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Ehrung Wahl zum „Magdeburger des Jahres" 2021: Die Kneipenretter

Die Volksstimme sucht zum 30. Mal den -"Magdeburger des Jahres". Stellvertretend für die Magdeburger Kneipenretter sind Daniel Riecke, David Schiefer und Matthias Baumgarten in diesem Jahr nominiert worden. 

Von Marco Papritz Aktualisiert: 06.12.2021, 11:45
Matthias Baumgarten (Vordergrund, von links), David Schiefer und Daniel Riecke gehören zu jenen Freunden und Bekannten, die seit 2015 mit einem Stammtisch die kleinen Kneipen der Stadt aufsuchen, um ein Zeichen gegen das Kneipensterben zu setzen.
Matthias Baumgarten (Vordergrund, von links), David Schiefer und Daniel Riecke gehören zu jenen Freunden und Bekannten, die seit 2015 mit einem Stammtisch die kleinen Kneipen der Stadt aufsuchen, um ein Zeichen gegen das Kneipensterben zu setzen. Foto: Viktoria Kühne

Magdeburg - „Die Treffen haben eine unheimliche Dynamik entwickelt und einen festen Platz in unserem Terminkalender“, sagt David Schiefer. Mit Daniel Riecke und Matthias Baumgarten zählt er zu jenem Kreis von 17 Freunden, der 2015 als Stammtisch startete und mittlerweile den Titel „Magdeburger Kneipenretter“ trägt.

Den hat sich die Gruppe redlich verdient, wie Michaela Staack sagt. „Die Jungs sind wichtig für unser Seelenleben, wenn man so will. Denn sie sorgen nicht nur für Stimmung und Umsatz an einem umsatzschwachen Tag, sondern bringen uns eine große Wertschätzung entgegen und nehmen Anteil an unserem Leben“, so die Gastwirtin des Gartenlokals „Mein Heim“.

Herzlichkeit und selbst geklopfte Schnitzel

Die am Fermersleber Weg gelegene Kneipe steht stellvertretend für jene Lokalitäten, in die es die Stammtischfreunde im Zwei-Wochen-Rhythmus jeden Donnerstag zieht. „Uns liegen die kleinen, inhabergeführten Lokale wie etwa Eichelschanze oder ,Zum Igel’ am Herzen, die in keinem Gästeführer zu finden sind. Sie haben es auf der einen Seite wirtschaftlich besonders schwer, zu überleben – auf der anderen Seite sehr viel Herzlichkeit zu bieten“, klärt Daniel Riecke auf.

Zu dieser Erkenntnis sind die Stammtischfreunde relativ schnell gekommen. Anlass der Treffen war übrigens, dass die Männer es ihren Partnerinnen gleich tun wollten, die sich regelmäßig austauschten. Da die Frage nach dem Ort, wo die Gruppe aufschlagen soll, in der Anfangszeit aufgrund vieler Vorschläge zu Unstimmigkeiten führte, wurde beschlossen, die Abende stets in einer anderen Lokalität zu verbringen, so Matthias Baumgarten: „Auch aus Bequemlichkeit hat jeder versucht, möglichst in seinem Kiez zu bleiben, um einen kurzen Weg zu haben. Dann hat sich daraus ein regelrechter Wettstreit darum entwickelt, wer eine Kneipe entdeckt, die noch keiner kannte.“

Ein Glücksfall sowohl für den Stammtisch als auch die Wirte, wie sich zeigt. 95 Lokale sind bereits mindestens einmal besucht worden. „Jedes Mal tauchen wir in eine andere Welt ein – jede Kneipe hat eine andere Besonderheit, jeder Gastwirt und jeder Gast eine andere Geschichte zu erzählen“, blickt Daniel Riecke auf mittlerweile über 130 Treffen der Kneipenretter zurück.

Deren Anekdoten werden seit dem 50. Stammtisch stets in einem Protokoll festgehalten. Darin werden auch eine Vielzahl an Kuriositäten notiert. Einmal sei ein Wirt während des Abends am Tresen eingeschlafen, ein anderes Mal habe die Gruppe die Zutaten für das Essen selbst besorgen müssen, wie nachzulesen ist.

Auch bei Kneipen zählen die inneren Werte

Matthias Baumgarten hebt die Besonderheiten jener Kneipen hervor, die mancherorts wegen eines unattraktiven Äußeren nicht jeden zum Besuch bewegen. „Davon sollte man sicht nicht abschrecken lassen, denn das sagt nichts über die buchstäblich inneren Werte aus“, so der 38-Jährige. Mit viel Herzblut werden Gäste bewirtet, teilweise gehen die Wirte einem anderen Job nach, damit sie abends ihre Kneipe für Gäste öffnen können, die für viele ein wichtiger Ort des Austauschs sind. „Und hier werden Schnitzel noch selbst geklopft.“

Klar wird bei den Treffen auch das eine und auch andere Glas Alkohol getrunken, aber eben nicht nur. Die Freunde sind mit ihren 30 bis 40 Jahren weit vom vermeintlich wilden Studentenleben entfernt und tragen als Familienväter sowie in ihren Berufen etwa in leitender Funktion im Uniklinikum, in Landes- und Bundesministerien sowie als Lehrer und Prozessingenieur Verantwortung.

Ahnenforscher Daniel Riecke beispielsweise trat wenige Stunden nach dem letzten Stammtisch eine Dienstreise nach Breslau (Polen) an. Mit im Gepäck haben die Stammtischfreunde nach ihren Treffen oft die Existenzsorgen, welche die Gastwirte mit Blick auf ausbleibende Gäste und einem größer gewordenen wirtschaftlichen Aufwand etwa durch Preiserhöhungen für Pacht sowie Getränke und Lebensmittel schon weit vor der Corona-Krise umtreibt. Bei vier Besuchen in einem Stadtfelder Lokal etwa sind die Kneipengänger von drei verschiedenen Wirten begrüßt worden.

Einige der bereits aufgesuchten Kneipen – auch am Hotspot Hasselbachplatz – existieren nicht mehr. Hätten die Kneipenretter Günter Jahnke bei der Suche nach einem Nachfolger nicht unterstützt und den Kontakt zur heutigen Betreiberin Sieglinde Meier-Pape hergestellt, die 1939 eröffnete Kultkneipe „Jahnke“ in Fermersleben wäre wohl seit zwei Jahren Geschichte.

Damit die Gastwirtin das neue Kapitel im „Jahnke“ möglichst erfolgreich starten konnte, hatten die Stammtischfreunde eine Patenschaftsaktion organisiert, um das 80-jährige Originalmobiliar zu retten. Hier hat die Gruppe übrigens eine Faschingsparty gefeiert, bei der ein Stammgast kurz verschwand, um anschließend im Schlumpfkostüm zu erscheinen. „Das zeigt, dass das Bild vom miesepetrigen Magdeburger nicht stimmt und die Kneipe lebt. Dass sie überlebt, dazu kann jeder beitragen“, wirbt David Schiefer für einen Besuch im kleinen Lokal ums Eck, „von denen sicherlich jeder eines in seiner Umgebung kennt“.

Darüber würde sich auch Dagmar Warnstedt freuen. Ihr Gartenlokal „Zum Igel“ am Dodendorfer Platz ist von den Kneipenrettern zum Stammtisch des Jahres gewählt worden. Mit der Auszeichnung bringt die Gruppe seit einiger Zeit ihren Dank zum Ausdruck, dass es das Lokal gibt.

Weitere Informationen zum „Magdeburger des Jahres“ 2021 und zu den Kandidaten sowie die Umfrage finden Sie hier.