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Nachtwächterführung Historie als szenischer Spiegel

Sie bleiben ein touristischer Dauerbrenner, die Nachtwächterführungen des Heimatvereins Oebisfelde.

Von Harald Schulz 28.10.2019, 20:00

Oebisfelde l Auch Freitag und Sonnabend bot Nachtwächter Ulrich „Ulli“ Pettke im Verlauf von jeweils zwei abendlichen Touren durch die Altstadt humorvolle wie gruselige Einblicke in das städtische Leben der Allerstadt im Mittelalter. Das besagte Salz in der Suppe der an Szenen reichen und immer wieder mit historisch belegten Berichten gespickten Nachtwächterführungen sind die Laiendarsteller. Diese Mitglieder des Heimatvereins und vom Kulturverein Castrum boten den Gästen durch die zig Inszenierungen im Verlauf des Rundgangs immer wieder Überraschungsmomente, die ihre Wirkung nicht verfehlten.

Da wäre beispielsweise Oliver Wolf, der unter anderem in die Rolle eines Bettlers schlüpfte, der in Lumpen gehüllt, barfüßig, noch dazu mit einem Holzbein, plötzlich aus der Dunkelheit vom „Sträßchen“ auf die Achterstraße vor die Gruppe trat und um „einige Taler oder Silberlinge bettelte“. Keine 50 Meter zuvor hatten die Teilnehmer des knapp zweistündigen Rundgangs erfahren, wie wohl nur hartgesottene Frauen und Männer sich einen Tageslohn verdienten: indem sie sich mit vor Beobachtungen schützenden Umhang samt Auffangeimer und Utensilien für die Notdurft eines zuvor zahlungswilligen Bürgers hergaben.

Ebenso zeigte eine neue Szene in humorvoller Art und Weise auf, was so alles passieren konnte, wenn der Nachtwächter ein Liebespärchen in flagranti erwischte, dessen Ehepartner von dieser Affäre keinen Schimmer hatten. Da fielen schon mal die Hüllen, das Spektakel war groß, weil Michaela Wolf und Sven Groneberg dieses Schauspiel vor und inmitten der Schaulustigen inszenierten.

Ganz still wurde es in den Gruppen, als der Nachtwächter zum Zurückweichen aufforderte, als „Gevatter Tod“, in der damaligen typischen Vorstellung mit der Sense geschultert, aus dem Dunkeln der Lindenstraße in Richtung des schummrigen Schildplatzes vorbeischritt. Eine stumme aber glänzend schaurige Einlage von Fred Hoffmann.

Wie nah Bürger, Händler, Tagelöhner und Bettler dem Tod durch den Beschluss des Magistrats der Stadt kommen konnten, auch das wurde den Teilnehmern der Führung anschaulich mit einer Urteilsfindung und durch den Einsatz eines Henkers auf dem Marktplatz am Rathaus vorgeführt. Dass dann sogar ein Leichenkarren „mit Inhalt“ anrollte, das gab der Szene den Gruseleffekt voll schwarzen Humors.

Zwischen den jeweiligen Szenen gab Nachtwächter „Ulli“ immer wieder belegte Informationen über die Historie der Allerstadt, wies auf Besonderheiten des Handwerks und der Baukunst hin und erläuterte die heute noch benutzten Ableitungen von Sprichwörtern, wie beispielsweise die Torschlusspanik. Hergeleitet aus der Angst, nicht mehr rechtzeitig die Stadttore zu erreichen.

Das Publikum der Führungen hatte überwiegend eine weite Anfahrt. So wie die heute in Hannover lebende Marie-Luise Schunter, geborene Luckow. Sie nahm Freitag an einem Klassentreffen mit Nachtwächterführung teil. Und wollte ihr Elternhaus am Schildplatz in Augenschein nehmen.

Nach den äußerst unterhaltsamen Touren gab es auf dem Burghof ein kulinarisches Angebot von frischer Kost nach mittelalterlichen Rezepturen.