Coronavirus Keine Angst vorm Arzt

Angesichts der Corona-Pandemie scheuen viele Menschen den Gang zum Arzt. Jetzt warnen die Bördeklinik und Malteser Rettungsdienst.

Von André Ziegenmeyer 28.04.2020, 01:01

Oschersleben l „In der letzten 48-Stunden-Schicht hatten wir drei Notarzt-Einsätze. Üblich ist das Vier- bis Fünffache“, erklärt Oberarzt Axel Weber. Er leitet im Neindorfer Krankenhaus die Notaufnahme. Der plötzliche Rückgang liege nicht etwa daran, dass die Menschen weniger Beschwerden hätten. Maßgebliche Ursache sei dagegen die Covid-19-Pandemie.

Sie sorge dafür, dass Patienten aus verschiedenen Gründen nicht mehr zum Arzt gehen oder den Notruf wählen. Eventuell fürchten sie, ein besonderes Infektionsrisiko einzugehen. Denkbar ist auch, dass sie glauben, das Haus nicht verlassen zu dürfen. Oder sie wollen keine Krankenhausbetten belegen, die sonst für Covid-19-Patienten gebraucht würden.

Wie Axel Weber versichert, ist dieser Trend auch in anderen medizinischen Einrichtungen zu beobachten. Dabei seien die Bedenken unbegründet. Tatsächlich könne die Scheu vor einem Arztbesuch dazu führen, dass Menschen erst dann reagieren, wenn es schon fast zu spät ist.

Gestorben sei deshalb bisher niemand. „Aber wir erleben immer häufiger, dass Menschen auch mit lebensbedrohlichen Symptomen zu Hause bleiben“, berichtet der Oberarzt der Bördeklinik. So habe eine ältere Dame einen Herzinfarkt erlitten und sei trotzdem noch mehrere Tage daheim geblieben. Ein Jugendlicher habe einen Blinddarmvorfall gehabt. Er sei aber erst ins Krankenhaus gegangen, als die Entzündung schon weit fortgeschritten war. „Ohne die Angst vor Corona wären diese Fälle anders verlaufen“, erklärt Axel Weber.

Tatsächlich gebe es in Neindorf derzeit gar keinen Patienten mit einer bestätigten Coronavirus-Infektion. Wie der Oberarzt betont, wurden dort seit Ausbruch der Pandemie genau zwei Menschen behandelt, die sich nachweislich mit dem Coronavirus infiziert hatten.

Stattdessen gebe es ausreichend Schutzmaterialien und umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen. „Patienten, die hierher kommen, können sicher sein, dass sie mit der größtmöglichen Umsicht behandelt werden“, betont Axel Weber. Alle empfohlenen Standards würden eingehalten. An einigen Stellen gehe man auch darüber hinaus.

„Angesichts von Corona muss man vorsichtig sein. Es gibt Verhaltensregeln, die man einhalten sollte“, führt Axel Weber aus. Dazu zählten das regelmäßige und gründliche Handewäschen, das Einhalten von Abstand und der Verzicht auf das Händeschütteln. Nirgendwo auf der Welt gebe es derzeit eine hundertprozentige Sicherheit vor Ansteckung. Doch eine übersteigerte Angst könne genauso gefährlich sein.

Tobias Niemann arbeitet für den Malteser Hilfsdienst. Er leitet den Rettungsdienst und die Notfallvorsorge in Sachsen-Anhalt. Wie er informiert, wurde die Rettungskette eigens an die aktuelle Situation angepasst. Wer mit der Rettungsleitstelle telefoniere, bekomme dabei auch zusätzliche Fragen zu Corona gestellt. Zum Beispiel, ob er an Fieber leidet, Husten hat oder sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat.

„Diese Informationen werden weitergeleitet, bevor das Rettungspersonal Kontakt zum Patienten hat“, informiert Tobias Niemann. So könnten sich die Mitarbeiter entsprechend vorbereiten. Das Tragen einer Maske sei derzeit obligatorisch. Bei Verdacht auf eine Corona-Infektion kämen ein Schutzkittel oder Schutzoverall, Handschuhe, eine Schutzbrille oder ein sogenannter Face Shield dazu. Letzteres ist ein Schutz, der aus durchsichtigem Plastik besteht und das komplette Gesicht bedeckt.

Auch das betreffende Krankenhaus wird informiert. Wie Axel Weber erklärt, wird ein Patient mit Covid-19-Verdacht in Neindorf nicht einfach in die Notaufnahme gebracht. Stattdessen würde ihn das Team im Eingangsbereich der Notaufnahme in Empfang nehmen und untersuchen.

Wenn der Verdacht aus ihrer Sicht begründet ist, wird der Patient auf eine spezielle Isolierstation gebracht. Dafür wurde in Neindorf tatsächlich eine komplette Station abgeriegelt. Das Personal wurde besonders geschult und ausgerüstet. Auf diese Weise kommen laut Axel Weber Menschen mit Corona-Verdacht gar nicht erst mit anderen Patienten in Kontakt.

Tobias Niemann betont, dass die Mitarbeiter des Rettungsdienstes umfangreiche Erfahrung im Umgang mit Infektionskrankheiten haben. Vor diesem Hintergrund sei Corona keine besondere Herausforderung. Deshalb funktioniere der Rettungsdienst ganz normal. Ähnlich äußert sich Axel Weber. Auch wenn die Bundesregierung empfohlen habe, dass zum Beispiel planbare Operationen aufgeschoben werden: Was gemacht werden müsse, werde gemacht. Und zwar 24 Stunden am Tag.

„Bitte warten Sie nicht ab, wenn Sie zum Beispiel Schmerzen am Herz spüren, wenn sich die Brust eng anfühlt, sie Luftnot haben oder ein Mundwinkel plötzlich herabhängt“, fordert Axel Weber auf. Auch akute Verletzungen, ein Zuckerschock, starke, unklare Schmerzen im Bauchraum oder Ähnliches seien Fälle für den Rettungsdienst.

„Sachsen-Anhalt ist immer noch das Bundesland, mit der höchsten Herzinfarktsterblichkeit. Seit Jahren kämpfen wir dagegen an. Die bisherigen Erfolge sollten nicht zunichte gemacht werden“, so Weber abschließend.