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Zeitzeuge Mit Angst durch die friedliche Revolution

Die Oschersleber Kinderärztin Sabine Gummert erinnert sich an Montagsgebete und an die Räumung der Stasi-Zentrale in Oschersleben.

Von Yvonne Heyer 29.10.2019, 05:00

Oschersleben l Sabine Gummert gehört zu jenen Menschen, für die das Gedenken an die ersten Montagsgebete vor 30 Jahren in Oschersleben ein ganz besonderes Ereignis ist. „Angst hatte für mich in dieser Zeit der friedlichen Revolution eine eigene Bewertung. Am 7. Oktober 1989 besuchte ich das Friedensgebet im Magdeburger Dom. Es wurde vor der Teilnahme gewarnt“, erinnert sich Sabine Gummert. Magdeburg sei damals hoch aufgerüstet gewesen. In allen Haupt- und Nebenstraßen in Dom-Nähe waren mit Polizei, Armee, Stasi, Kampfgruppen und weitere Einheiten, allesamt schwer bewaffnet, stationiert. „In den Kliniken sollten Stationen frei gezogen und Blutkonserven reichlich bereit gestellt werden. Um den Dom liefen verhungerte Hetzhunde herum. Das hat Angst gemacht. Der Hass und die Verachtung gegenüber der erlebten brutalen Diktatur machten mir trotzdem Mut“, schreibt die Oschersleber Kinderärztin.

Bei der illegalen Gründung des Neuen Forums im Matthias-Claudius-Haus habe nicht nur ihr die Hand beim Setzen der Unterschrift gezittert. Dies sei auch begründet gewesen. „Später am Runden Tisch hatten wir gewisse rechtliche Befugnisse. Im Dezember 1989 stellten wir in der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Unterlagen sicher, die die Existenz von Internierungslagern bestätigten. Diese waren für uns Oppositionelle vorgesehen. Meinen Namen fand ich auch auf der Liste mit dem Vermerk: unbeugsam, Einzelvernehmung, Einzelhaft. Das ist für mich bis heute Angst auslösend“, so Sabine Gummert.

Nach einem Beschluss der Volkskammer wurden Mitte Dezember 1989 die Stasi-Zentralen aufgelöst. Sabine Gummert war als einzige Bürgerrechtlerin in Oschersleben dazu bestimmt, diese Aktion mit Kreisstaatsanwalt und Kriminalpolizei kontrolliert zu begleiten. Sie habe damals die Wut und den Hass auf die Revolutionäre gespürt. Sie habe sich in diese Gefahr begeben, um dann um so enttäuschter festzustellen, dass die Aktion erfolglos war. Panzerschränke waren leer, Truhen und Alu-Kisten blieben verschlossen, nicht alle Räume wurden geöffnet. „Erschütternd war das Waffen- und Munitionslager und besonders gefährlich ein Raum, in dem ausschließlich biologische und chemische Kampfstoffe lagerten“, berichtet Sabine Gummert.

Das von ihr geschilderte sei nur ein kleiner Teil ihrer Erinnerungen im Rahmen der friedlichen Revolution. Davon wissen nur jene und können nur jene mitreden, die sich an der friedlichen Revolution aktiv beteiligt haben.