Bildung Zwei Magdeburger erzählen über das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg
„Das schaffst du nie“, hätten ihm seine früheren Kollegen gesagt und versucht, ihm den Wunsch nach dem Abitur auszureden. Inzwischen hat der 23-jährige Johannes Gaul das erste Jahr erfolgreich gemeistert. Über die Möglichkeit, das Abitur an der Schule des Zweiten Bildungsweges in Magdeburg abzulegen.
Magdeburg - Eigentlich wollte Johannes Gaul das Abitur gleich an den Realschulabschluss anschließen. „Aber ich bin zu Hause rausgeflogen“, erzählt der heute 23-Jährige. Eine Lehre zum Programmierer brach er ab. Die Lehre zum Chemikanten war dann erfolgreich. Doch der junge Mann träumte weiter davon, das Abitur abzulegen und ein Studium aufzunehmen. Seine Kollegen hätten versucht, ihm das auszureden. Und so war es schließlich eine Wette, die Johannes Gaul dazu brachte, die Verwirklichung seines Traums in Angriff zu nehmen. Er bewarb sich an der Schule des Zweiten Bildungsweges. Junge Erwachsene, die bereits eine Ausbildung absolviert haben und schon im Berufsleben stehen, können dort das Abitur nachholen.
„Viele merken nach der Ausbildung, dass dieser Beruf nicht der ist, den sie für den Rest ihres Lebens ausüben wollen“, erzählt Schulleiter Hendrik Baumann, „bei anderen ergibt sich aus der Ausbildung der Wunsch nach einem Studium“. An der Schule des Zweiten Bildungsweges können sie das Abitur entweder berufsbegleitend an der Abendschule nachholen oder tagsüber am Kolleg. Der Vorteil: Am Kolleg erhalten die Schüler elternunabhängiges Bafög, das nicht zurückgezahlt werden müsse.
Obwohl er sich als Mitarbeiter im Schichtbetrieb an ein gutes Einkommen gewöhnt hatte, komme er gut mit dem Bafög zurecht, sagt Johannes Gaul. Ein wenig verdiene er sich noch als Security-Mitarbeiter hinzu. Zwei Ziele zieht er mit dem Abitur in Erwägung: Gerichtsmedizin zu studieren oder Forensische Psychologie.
Gleich Prüfungen wie an Gymnasien
Wie Baumann berichtet, dauert das Abitur am Kolleg drei Jahre, für manche auch vier. Die elfte Klasse sei ein Einführungsjahr, die zwölfte und dreizehnte Klasse entspreche der Kursstufe am Gymnasium. „Die Schüler haben die gleichen Fächer und schreiben die gleichen Prüfungen wie andere Abiturienten“, erzählt Baumann. Fünf Tage pro Woche haben sie täglich vier Blöcke Unterricht. An der Abendschule sind es jeden Abend fünf Stunden Unterricht. Auch sie schreiben die allgemeinen Abiturprüfungen des Landes Sachsen-Anhalt. Vorteil ist, dass die Klassen zumeist klein sind, so dass die Lehrer individueller auf die angehenden Abiturienten eingehen können.
Trotz Corona und Lockdown sei er den Anforderungen bislang gut gewachsen, sagt Johannes Gaul. Er ist der Meinung, wer mit dem Gedanken spiele, das Abitur abzulegen, sollte es einfach machen: „Wenn es nichts für einen ist, hört man nach drei Monaten auf, und es ist einem nichts passiert. Aber wenn man es durchzieht, hilft es einem ein Leben lang.“
Wie sehr, das sieht Schulleiter Baumann jedes Jahr, wenn die Absolventen ihre Zeugnisse erhalten. Es seien oft außergewöhnliche Typen, die an der Schule des Zweiten Bildungsweges das Abitur ablegen. Bei so manchem seien die Lehrer skeptisch und bei weitem nicht alle legen am Ende auch das Abitur ab. Aber wenn sie es schaffen, dann mache das auch die Lehrer sehr stolz. Wenn Baumann sieht, was aus vielen seiner Abiturienten geworden ist, freut er sich. Denn sie haben Erfolg und sind in allen Bereichen des Lebens tätig. Dabei sei die Umstellung vom Berufsleben zurück auf die Schulbank für viele nicht einfach.
Erst einen beruf gelernt
Jasmine Schnechel ist da wohl eher die Ausnahmen. „Ich gehe gern zur Schule. Ich mag das Umfeld Schule“, erzählt sie. Auch sie wollte ursprünglich gleich nach dem Realschulabschluss das Abitur ablegen. „Aber meine Eltern wollten, dass ich erst einmal einen Beruf erlerne“, sagt die 24-Jährige. Sie wurde Operationstechnische Assistentin, merkte aber schnell, dass dieser Beruf nicht der ist, den sie ein Leben lang ausüben wolle. Eine Freundin erzählte ihr von der Schule des Zweiten Bildungsweges. „Das hat mich angesprochen. Deshalb bin ich hierher gekommen“, sagt die junge Frau. Inzwischen hat sie die zwölfte Klasse fast abgeschlossen und möchte im nächsten Jahr die Abiturprüfungen ablegen. Danach hofft sie auf einen Studienplatz im Bereich Rehapsychologie, Lehramt oder Soziale Arbeit.
„Zu Beginn hatte ich ein bisschen Angst“, erzählt sie von den ersten Wochen am Kolleg. Vor allem vor den Naturwissenschaften habe sie Respekt gehabt. Inzwischen ist sie sicher: „Wenn man motiviert ist und sich von Anfang an hinsetzt, ist es zu schaffen.“ Die Schüler würden nicht ins kalte Wasser geworfen, die Lehrer seien sehr sympathisch. Auch sie komme mit dem elternunabhängigen Bafög gut zurecht. „Man kann seine fixen Kosten decken und auch mal ins Kino gehen oder sich etwas Schönes kaufen“, erzählt die Magdeburgerin von ihren Erfahrungen.
Wer das Abitur auf dem zweiten Weg ablegen möchte, sollte es sich jedoch sehr gut überlegen, meint Jasmine Schnechel. „Man sollte sich wirklich sicher sein, ob man studieren möchte oder nur einen anderen Beruf erlernen möchte und genügend Infos einholen“, rät sie anderen, die sich mit dem Gedanken tragen. „Wie es ist, weiß man aber wirklich erst, wenn man hier ist“, sagt sie.
Tag der offenen Tür am 12. Juni
Einen ersten Einblick können Interessenten am 12. Juni 2021 von 13 bis 15 Uhr erhalten. An diesem Tag lädt die Schule zum Tag der offenen Tür ein. Er findet in den Räumen an der Moldenstraße statt. Auch wenn der eigentliche Standort der Schule des Zweiten Bildungsweges an der Brandenburger Straße liegt. „Das Gebäude wurde umfassend saniert“, berichtet Baumann. Die Schule war daher im Ausweichquartier an der Moldenstraße untergebracht. Inzwischen neigt sich die Zeit dort dem Ende. Am Tag der offenen Tür können sich die Teilnehmer über Zugangsvoraussetzungen und viele andere Fragen rund um die Möglichkeiten an der Schule informieren. Und wer weiß, vielleicht sind sie in drei Jahren selbst schon einer der etwa 30 bis 35 Absolventen, die jedes Jahr das Abitur an der Schule des Zweiten Bildungsweges ablegen.