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Psychologie Was tun gegen den Corona-Blues?

Die Pandemie bringt viele Belastungen mit sich – auch psychisch. Deshalb gibt die Psychologin Daniela Köppe Tipps, wie Menschen mit dem Corona-Blues umgehen können. Sie arbeitet unter anderem an der Bördeklinik in Neindorf und verrät auch, worauf Eltern bei ihren Kindern achten sollten.

Von André Ziegenmeyer Aktualisiert: 08.06.2021, 17:59
Die Psychologin Daniela Köppe gibt Tipps, wie man mit den Folgen der Pandemie umgehen kann.
Die Psychologin Daniela Köppe gibt Tipps, wie man mit den Folgen der Pandemie umgehen kann. Foto: André Ziegenmeyer

Neindorf l „Die Nachfrage nach einer Therapie ist massiv gestiegen“, erläutert Daniela Köppe. Die Psychologin arbeitet sowohl in der Helios Bördeklinik in Neindorf als auch in einer eigenen Praxis in Magdeburg. Wie sie ausführt, bekam sie vor Corona maximal drei Anrufe am Tag, bei denen Menschen um eine Behandlung baten. Dieses Jahr seien es an manchen Tagen bis zu 20 Anrufe gewesen.

Vor allem der Winter mit den strengen Beschränkungen und dem kalten Wetter habe den Menschen zu schaffen gemacht. „Seit es Lockerungen gibt und die Sonne scheint, wird es deutlich besser“, verrät Daniela Köppe. Doch verschwunden sei das Problem deshalb nicht.

Im Neindorfer Krankenhaus arbeite sie viel in der Geriatrie. Dabei habe sie die Erfahrung gemacht, dass ältere Menschen oft besser mit der Situation zurechtkämen. Viele erinnerten sich an den Zweiten Weltkrieg und damit an sehr viel schlimmere Erfahrungen.

Bis zu 20 Therapie-Anfragen pro Tag

Doch auch ältere Menschen leiden. Laut der Expertin macht ihnen vor allem die soziale Isolation zu schaffen. „Ihnen fehlen zum Beispiel die Umarmungen. Sie leiden unter der Einsamkeit“, erläutert die Psychologin. „Es kommt vor, dass Patienten weinen, weil sie etwa ihre Enkel seit Monaten nicht gesehen haben.“ Das habe sogar körperliche Auswirkungen. „Sozialer Kontakt ist sehr wichtig für das Wohlbefinden“, hält Daniela Köppe fest.

Darüber hinaus gebe es Patienten, die sich trotz schwerer Beschwerden nicht oder erst sehr spät in Behandlung begeben hätten – aus Angst, sich im Krankenhaus mit dem Corona-Virus anzustecken. Dabei hat Helios-Pressesprecherin Rebecca Jahn in der Vergangenheit immer wieder auf das strenge Hygienekonzept verwiesen. Die Gefahren einer verschleppten Behandlung seien dagegen groß.

Wie Daniela Köppe ausführt, mussten einige Angebote aufgrund der Beschränkungen aber auch zwischenzeitlich pausieren. Das sei beispielsweise bei zwei Kursen in der Schmerztherapie der Fall gewesen. „Auf der anderen Seite hängen Schmerz und Seele eng zusammen“, führt die Expertin aus.

Viele Menschen leiden an der Isolation

„Früher sind Menschen zu mir gekommen, weil sie Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder persönliche Probleme hatten. Mittlerweile melden sich Leute, die vor Corona völlig stabil waren“, erklärt Daniela Köppe. Beispielsweise gebe es Hotel- und Restaurantbesitzer, die mit Suizidgedanken zu kämpfen hätten. Sie fürchteten, dass ihr Lebenswerk in Stücke gehe.

Das große Problem sei, dass die ambulante psychologische Versorgung schon vor der Pandemie stark ausgelastet war. Es sei schon damals schwer gewesen, einen Behandlungsplatz zu bekommen. Durch Corona hätten sich diese Schwierigkeiten deutlich verschärft. Die Verschreibung von Antidepressiva durch Hausärzte sei massiv gestiegen.

Antidepressiva werden häufiger verschrieben

„Einige Leute wissen nicht mehr, warum sie morgens aufstehen sollen“, sagt die Psychologin. „Der Mensch ist ein soziales Wesen, das die Gemeinschaft braucht.“ Die Ungewissheit darüber, wann die Pandemie enden werde, sorge für Perspektivlosigkeit. Viele gesellschaftliche Aktivitäten, die den Betroffenen zuvor Kraft gegeben hätten, hätten sich lange in der Zwangspause befunden. Auch Selbsthilfegruppen hätten sich nicht treffen dürfen. Angehörige hätten nicht mehr in die Krankenhäuser gedurft, um sich von sterbenden Menschen zu verabschieden.

Das alles habe Folgen hinterlassen: „Es gibt mittlerweile Menschen, die Angst vor der Normalität haben, die nicht mehr ins alltägliche Leben zurückfinden, obwohl sie zum Beispiel geimpft sind“, so die Expertin. Diese Personen würden trotz der Lockerungen den Kontakt zu anderen Menschen meiden und sich immer mehr zurückziehen. Man spreche in diesem Zusammenhang vom sogenannten Cave-Syndrom.

Manche haben Angst vor der Normalität

Trotzdem hat die Psychologin auch Hoffnung. Bei den meisten Erwachsenen werde sich die Situation wieder normalisieren – zumindest, wenn sie im Zusammenhang mit der Pandemie keine besonders traumatisierenden Erfahrungen gemacht haben.

Anders sehe es bei Jugendlichen und vor allem bei Kindern aus. „Ihnen fehlt in ihrer Entwicklung oft das Gefühl der Unversehrtheit. Das Bewusstsein, dass ihr Immunsystem sie schützt, konnten viele nicht aufbauen“, führt Daniela Köppe aus. Eine mögliche Langzeitfolge sei die Hypochondrie, also die übertriebene Neigung, den eigenen Gesundheitszustand zu beobachten und sich auch Krankheiten einzubilden.

Für Eltern gebe es unterschiedliche Warnzeichen. Manche Kinder würden sich durch die Belastung immer mehr zurückziehen und stiller werden. „Psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen können hinzukommen“, so die Expertin. Manche Kinder würden plötzlich wieder einnässen und an übersteigerten Ängsten leiden. Doch das genaue Gegenteil komme ebenfalls vor. Viele Kinder würden auch mit Wutausbrüchen und einer gesteigerten Aggressivität reagieren.

Kinder können ganz unterschiedlich reagieren

Auf die Frage, was Eltern in einer solchen Situation tun können, antwortet Daniela Köppe: „Ich habe meine eigenen Kinder über das Thema Corona aufgeklärt und ihnen auch gesagt, dass nur sehr wenige Kinder an dieser Krankheit sterben.“ Je nach Alter sei es möglich, mit den Jungen oder Mädchen über das Immunsystem sowie seine Arbeit zu sprechen und es durch gesunde Ernährung bewusst zu stärken. Gemeinsame Zeit und Hobbys könnten die Kinder ablenken und auf andere Gedanken bringen. „Das Wichtigste ist, dass das Kind spürt, dass seine Eltern gut mit der Situation umgehen können. Nach dem Motto: Wir schaffen das, wir stehen das durch“, betont die Psychologin. Es gehe um das Gefühl der Zuversicht. Um das Reden miteinander, das Erklären und das Vorleben.

Für alle Menschen sei es hilfreich, rauszugehen und den Kontakt mit der Natur zu suchen. Durch Bewegung werde das Glückshormon Serotonin ausgeschüttet. Besonders zu empfehlen seien lange Waldspaziergänge. Denn Bäume setzen laut Daniela Köppe Terpene frei. Diese Stoffe wirkten zum einen beruhigend. Zum anderen würden sie das Immunsystem stärken.

„Der zweite wichtige Aspekte ist das Reden“, so die Expertin. Man solle Sorgen nicht in sich hineinfressen, sondern stattdessen anderen Menschen sein Herz ausschütten. Das Wiederaufleben alter Hobbys oder das Entdecken neuer Hobbys könne für Beschäftigung sorgen. Durch ein sogenanntes Glückstagebuch lasse sich die eigene Wahrnehmung lenken. Darin könne jeder notieren, was er am Tag an Gutem erlebt hat, auch wenn es nur Kleinigkeiten seien. Das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit lasse sich bekämpfen, indem man zum Beispiel andere Menschen unterstützt. Etwa im Rahmen der Nachbarschaftshilfe oder eines Ehrenamtes. So lasse sich neue Schaffenskraft entfalten. Trotzdem gelte: Wer ernste Probleme habe, solle sich nicht scheuen, fachliche Hilfe zu suchen.