100. Geburtstag "Gedanken sind frei" für Jubilarin
Im April ist Irmgard Müller in die Seniorenresidenz Arneburg gezogen. Kürzlich genoss sie zum 100. Geburtstag ein rührendes Ständchen.
Arneburg l 1917! Da sind die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg eingetreten, da wurde in Russland die Zarenfamilie der Romanows gestürzt, der erste Gabelstapler hergestellt, zum ersten Mal der Pulitzerpreis vergeben, der Lionsclub gegründet – und Irmgard Müller geboren. In Bad Gottleuba, am Rande der Sächsischen Schweiz. „Das ist bei Pirna, Dresden“, so sagte Irmgard Müller am Donnerstag, als um sie herum in einem kleinen Feierraum der „Pro Seniore Elbresidenz Arneburg“ Sekt und Kaffee eingeschenkt wurden.
Die Gratulanten hatten da immer noch „Die Gedanken sind frei“ im Kopf. Familie, Freunde, Bekannte, Mitbewohner und Pflegende sangen das Volkslied kurz vorher. Ein großer Kreis und die 100-jährige Irmgard Müller in der Mitte – das versprach Gänsehaut, beeindruckte unter anderem auch Verbandsgemeindebürgermeister René Schernikau, was er der Jubilarin zur Gratulation gleich mitteilte. „Ich bin tief berührt von dem Lied, was sie gewählt haben.“ Damals wie heute sei es hochaktuell, Stichwort Überwachungsstaat. „Unsere Gedanken sind frei, die kann uns keiner nehmen.“
Irmgard Müller, geborene Otto, wohnt erst seit dem Frühjahr in der Seniorenresidenz, hatte bis dahin ihre eigene Wohnung in Bad Düben. „Aber sie war schon länger abwechselnd mal bei mir und meiner Schwester, weil es alleine nicht mehr ging“, so Antje Platt, die mit 76 Jahren die Ältere der beiden Töchter ist. Während Antje Platt in Arneburg wohnt, ihre Mutter quasi zu sich geholt hat, lebt ihre jüngere Schwester Christine Goedecke (74) in der Lausitz.
Zwar brauchte Irmgard Müller in jüngster Zeit mehr und mehr Hilfe, bis zum Alter von 95 Jahren lief sie aber noch die drei Treppen zu ihrer Wohnung in Bad Düben hoch. „Und das schneller als ich“, betonte Doris Nietsch, eine Nichte der Jubilarin.
Bei Kuchen und Schnittchen blickten die Anwesenden auf Irmgard Müllers Leben zurück. Ihren Mann Fritz verlor diese im Zweiten Weltkrieg, er blieb vermisst und Irmgard Müller boxte sich mit den Kindern allein durch. Die meiste Zeit ihres Arbeitslebens war sie als „Verfielfältigerin“ im Fotolabor der Filmfabrik Orwo Wolfen tätig. „Ich habe das nicht gelernt, mir die Arbeit angenommen“, so Irmgard Müller, die im Geiste noch fit ist. Und sich mit ihrer Zimmernachbarin Irene Brenck (86) gut versteht. „Sonst hätte sie mich nicht zur Feier eingeladen“, scherzte diese. Irmgard Müller, die immer gerne wanderte und Handarbeiten machte, habe sich nicht „besonders verhalten“, um 100 zu werden. Vermutlich hat sie gute Gene: Ihre Mutter wurde 90 Jahre alt und ihr Bruder auch. Das lässt ihre Töchter und ihr Enkelkind hoffen. Apropos hoffen: Was wünscht sich eine 100-Jährige vom neuen Jahr? „Dass es gut wird.“
Diesem Begehren kann Carmen Gedamke, Leiterin der Seniorenresidenz, nur folgen: „Halten Sie uns noch schön lange auf Trab.“ Auch Stadtratsmitglied Hans-Dieter Köppe kommt an Irmgard Müllers 101. Geburtstag gerne wieder zum Gratulieren vorbei. Bis dahin kann die Seniorin ihren Gedanken auch gen Sachsen ihren freien Lauf lassen. Sie fühle sich wohl in Arneburg, „aber Heimat ist eben Heimat“.