1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Oschersleben
  6. >
  7. Die Abkürzung als Todesfalle

Warnung Die Abkürzung als Todesfalle

Immer wieder wird auch in Oschersleben die tödliche Gefahr unterschätzt, die von herannahenden Zügen ausgeht.

Von André Ziegenmeyer 11.07.2020, 01:01

Oschersleben l Ärgerlich blickt Polizeiobermeister Peter Hartling auf den ehemaligen Bahnübergang an der Kleinen Anderslebener Straße. Ein Drahtzaun soll den Zugang zu den Gleisen verwehren. Er wurde durch Unbekannte aber nicht nur beschädigt, sondern steht an einer Stelle völlig offen. Ein breiter Trampelpfad führt zu den Schienen.

Peter Hartling ist einer von zwei Regionalbereichsbeamten in Oschersleben. Wie er erklärt, wird diese illegale Abkürzung jeden Tag benutzt. Meist stecke eine Mischung aus Bequemlichkeit und Leichtsinn dahinter. Denn der eigentliche, sichere Weg ist einige hundert Meter länger. Doch wie verhängnisvoll Schleichwege sein können, hat sich in der Vergangenheit bereits gezeigt. Wie Ingo Kühl von der Bundespolizeiinspektion Magdeburg berichtet, hat es in Oschersleben schon tödliche Vorfälle gegeben.

Trotzdem: Erst letzte Woche wurden an der Bahnstrecke Richtung Halberstadt vier Jungs dabei bemerkt, wie sie auf den Gleisen spielten. „Bahnanlagen sind keine Spielplätze“, mahnt Polizeihauptmeister Ingo Kühl. Dennoch sei in den letzten Wochen eine Häufung solcher Vorfälle zu spüren gewesen. „Wir haben immer wieder Hinweise bekommen, dass Kinder an den Gleisen unterwegs waren“, so Peter Hartling. Dabei habe nicht zuletzt der Bahnübergang an der Hornhäuser Straße eine Rolle gespielt. Aus der Erfahrung heraus würden schönes Wetter und Ferien solche Ereignisse begünstigen. Deshalb sei jetzt ein guter Zeitpunkt, um auf die Gefahren hinzuweisen.

Doch es geht nicht nur um Kinder oder Jugendliche. Den beiden Polizisten zufolge laufen auch Erwachsene immer wieder über Bahngleise, um ein wenig Zeit zu sparen. Die Folgen können dramatisch sein. „Früher waren Züge so laut, dass man sie schon von Weitem hören konnte“, verdeutlich Ingo Kühl. Das habe sich geändert. „Wenn ich einen Zug hören kann, ist es schon zu spät“, merkt Peter Hartling an. Selbst wer sich nicht direkt auf, sondern neben den Gleisen befinde, sei in Gefahr. Denn Züge würden einen beachtlichen Sog erzeugen.

Hinzu kommt: „Aufgrund der Masse ist der Bremsweg viel länger als bei einem Pkw“, betont Ingo Kühl. Ein Zug mit einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern brauche bis zu 1000 Meter, um zum Stehen zu kommen. Angesichts der Kräfteverhältnisse habe man als Mensch bei einem Unfall praktisch keine Chance. „Es ist einfach nur lebensgefährlich“, bekräftigt Peter Hartling.

Um für das Thema zu sensibilisieren, haben die beiden Polizisten am ehemaligen Bahnübergang an der Anderslebener Straße ein Warnschild angebracht. Darüber hinaus seien sie immer wieder vor Ort, um nach dem Rechten zu sehen.

Doch es gibt auch einiges, das sie ärgert. In der Fabrikstraße befindet sich ebenfalls ein ehemaliger Bahnübergang. Dort komme es allerdings kaum zu Problemen. Denn an der entsprechenden Stelle stehe ein massiver Metallzaun. Warum das an der Anderslebener Straße nicht genauso ist, kann sich Peter Hartling nicht erklären. „Die Situation ist für mich sehr unbefriedigend“, so der Polizeiobermeister.

Doch die Beamten könnten nur Verstöße ahnden und immer wieder auf die Gefahr hinweisen. Sicherungsmaßnahmen wie ein Zaun würden entweder in die Verantwortung der Stadt oder der Bahn fallen. Vor einem Jahr hätten sich die Verantwortlichen bereits vor Ort getroffen. Geschehen sei jedoch nichts. Das Problem besteht laut Peter Hartling darin, dass Bahn und Stadt den jeweils anderen für zuständig hielten. Ingo Kühl merkt jedoch an, dass das nicht nur in Oschersleben der Fall ist, sondern auch in vielen anderen Orten.

Oscherslebens Bürgermeister Benjamin Kanngießer erklärt auf Nachfrage der Volksstimme: „Da ist aus unserer Sicht ganz klar die Bahn in der Pflicht. Sie muss die Gleise gegen unbefugtes Überschreiten sichern.“ Annegret Stertz, die Leiterin des Sachgebietes Tiefbau bei der Stadtverwaltung, appelliert darüber hinaus an die Vernunft der Bürger. Außerdem wolle man noch einmal mit der DB Netz über mögliche Maßnahmen sprechen.

Die Deutsche Bahn teilte mit, dass die Auflassung des Übergangs mit dem Neubau der nahen Eisenbahnüberführung zusammenhing. Dabei habe es sich um ein „planfestgestelltes Verfahren“ gehandelt. Laut Pressesprecher Jörg Bönisch waren alle betroffenen Projektpartner involviert. Die „Maßnahmen gegen das unerlaubte Queren der Bahngleise“ seien Bestandteil dieser Planung gewesen. Den Zaun habe die Deutsche Bahn bereits mehrfach repariert.

„Wenn etwas passiert ist, ist das Geschrei groß“, mahnt Ingo Kühl. Dabei seien vorbeugende Maßnahmen gut umsetzbar. Am Ende gehe jedoch nichts über die Einsicht der Bürger.

Übrigens: Wer beim unbefugten Überqueren von Gleisen erwischt wird, muss zunächst zwar „nur“ mit einem Verwarngeld rechnen. Doch sobald ein Zug bremsen muss, gilt der Vorfall als gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr. Dabei handelt es sich um eine Straftat, die entsprechend geahndet wird. Im Extremfall droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.