Vom Alter her jedoch ist das Kernteam Mitte 20.

Wie gestaltet sich das Training der Teams und die Organisation in Zeiten von Corona?

Sascha Reißner: Einfach ist es nicht. Seit zwei Monaten ist unser Vereinsheim geschlossen, das wäre nicht tragbar. Alle unsere Trainings finden online statt. Bei den meisten Teams hast du klassisch feste Trainingstage. Das Training gemeinsam mit Trainern findet zwar immer noch sonntagnachmittags statt, allerdings haben die Trainer keinen Einfluss auf Ernährung und Spielpausen - da eben jeder Spieler bei sich Zuhause ist. Das ist schwierig.

Martin Müller: Wir müssen und wollen als Verein eine gewisse Verantwortung übernehmen. Das betrifft zum Beispiel Schulen oder Eltern, die zum Teil nicht wissen was ihre Kinder da so machen. Und wir als Verein versuchen gewisse Strukturen reinzubringen. Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, wir versuchen den Spielern zu erklären, warum sie aktiv Pausen machen sollen. Das betrifft eben auch Ernährung und Sitzhaltung. Das ist nicht nur förderlich für die Gesundheit, sondern auch für das Aufrechthalten der Leistung. Wir als Verein wollen das positiv vorantreiben.

Gibt es denn auch Kontakt mit Eltern euer Vereinsmitglieder?

Martin Müller: Wir hatten bereits einige Eltern bei uns vor Ort, die mal schauen wollten, was ihre Kinder hier so machen. Ich kann mich noch an ein sehr nettes Gespräch mit einer Mutti erinnern, die fragte: “Ich erinnere mich, vor 15 Jahren war ich in einer dunklen, verrauchten Höhle und zockte mit meinen Freunden am PC, ist das hier auch so?” Da war sie dann doch ein wenig überrascht, wie hell die Räume bei uns sind, dass es Strukturen gibt, Trainer da sind. Da war sie dann auch sehr beruhigt (schmunzelt). Betreutes Spielen ist hier das Schlagwort, was vielen Eltern die Angst nimmt.

Gab es auch mal negatives Feedback von Eltern?

Martin Müller: Ja, tatsächlich, aber nicht wegen des Vereins. Ein Kind, das bei uns Mitglied ist, brachte relativ schlechte Schulnoten nach Hause. Die Eltern wussten, dass ihr Kind bei uns angemeldet ist und fragten uns, ob wir in die Richtung was wüssten. Wir sind ja auch eine Anlaufstelle. Daraufhin haben wir dem Spieler gesagt, wie wichtig eine gute Ausbildung ist, notfalls sollte er weniger im Verein machen und sich mehr auf die Schule konzentrieren.

Wie finanziert sich der Verein?

Martin Müller: Allen voran durch diverse Sponsoren. Diese tragen ungefähr zu rund 15 Prozent zur Finanzierung bei. Ein Großteil sind die Mitgliedsbeiträge, die wir einnehmen, so wie andere Sportvereine eben auch. Zudem kann man uns bei Twitch subscriben, da kommen dann auch noch ein paar Euro zusammen, das hilft enorm weiter. Ansonsten bieten wir diverse Dienstleistungen an, da wir ja ein nicht-gemeinnütziger Verein sind. Wenn uns ein Unternehmen zum Beispiel gegen Geld engagieren möchte und fragt, ob wir eine Retro-Ecke aufstellen, wo man sich unterhalten und spielen kann, machen wir das.

Sandra Kilian: Im Endeffekt kommen wir mit den Geldern die wir erwirtschaften ganz gut klar, auch weil wir immer sehr zurückhaltend gewirtschaftet haben. Bei uns bekommt zum Beispiel kein Team Geld, weil wir das Ablehnen als Breitensportverein.

Martin Müller: Wir haben im vergangenen Jahr einen Teil der E-Sport-Förderung des Landes für uns gewinnen können. Davon wurde ein Projekt von uns gefördert, welches wir angestrebt hatten. Wir konnten das Projekt mit Caterer und Technik umsetzen. Das war die “City Fight - Offline Edition”, da haben wir League of Legends und Hallenfußball gespielt. Das war schon geil, hat schon Spaß gemacht. Das wäre ohne Förderung vom Land so nicht möglich gewesen.

Gibt es bundesweite Förderung für e-Sports?

Martin Müller: Nein. Gibt es nicht.

Das ist bitter.

Martin Müller: Das ist die große Diskussion: ist Gemeinnützigkeit Sport oder eben nicht? 60 Länder der Welt kennen E-Sport als Sport an. Der E-Sport Verband Finnland zum Beispiel ist assoziiertes Mitglied im nationalen olympischen Komitee. Das kann sich in Deutschland keiner vorstellen. Das ist ja auch der größte Hemmschuh in der Entwicklung des E-Sports, die Frage ob es gemeinnützig ist oder nicht.

Eine letzte Frage: Wird Magdeburg die nächste E-Sports-Hauptstadt Deutschlands?

Martin Müller: Nein.

Sandra Kilian: Doch! Veto (schmunzelt)!

Martin Müller: Moment, wir sortieren kurz die Hüte (lacht). Also, als E-Sport Bund Vizepräsident, sage ich Nein. Sachsen-Anhalt und Magdeburg kann sicher eine gute Rolle spielen, wenn wir es schaffen diese Dynamik der letzten vier Jahre auch weiterzutragen. Wenn man sich aber Berlin, Hamburg und Köln anschaut, dann wird Magdeburg keine E-Sport Hauptstadt werden. Dort finden die großen Turniere statt.

Ich danke für das ausführliche Gespräch.