Sammlerstück Auf Gleisen zur Gulaschkanone
Mike Silabetzschki will der alten Straßenbahn in Oschersleben (Landkreis Börde) neues Leben einhauchen.
Oschersleben l Panzer aus dem Kalten Krieg in der Garage, Ladas unterm Carport, ein Armeehubschrauber auf dem Dach und nun eine Straßenbahn vor der Tür. Auf einem Abstellgleis an der Bundesstraße 246 in Oschersleben steht seit ein paar Wochen eine Straßenbahn.
Wenn diese Straßenbahn erzählen könnte, dann würde sie wahrscheinlich von Arbeitern berichten, die morgens von Jena-Zwätzen ins Stadtzentrum gependelt sind oder nach der Frühschicht auf dem Sitz eingeschlafen sind. Sie würde von Kindern erzählen, die vor der Schule ihre Hausaufgaben ausgetauscht haben. Doch diese Zeit ist nun vorbei. Für den Triebwagen vom Typ Jena 107 ist die Ostalgiekantine in Oschersleben vermutlich die Endhaltestelle. Doch das bedeutet nicht, dass die historische Straßenbahn aufs Abstellgleis abgeschoben wird. „Ich will sie wieder vernünftig herrichten“, sagt Mike Silabetzschki.
Der Betreiber der Ostalgiekantine will den historischen Gothawagen in den nächsten Wochen liebevoll aufarbeiten. Der Plan sei, dass die Gäste seiner Feldküche beim Essen von Strammen Max, Soljanka oder Nudeln mit Wurstgulasch nicht im Regen stehen und sich in den Triebwagen setzen können. Wenn bei Mike Silabetzschki die Feldküche köchelt und die Feldbäckerei einheizt, dann stehen die Kunden auf dem Gelände des Freilichtmuseums für Militärtechnik in der Anderslebener Straße Schlange. Damit sie sich bei Regen nicht alle unter dem schmalen Dach der Gulaschkanone drängeln, soll es zukünftig Sitzplätze in der Straßenbahn geben.
Der Gotha-Triebwagen wirkt wie aus der Zeit gefallen und war trotzdem noch bis Anfang der 2000er Jahre auf den Schienen im thüringischen Jena unterwegs. Auf der Internetseite www.gothawagen.de ist der Verbleib sämtlicher Gothawagen dokumentiert. Laut Seitenbetreiber Christoph Heuer gibt es aktuell noch 26 erhaltene Gothawagen, die an Privatleute oder sonstige Institutionen verkauft worden.
Der Triebwagen mit der Nummer Jena 107 vom Typ 59 wurde im Jahr 1961 gebaut. Nach seiner Einsatzzeit in Jena wurde er am 20. Februar 2003 nach Hamburg verkauft. Dort sollte er zum ersten Solartriebwagen umgebaut werden. „Ein Flyer dazu liegt sogar noch in der Straßenbahn“, sagt Silabetzschki. Die sogenannte Else, die erste Elektrische Solareisenbahn der Welt, wurde jedoch nie gebaut. Silabetzschki kaufte den Gothawagen einem Bekannten aus der Nähe von Halberstadt ab. Wie er aus der Hansestadt Richtung Harz gekommen ist, sei jedoch völlig unklar. Seit 20 Jahren steht die historische Straßenbahn dort auf einem Grundstück im Freien. Regen, Schnee und Sonne ausgesetzt. „Da wird sie auch nicht besser“, habe Silabetzschki gesagt und ihm nach einigem „guten Zureden“ die Bahn abgekauft. Vor ein paar Wochen war es dann soweit. Auf einem Tieflader hat Silabetzschki die Straßenbahn aus Halberstadt geholt. Ein riesiger Kran setzte die 13,5 Tonnen schwere Bahn auf die eigens vorbereiteten Schienen neben die Gulaschkanone am Eingang zur Ostalgiekantine. Seitdem hätten sich schon einige Straßenbahnfans bei ihm gemeldet. „Sie konnten mir gleich Angaben zur Herkunft und zum Typ machen“, so Silabetzschki. Auch ein Grund für den Technikbegeisterten, die Bahn wieder in ihrer Origianalfarbe zu lackieren. Cremeweiß mit einem grünen Streifen.
Die Witterung hat der alten Straßenbahn ganz schön zugesetzt. Der Rost nagt an vielen Stellen, die Farbe bröckelt ab. Ganz zu schweigen vom Innenraum. Der Zahn der Zeit hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Die Sitzpolster sind zerschlissen, Lampen hängen von der Decke herab. In der Fahrerkabine hängt sogar noch der alte Fahrplan aus Jena. „Jena-Ost“ steht auf der Rollbandanzeige an der Linie 1. Man sieht ihr an, dass sie in den letzten Jahren keine Zuwendung erhalten hat. Der 52-jährige Ostalgie-Fan hat sich viel vorgenommen. Abschleifen, neu lackieren, Lampen und gesplitterte Scheiben auswechseln.
Jena ist der Straßenbahnbetrieb mit der bislang längsten Einsatzzeit der Gothawagen. 1959 kamen die ersten zwei Triebwagen und sieben Beiwagen in die Saalestadt, am 12. Juli 2003 erfolgte die offizielle Verabschiedung.