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Abenteuer 150 Tage in der Wildnis Amerikas

Raus aus dem Alltag, rein in das Abenteuer: Katharina Widmer aus Rochau hat den Pacific Crest Trail gemeistert.

Von Ingo Gutsche 19.04.2020, 06:00

Rochau l Aufgeben war für die 26-Jährige ein Fremdwort! Obwohl ihr speziell an den ersten Tagen dieser aufregenden Tour die Frage nach dem Sinn der auf sich nehmenden Strapazen durch den Kopf schwirrte. „Wieso mach‘ ich das?“ Am Ende siegte der Ehrgeiz. Die junge Frau aus Rochau war im August des vergangenen Jahres am Ziel, hatte die gesamte Strecke von genau 4279 Kilometern hinter sich gebracht. Stolz und auch ein wenig Wehmut kamen am nördlichsten Punkt des PCT in Nachbarschaft zur Grenze Kanadas auf. Anschließend stellte sie fest: „Es war der bisher schönste Urlaub!“

Die Wildnis ruft! Wer das Abenteuer Pacific Crest Trail eingeht, weiß von den Gefahren: Hitze und Schnee, Klippen und Schluchten, Klapperschlangen und Schwarzbären. Aber es ist eben ein Abenteuer der besonderen Art, das sich Katharina Widmer nicht entgehen lassen wollte. Bereits 2014, zwei Jahre nach dem erfolgreichen Abitur am Osterburger Markgraf-Albrecht-Gymnasium, absolvierte sie den Jakobsweg zum Kap Finisterre an die Atlantikküste. „Dort habe ich Blut geleckt“, blickt Katharina zurück, ihre Wanderslust stieg. Zudem beeinflusste sie der Film „Wild“ mit Reese Witherspoon in der Hauptrolle, der den PCT noch populärer machte. „Nachdem ich ihn gesehen habe stand für mich fest, ihn auf alle Fälle einmal zu gehen.“ Vom PCT hatte sie zuvor nie gehört, recherchierte im Internet. Auf einen Zeitpunkt legte sich die Rochauerin damals noch nicht fest. Zunächst nahm sie das Studium Soziale Arbeit in Angriff, schloss es 2019 in Berlin ab. Kurz vor dem Studiumsende kam ihr der Trail wieder in den Sinn, bewarb sich um einen Platz. Mit einer begrenzten Zahl an Wanderern wollen die Veranstalter die Natur am PCT – er führt dabei durch nicht weniger als sieben Nationalparks – möglichst gut schützen. Die Altmärkerin hatte Glück, für ihren Start-Zeitpunkt, den man bei der Bewerbung benennt, gab es grünes Licht. Das Permit (Erlaubnis) war ihr sicher.

Von ihrer Fitness war Katharina Widmer überzeugt. Die sportliche junge Frau, die während des Studiums als Rad-Kurierin jobbte, hält sich mit Ausdauersportarten fit. „Ich laufe sehr gern, zwischen 70 und 100 Kilometern die Woche“, verrät sie. Ein neuer Rucksack musste her, neue Schuhe - und das Visum für die USA. Ansonsten hielten sich ihre Vorbereitungen für den Trip, für den sie 150 Tage einplante, in Grenzen, wie sie zugibt.

Das Abenteuer konnte beginnen: Am 20. März ging sie am südlichsten Punkt der Route in Campo (Kalifornien) an der mexikanischen Grenze los. „Mit viel zu viel Gepäck“, wie es sich während der ersten Tage herausstellte. „Er wog um die 13 Kilo“. Nach und nach sortierte sie aus, unter anderem den Gaskocher und ein dickes Buch. Später war das Gewicht etwa um die Hälfte leichter. Zu ihrer Ausrüstung gehörten unter anderem eine Regen- und eine Daunenjacke, Shorts, Leggings, Strümpfe. Natürlich auch ein Ultraleichtzelt und ein Schlafsack. Anfangs verzichtete Katharina auf Wanderstöcke (Trekking Poles) die sie jedoch später erwarb und als gute Hilfe befand.

Die nette Gesellschaft unter Mitstreitern half ihr an den ersten Tagen die Herausforderungen zu meistern. Speziell auf den ersten 400 Meilen „habe ich mir öfter die Frage gestellt, warum ich das hier mache“, gibt sie zu. Ab dem dritten Tag war sie mit zwei Amerikanern für einen längeren Teilabschnitt unterwegs. Die Bekanntschaft zu dem Duo bescherte ihr einen Tagesausflug nach Los Angeles, da einer der beiden Wegbegleiter dort eine Tante hat.

Vor der Tour stellte sich Katharina oft die Frage, ob jederzeit genügend Energiezufuhr in Form von Essen und Getränken vorhanden ist. „Die Sorge war unbegründet.“ Sie führte immer genügend Riegel, Müsli, Erdnussbutter und Tortillas mit sich. „Und Nutella pur.“ Da die Einkaufsmärkte der nahe der Strecke liegenden Orte circa drei bis fünf Tagesetappen auseinanderliegen, müssen die Wanderer Proviant für diese Tage einkalkulieren. Zudem wissen sie um die Bedeutung des Trampens – denn zu den abseits des Trails gelegenen Einkaufszentren war das Fahren per Anhalter die optimalste Lösung.

Zu den Utensilien, die sie als sehr wichtig erachtet, gehört ein Wasserfilter. Schließlich bediente sie sich aus den an der Strecke gelegenen Flüssen und Quellen. „Das ist kein Problem.“ Als problematischer erwiesen sich dagegen ihr erstes Paar Schuhe, das etwas zu eng war und rund 300 Meilen hielt. Entlang des Trails stehen sogenannte Hiker-Boxen, in dem sich Sachen befinden, die die Wanderer aussortieren. „Dort habe ich mein zweites Paar Schuhe entdeckt“, denkt sie zurück. Insgesamt waren es fünf Paar, die sie benötigte und nach und nach kaufte.

Nach der Wüstenebene wartete die Sierra Nevada auf Katharina. „Es war ein Rekordjahr mit furchtbar viel Schnee.“ Von 30 Grad Temperatur ging es bis in den Minusbereich. „Ich hatte vier Wochen nasse Füße.“ Zuvor erwarb sie Steigeisen, Eisaxt und Bärenkanister, die dort Pflicht sind, um das Essen aufzubewahren. In dieser Zeit hatte die Rochauerin Gesellschaft durch ein finnisches Pärchen, mit dem sie immer noch in Kontakt ist. Denn genauso faszinierend wie die spektakulären Landschaften am PCT sind die Begegnungen mit den Menschen, wie sie erzählte. In der Sierra Nevada, wo sie von 3 und 4000 Meter hohen Bergen umgeben war, überquerte Katharina zusammen mit den Finnen den höchstgelegensten Punkt der Tour, den Forester Pass (4009m).

Während für sie die Nächte im Zelt kein Problem waren („Ich schlief sehr gut“), warteten auf der Strecke Herausforderungen auf sie. Einmal schwitzte sie Blut und Wasser. „Ich hatte Angst“, blickt Katharina auf einen sehr vereisten und rutschigen Hang zurück. Vor den Passüberquerungen hatte sie den größten Respekt. Aber auch die Flussdurchquerungen, einmal sogar durch einen See, hatten es in sich. Das kalte Wasser stand einmal fast bis zum Hals.

Während sie Klapperschlangen mit nötigem Abstand umging, Bären nicht zu Gesicht bekam, nervten sie andere Plagegeister: „In South Oregon trafen wir auf regelrechte Mückenwolken, so dass ich die Mittagspause im Zelt verbringen musste.“ Die Tage vergingen, an den täglichen Rhythmus mit dem Start gegen 5 Uhr in der Früh, „habe ich mich schnell gewöhnt“. Mit dem Handy (Empfang in den Städten) hielt sie Kontakt nach Deutschland, zudem war Katharina im Besitz eines GPS-Gerätes, so dass ihr Vater jederzeit ihren aktuellen Standort nachvollziehen konnte. Und sie konnte meist davon berichten, dass es ihr gesundheitlich gut geht. Abgesehen von einer kleineren Lebensmittelvergiftung, eine Schienbeinprellung und Hüftschmerzen an manchen Tagen.

Auf dem zweiten Teil der Strecke, der in seinem letzten Abschnitt durch den Bundesstaat Washington führt, war die 26-Jährige schneller unterwegs als auf der ersten Hälfte. „Die Einfachheit ist sehr erfüllend“, zieht sie ein positives Fazit ihrer Reise, die sie nach fünf Monaten an der Grenze zu Kanada beendete. „Klar ist der Körper am Ende etwas müde.“ Etwas Melancholie mischte sich in die Gefühlswelt - ein beeindruckender Urlaub war vorbei. Hat sie etwas vermisst? „Ja, gutes Brot.“

Katharina Widmer zählt damit zu den Thru-Hikern, jene Wanderer, die den gesamten Pacific Crest Trail absolvierten. Eine Erfahrung, die sie nicht missen möchte. Und die ihr „Appetit“ auf weitere Abenteuer auf anderen Fernwanderwegen machte. Anfang dieses Jahres war sie bereits auf dem fast 1300 Kilometer langen Arizona-Trail (USA) unterwegs, ihr Unterfangen wurde indes durch Corona gebremst. Aus dem Abenteuer-Trip 2019 hat sie die Erfahrung mitgenommen, im Vorfeld „etwas klüger zu packen“. Zu ihren künftigen Zielen zählt ein Masterstudiengang Abenteuer- und Erlebnispädagogik. Und die Entdeckung neuer Fernwanderrouten. Ganz oben auf Katharinas Liste stehen neben dem Arizona-Trail auch der Appalachian Trail und der Continental Divide Trail in den USA.