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Vorfall in Dresden Magdeburger Kabarettisten über Gewalt

Störer im Kabarett - Alltag oder Ausnahme? Wie Magdeburger Satiriker die Situation nach den Übergriffen in der "Herkuleskeule" sehen:

Von Rainer Schweingel 28.01.2020, 00:01

Magdeburg l Im Magdeburger Kabarett „... nach Hengstmanns“ steht eines der aktuellen Programme auf dem Spielplan. „Sie will (was sie) MACHT“ beleuchtet die Rolle der Frau in der Gesellschaft, politisch-satirisch gehen die drei Akteure ans Werk. Ein unterhaltsamer Abend mit dem Anspruch, zum Denken anzuregen, lockt das Publikum an. Eineinhalb Stunden, bevor es in eine fiktive Welt mit Bezügen zur Realität eintauchen kann, wird die Zeit für einen entspannten Plausch in der Kabarettkneipe genutzt.

Marie Matthäus, Heiko Herfurth und Frank Hengstmann setzen in ihrem ersten gemeinsamen Dreier-Programm durchaus auf konkrete Politik, verpacken das Ganze in eine Familiengeschichte. Die Damen und Herren im Saal gehen mit, Zwischenrufe gibt es, auf die die Darsteller spontan reagieren. So entstehen Dialoge, die das Salz in der Suppe sind.

Die „Herkuleskeule“ wird ungeplant für einen Augenblick zum Thema. Mutmaßlich rechte Pöbler hatten am 11. Januar die Aufführung des Stücks „Betreutes Denken“ in dem Dresdner Kabarett mit ausländerfeindlichen und verachtenden Zwischenrufen gestört. Ein Schauspieler war am Kopf verletzt worden.

Als hier nun von außen jemand mehrmals heftig an die großen Schaufensterscheiben klopft, ruft Frank Hengstmann nur kurz: „Sind wir hier in Dresden?!“

Das Urgestein des Magdeburger Kabaretts, er stand zum ersten Mal 1961 auf der Bühne, kann sich an bewusste und politisch motivierte Störungen in einem Bühnenprogramm nicht erinnern. Daran, dass es in den vergangenen Jahren zunehmend Kommentare und Zwischenrufe gibt, hat er sich gewöhnt. Es sei der Trend der Zeit, dem sich das Kabarett stelle. „Wir haben gelernt, damit umzugehen und locker zu antworten“, sagt der 64-Jährige.

Vergleicht er Auftritte von vor 40 Jahren mit heute seien die Unterschiede deutlich. „Der gelernte DDR-Bürger konnte zwischen den Zeilen lesen. Kabarett hatte damals eine Ventilfunktion. Heute gilt es, gleich Lösungen zu unseren Fragen mit anzubieten“, setzt Hengstmann seine kurze Analyse fort.

Zur Wendezeit setzte eine ganz andere Entwicklung ein. Beim politisch-satirischen Kabarett spürte man damals, wie im Publikum unterschiedlich reagiert wurde, sich die Zuschauer regelrecht „fraktionierten“. Mit Blick auf die „Herkuleskeule“ hofft er, dass solche Aktionen die „absolute Ausnahme“ bleiben. Wenn jemandem die Meinungen der Spieler nicht gefielen, könne das über den Beifall zum Ausdruck gebracht werden.

Auch Lars Johansen, einst Chef bei den „Kugelblitzen“ und heute vorwiegend solistisch unterwegs, sieht gegenwärtig keine wirkliche Gefahr für das Kabarett durch Störer, die provozieren wollen. Ganz im Gegenteil sieht er in seinen Vorstellungen Besucher, die sich ganz bewusst auf die Kritik an Gesellschaft und Politik einlassen wollen. In Dresden sei es wohl eine gezielte und vermutlich geplante Aktion gewesen. Einwürfe zu einzelnen Äußerungen in einem Programm gebe es jedoch durchaus. Mit Zwischenrufen wie „das stimmt nicht“ müsse ein Kabarettist umgehen können.

Vor mehr als 30 Jahren, als Johansen seine Bühnenlaufbahn in Hannover begann, erlebte er einen heftigen Störenfried. „Ich habe ihn persönlich angesprochen, das half und brachte wieder Ruhe in den Saal.“ Dafür erlebt es der Wahl-Magdeburger von Zeit zu Zeit, dass er auf der Straße angesprochen werde. Nach einem Auftritt teilte ihm ein junger Mann kurz mit: „Ich hasse dich.“

In solchen Fällen helfe nur, die Ruhe zu bewahren. Es gab ein kurzes Gespräch, mit dem sich zwar die Meinung des Kritikers nicht ändern ließ, aber alles sei friedlich verlaufen. Und Johansen bringt es für sich auf den Punkt: „Wenn ich den Rüssel raushalte, muss ich mit Reaktionen leben können.“

Für ihn gibt es jedoch noch andere Dinge, die sich in den vergangenen Jahren zum Negativen entwickelt hätten. Viele Leute, die ein Theater oder ein Kabarett besuchen, akzeptieren feste Regeln nicht mehr. „Dazu gehört, die Bühne als quasi heiligen Raum zu betrachten, der den Künstlern vorbehalten ist“, lautet die Einschätzung. Da werden ohne Scheu die Ausstattungsstücke betrachtet und angefasst, nicht mehr benötigte Teller, Tassen oder Gläser einfach auf der Bühne abgestellt. Das Klingeln von Handys, das ungenierte Filmen oder Fotografieren während der Vorstellung gehört ebenso zu den Umgangsformen, die von einem sehr egoistischem Verhalten zeugen.

„Es ist eben diesen Menschen völlig egal, ob sie damit andere Zuschauer, vom Künstler abgesehen, stören oder nicht“, kritisiert Johansen und wünscht sich wieder etwas mehr Sensibilität bei manchen Zuschauern.

Hans-Günther Pölitz ist mit seiner „Zwickmühle“ für besonders scharfzüngiges politisches Kabarett bekannt. Musste er schon mal vom Hausrecht Gebrauch machen und einen Störer nach draußen bitten? „Nein, eine solche Situation hatten wir noch nicht“, berichtet er, der fast jeden Abend auf der Bühne steht. Aber der Vorfall von Dresden zeige, dass die „Schleusen geöffnet sind“ und schiebt wörtlich ganz bewusst drastisch nach: „Die Kultur des Meinungsaustausches ist im Arsch.“

In Dresden habe es sich um eine gezielte Provokation gehandelt, deren Teilnehmer für Argumente nicht offen seien, so Pölitz weiter. Es sei inzwischen aber in vollem Umfang eingetreten, was er und andere Kabarettisten vor fünf Jahren vorhergesagt hätten an sozialen Spannungen und Ungerechtigkeiten. „Die Realität gibt uns recht“, argumentiert Pölitz.

Dabei gehe es ihm als Kabarettist nicht ums Rechthaben, sondern man unterbreite nur Denkangebote. Vorfälle wie in Dresden und die sinkende Diskussionskultur im Allgmeinen seien für ihn als Kabarettist eine Herausforderung, sich in eigenen Programmen noch stärker zu positionieren und dabei Rückgrat zu zeigen.