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Experte fordert Krisen-Interventions-Team und verbesserte Lehrerfortbildung Warnsystem bei einem Amoklauf? Polizei setzt auf abgestimmte Einsatzpläne

Von Matthias Fricke 12.07.2012, 05:19

Während im Jerichower Land bereits die erste Schule sich eine Alarmanlage für Amok-Lagen einrichten lassen hat, setzt die Magdeburger Polizei auf abgestimmte "Einsatzpläne". Die Stadtverwaltung wolle als Schulträger alle angebotenen elektronischen Systeme prüfen.

Magdeburg l Ob in Magdeburg jemals eine Amok-Alarmanlage wie kürzlich im Jerichower Land (Volksstimme berichtete gestern) eingebaut wird, ist fraglich. Denn die Anlage warnt für mehrere Zehntausend Euro die Schüler erst, wenn es möglicherweise zu spät ist.

Experten, wie der Sozialpädagoge Rainer Bode von der Jugendberatungsstelle der Polizei, setzen eher auf die Früherkennung. Sie sei das sicherste Mittel, eine Amoktat rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. In einer von ihm entworfenen Präsentation zur "Lehrerfortbildung" will er Hilfestellung für Krisen-Interventionsteams an den Schulen geben. Sie sollen "Verdachtsfälle" filtern und ihnen nachgehen. Grundlage dafür soll eine Studie von Prof. Dr. Britta Bannenberg sein. Sie hat an der Uni Gießen einen Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug.

In einer empirischen Studie (siehe auch Infokasten) hat sie 58 Strafverfahren untersucht und mit Opfern sowie festgenommenen Tätern gesprochen. Das Ergebnis: Von 72,5 Prozent der Straftaten ging am Ende "keine Gefahr" aus, weil sie entweder aus verschiedenen Gründen vorgetäuscht waren oder auf falscher Wahrnehmung beruhten. Weitere 20 Prozent der Fälle waren "schwer einschätzbar", weil zu den Verhaltensauffälligkeiten noch Persönlichkeitsprobleme kamen. Nur 7,5 Prozent der Fälle wurden von der Professorin am Ende als "gefährlich" eingestuft, weil ohne eine Intervention "die Tat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeführt worden wäre". Bode: "Das hört sich zwar sehr gering an, wenn man es auf alle Schulen in Deutschland hochrechnet, aber die Gefahr ist real."

Umso größer ist sie, wenn nicht nur Eltern, Lehrer und Mitschüler sie nicht rechtzeitig erkennen, sondern auch die Einsatzkräfte für den Ernstfall nicht ausreichend vorbereitet sind. So gab es im November 2009 ein Umdenken bei der Polizei nach einem mehr als peinlichen Vorfall im Hegelgymnasium. Ein Zeuge hatte zwei Schüler mit Waffen ins Schulhaus laufen sehen. Daraufhin umstellten die Beamten zunächst die falsche Schule, um später mit 300 Beamten schließlich nach einigen Stunden 1000 Schüler mehr oder weniger umständlich aus dem Haus zu holen. Zum Glück war es kein Ernstfall, die Waffen unecht und alles nur ein Irrtum. Dennoch hatte der Einsatz auch etwas Gutes. Er sorgte für eines der weitreichendsten Handlungskonzepte der letzten Jahre. Polizeisprecherin Beatrix Mertens: "Wir haben das für über 110 Schulen und pädagogische Einrichtungen entwickelt. Dort wurde passend zu den örtlichen Gegebenheiten alles miteinander abgestimmt und ein Konzept für das Lehrpersonal erstellt." Die Leitlinien seien vom Erkennungssignal oder Codewort für den Ernstfall bis zum Treffpunkt für die Schüler geregelt. Festgehalten sind in den Akten, die es in den Schulen als auch bei der Polizei gibt, auch eventuelle Fremdnutzungen wie Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag oder die Pläne der Reinigungskräfte. Für die Polizei gibt es eine Papierakte und eine Datei für den Computer, die auch im Einsatzfall vor Ort von den Kräften mit einer Übersichtsaufnahme eingesehen werden kann. Nach einem Erlass sind die Schulen verpflichtet, eventuelle Änderungen spätestens alle halbe Jahre zu melden.

Zum Thema "elektronisches Warnsystem" erklärte Mertens nur: "Das lässt sich ohne Weiteres nicht auf jede Schule übertragen." Und Stadtsprecherin Cornelia Poenicke meinte: "Bei solch einer großen Investition und Umrüstung wie im Jerichower Land müsste ohnehin irgendwann der Stadtrat darüber entscheiden."