Magdeburg l Die OP-Maske ist völlig verdreckt, als hätte er eine Zigarre durch sie hindurch geraucht. Von ihr gebändigt wird ein struppiger Bart, durch sie hindurch dringt die wimmernd-leise Stimme eines Mannes, der ratlos ist.
„Es ist gerade eine verfahrene Situation“, sagt der 52-Jährige. Dort, wo er schlafe, sei es gerade etwas durchnässt. In die Obdachlosenunterkunft? Nein, wolle er nicht, zu viele seien dort betrunken oder anders berauscht. Wie er dann an seiner Situation etwas ändern will? „Mir fehlen die finanziellen Mittel“, sagt er. Dann zieht er mit seinem neuen Schlafsack weiter die Sternstraße entlang.
Bekommen hat er den Schlafsack von der Initiative „Platz machen“. Seit einigen Wochen kümmert sich die kleine Gruppe von Engagierten um Obdachlose in Magdeburg. Mit Unterstützung der Caritas haben sie einen Kältebus für die Landeshauptstadt initiiert. Immer samstags sind sie unterwegs, verteilen Decken, Schlafsäcke, Essen und Tee an mehreren Orten in der Stadt.
Es ist eine von mehreren neuen Initiativen für Obdachlose, die sich in den vergangenen Monaten in Magdeburg gegründet haben. Ehrenamtliche erweitern dort derzeit das Angebot der Wohnungslosenhilfe. Experten sehen die Strukturen der Hilfe in Sachsen-Anhalt grundsätzlich spärlich ausgeprägt.
„In Sachsen-Anhalt haben wir sehr, sehr wenig Angebote für Wohnungslose“, betont Werena Rosenke. Sie ist seit 2018 Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Im Verzeichnis der Arbeitsgemeinschaft finden sich nur acht Einrichtungen aus Sachsen-Anhalt, die in der Wohnungslosenhilfe aktiv sind. Bundesweit sind dort rund 1400 registriert. Darüber hinaus gebe es im Bundesland aber kommunale Angebote, sagt Rosenke. Gemeinden und Städte sind verpflichtet, Möglichkeiten der Unterbringung vorzuhalten.
Reicht das Angebot aus? Um die Frage zu beantworten, müsste erst einmal klar sein, wie groß das Problem ist. Das Statistische Landesamt verzeichnet keine Wohnungslosenzahlen. Das Sozialministerium des Landes sieht sich nicht zuständig bei dem Thema und verweist auf die Kommunen. Die Stadt Magdeburg teilt auf Nachfrage mit: „Da es keine Erfassung gibt, können wir keine Angaben machen“.
Also gibt es nur Schätzungen. Wie weit die jedoch daneben liegen können, hat sich im vergangenen Jahr in Berlin gezeigt. Dort hatten sich im Januar mehrere Tausend Freiwillige gemeldet, um die Obdachlosen der Stadt zu zählen. Sie kamen auf rund 2000. Schätzungen gingen zuvor von bis zu 10?000 Obdachlosen in der Stadt aus.
Sichtbar wird Obdachlosigkeit vor allem in größeren Städten. Selbst in Kreisstädten wie Haldensleben verzeichnet die Obdachlosenunterkunft in der Regel nur wenige vorübergehende Bewohner. Derzeit sind von den dortigen 19 Plätzen vier belegt.