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Corona und die Schulen Bildungsminister Marco Tullner stellt sich Hötensleber Eltern zum kritischen Gespräch: „Wechselmodell ist der größte Blödsinn“

Auf ein Plauderstündchen hatte die Elternvertretung der Grundschule Hötensleben Marco Tullner (CDU) vor den Pfingstferien eingeladen. Sachsen-Anhalts Bildungsminister kam – und sprach überraschend offen über die umstrittenen Corona-Vorgaben für Schulen, die er mitzuverantworten hat.

Von Ronny Schoof 14.05.2021, 09:00
Gesprächskreis in der Turnhalle: Bildungsminister Marco Tullner (hinten links) stellte sich den durchaus kritischen Fragen und Stellungnahmen der Hötensleber Elternvertreter.
Gesprächskreis in der Turnhalle: Bildungsminister Marco Tullner (hinten links) stellte sich den durchaus kritischen Fragen und Stellungnahmen der Hötensleber Elternvertreter. Foto: Ronny Schoof

Hötensleben - Der Begriff Plauderstündchen passt in Bezug auf die ruhige und höflich gehaltene Gesprächsatmosphäre und den kleinen Teilnehmerkreis in der Turnhalle der Grundschule. Inhaltlich ging es schon deutlich ungemütlicher zur Sache, was auch Sinn und Zweck dieses kurzfristig arrangierten Treffens mit Marco Tullner war. Elternratsvorsitzender Torsten Haupt: „Wir wollten dem Minister keine Wahlkampfbühne bieten, sondern aufzeigen, wo wir in der aktuellen Lage Probleme sehen, was den Eltern Sorge und auch Ärger bereitet. Wir wollten Maßnahmen und ihr Zustandekommen hinterfragen, ohne jetzt den Scheiterhaufen für den Minister aufzurichten.“

In diesem Ansinnen waren Haupt und sein Stellvertreter, Klaus Zander, durchaus erfolgreich. „Ich fand es konstruktiv“, fasst Torsten Haupt seine Sicht auf die knapp anderthalb Stunden zusammen. „Herr Tullner hat ein paar interessante Sachen offengelegt und war in meinen Augen sehr ehrlich, was die politischen Zwänge angeht, denen er ausgesetzt ist und die Entscheidungen herbeiführen, die er nicht unbedingt befürwortet.“

Die Worte im Namen der Eltern richtete während des Gesprüchs in erster Linie Klaus Zander an den Minister. Eines seiner wichtigen Anliegen: die Aufarbeitung der mitunter chaotischen Landesvorgaben an die Schulen seit März und im besonderen in den Tagen nach Ostern. „Wir waren da doch sehr irritiert, und es gab harsche und harte Worte aus der Elternschaft“, legte Zander dar, dass man für den Schlingerkurs der Landesregierung im April wenig Verständnis aufbringen konnte.

Ohne Aufsicht in der Notbetreuung

Zander prangerte in diesem Zusammenhang das Vor und Zurück von Regelungen „im beinahe täglichen Wechsel“,die Ungleichbehandlung zwischen Kita, Hort und Schule sowie den zähen Informationsfluss „von oben nach unten“ an. „Wir mussten uns alle Infos mühselig selbst erarbeiten.“ In alldem habe die Grundschule Hötensleben zeitweise noch eine extrem diffizile Situation ausstehen müssen: „Die Schulleiterin, eine Klassenlehrerin und der Schulsozialarbeiter mussten in Quarantäne – und das bei der ohnehin schon angespannten Personalsituation. Das war der Super-GAU, und es gab dadurch Fälle, dass Kinder allein, also ohne Aufsicht in der Notbetreuung gesessen haben.“

Letztlich habe der Umgang der Regierungsvertreter mit allen wichtigen Aspekten der vergangenen Wochen – Wechselunterricht, digitales Lernen, Maskenpflicht, Schnelltestprozedere – viel Unzufriedenheit und Frustration bei Eltern und Lehrkräften hervorgerufen, sind sich Torsten Haupt und Klaus Zander einig. Eine ihrer Fragen an den Minister daher: „Wie können wir in ähnlichen Lagen künftig besser werden – was lernen wir daraus?“ Sie blieb allerdings weitgehend unbeantwortet.

Wir waren der Getriebene in der Entwicklung

Marco Tullner

Marco Tullner hörte all dies bei weitem nicht zum ersten Mal und räumte auch unumwunden ein: „Was sie beschreiben, ist quasi einhellig in Sachsen-Anhalt. Fast alle Schulen im Land haben das so empfunden.“ Im selben Atemzug konstatierte er: „Aber wir waren der Getriebene in der ganzen Entwicklung. Im Kabinett kam immer mehr die Ansicht auf, dass Schulen ein großer Risikofaktor sind. Da waren wir zu Kompromissen gezwungen.“

In puncto Test-Wirrwarr ließ Tullner wissen: „Wir mussten die Testpflicht an Schulen zu einem Zeitpunkt einführen, der unklar auch hinsichtlich der Zuverlässigkeit war. Das hat mich sehr gestört. Es kamen Lieferschwierigkeiten hinzu, weshalb sie nicht pünktlich da waren, und dann das Gerichtsurteil zur vorläufigen Aussetzung. Ich selbst habe dann zur Verwirrung beigetragen, als es um die Frage ging, ob in der Schule oder zuhause getestet wird. Rückblickend waren das tatsächlich Chaoswochen. Ginge es allein nach mir, würde ich die Tests sofort wieder abschaffen.“

Schulen können eigene Wege beschreiten

Gleiches äußerte der Minister in Bezug auf das Modell Wechselunterricht: „Das ist der größte Blödsinn, nicht zuletzt, weil dabei die Frage der Notbetreuung ganz schwer wiegt, wie Sie es hier ja auch selber erfahren mussten.“ Auch das Maskentragen sei „auf Dauer kein Zustand, der zum Wohlbefinden der Kinder beiträgt“, meinte Tullner weiter. Er sei „da anderer Auffassung als der Bund“ und verriet nebenbei, dass die Maskenpflicht in den Schulen „eigentlich nicht zwingend vom Land vorgeschrieben“ sei, sondern im Ermessen der Schulen liege. Tullner wörtlich: „Wir geben eine Linie vor, eine Orientierung. Diese wird vor Ort im wahren Leben aber eben auch mal verlassen. Und wenn es funktioniert beziehungsweise Schulen in dieser ungewohnten Lage pragmatischere Wege für sich finden, dann soll das so sein. Man kann so eine Ausnahmesituation und die Maßnahmen dagegen nicht immer und allein mit Logik erklären.“

Eine Erkenntnis für Elternvertreter Torsten Haupt daraus: „Wir wollen nach den Ferien mit der Schulleitung besprechen, ob die Test künftig doch zuhause vorgenommen werden sollten.“