Flüchtlinge Als die Salzburger kamen

Die aktuelle Flüchtlingsproblematik hatte in Deutschland ihre Vorläufer, nicht während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Von Dietmar Buchholz 24.04.2016, 09:40

Oschersleben l Nachdem in Frankreich König Ludwig XIV. (1661 bis 1715) im Jahre 1685 das 1598 erlassene und Glaubensfreiheit garantierende Edikt von Nantes aufgehoben hatte, erreichte die Verfolgung der französischen Protestanten, bekannt als Hugenotten (Eidgenossen), ihren Höhepunkt. Über 50 000 Hugenotten sahen sich gezwungen, ihr Heimatland Frankreich zu verlassen, 20 000 von ihnen fanden Zuflucht im Kurfürstentum Brandenburg-Preußen, dem Vorläufer des späteren Königreiches Preußen.

Der hier herrschende Kurfürst Friedrich Wilhelm, der „Große Kurfürst“ (1640 bis 1688), hatte ebenfalls 1685 das Edikt von Potsdam erlassen, das Religionsfreiheit garantierte und von den verfolgten Hugenotten zu Recht als Einladung verstanden wurde.

Das durch den Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) ausgeblutete Kurfürstentum Brandenburg-Preußen benötigte dringend neue Bewohner, um die umfangreichen Aufgaben zum Wiederaufbau der verschiedenen Bereiche des öffentlichen Lebens in Wirtschaft, Handel, Verkehr und Militär bewältigen zu können. So verwundert es nicht, dass die Flüchtlinge willkommen waren und gut behandelt wurden. Sie bekamen Wohnungen und Kredite und wurden keineswegs genötigt, ihre Nationalität zu verleugnen. Sie bekamen auch ihre französische Kirche und ihr französisches Gymnasium, alles an der Integration war vorbildlich. Um 1700 war jeder dritte Einwohner Berlins ein Protestantischer Franzose.

Dass die „französische Kolonie“, die bis in die Gegenwart nachwirkt, viele Verfeinerungen in Handwerk, Lebensgewohnheiten und Sprache mitbrachte und dem Staat generationenlang hervorragende Diener und Dichter stellte, ist bekannt.

Die Franzosen blieben nicht die einzigen. 1732, nun unter Friedrich Wilhelm I., als König von Preußen 1713 bis 1740, gab es einen weiteren Masseneinwanderungsstoß: 20 000 Salzburger Protestanten flohen vor der Gegenreformation aus ihren österreichischen Landen nach Preußen und wurden im pestentvölkerten Ostpreußen (Preußisch-Litauen) angesiedelt.

Der Oschersleber Heimatforscher Karl Kellner (1890 bis 1965) berichtet in seiner „Chronik der Stadt Oschersleben“, erschienen im Verlag von Otto Bodemann, Oschersleben 1928, unter Berufung auf Akten des Kirchenarchivs Oschersleben, dass am 3. September 1732 nachmittags um 3 Uhr 900 Salzburgische Emigranten in Oschersleben eintrafen. Führende Geistliche, unter ihnen der Oberprediger Ladius, gingen ihnen entgegen und hießen die Flüchtlinge willkommen unter dem Gesang geistlicher Lieder, Glockengeläut und einer Ansprache von „Pastore Primaro“ Ladius ex Joh. VIII., 4,31 und 32 400 der Salzburger zogen nach dem Marsch durch Oschersleben weiter nach Seehausen, die restlichen 500 erhielten Quartier in Oschersleben. Dabei rissen sich die städtischen Bürger bei der Quartiervergabe förmlich um die Asylsuchenden, weil jeder gerne Gäste aufnehmen wollte, um ihnen ihre Liebe und Gastfreundschaft zu beweisen. Am anderen Morgen zogen die Gäste danksagend, singend und Gott lobend weiter.

Am 20. September 1732 trafen weitere 1100 Emigranten ein, die wie am 3. September 1732 bewillkommnet und diesmal von Diakon Hennenberger mit einer Begrüßungsrede empfangen wurden. Während 600 von ihnen in Oschersleben Quartier erhielten, von den Bürgern der Stadt abermals heftig umworben, zogen 500 Flüchtlinge weiter nach Seehausen. Die in Oschersleben Verbleibenden nahmen am öffentlichen Gottesdienst anlässlich des 15. Sonntag nach Trinitatis teil, um am 22. September 1932 unter Gesang, Glockengeläut und der Begleitung von Personen des öffentlichen Lebens und zahlreichen Schülern die Stadt nach einer Abschiedsrede durch das Magdeburger Tor wieder zu verlassen. Auch die Salzburger machten sich nach ihrer Ansiedlung um den Aufbau Preußens verdient und wurden so zu gern gesehenen Bürgern.

Beide Gruppierungen, Hugenotten und Salzburger, später auch Waldenser, Mennoniten, schottische Presbyterianer, Juden und aus streng protestantischen Staaten emigrierende Katholiken waren willkommen und durften, einer preußischen Maxime entsprechend, nach ihrer Facon selig werden. So war schon das Königreich Preußen ein typisches Einwanderungsland, Terroristen waren seinerzeit nicht unter den Einwanderern.