1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Osterburg
  6. >
  7. Jeder kam irgendwann hierher

Interview Jeder kam irgendwann hierher

Bürgermeister Jochen Hufschmidt über ein kritisches Bürgerschreiben und das Fremdsein in der Stadt Werben.

Von Karina Hoppe 10.09.2015, 16:00

Volksstimme: Herr Hufschmidt, Sie sind Bürgermeister einer Stadt, deren Altstadt unter Denkmalschutz steht. Was macht es mit Ihnen, wenn Bürger dafür unterschreiben, dass „Wildfremde“ und Gutverdiener keine Fördergelder erhalten sollten? Viele Häuser wurden ja gerade von Zugezogenen saniert.

Hufschmidt: Das macht mich nachdenklich, aber ich bin weit davon entfernt, empört zu sein. Ich frage mich, wie die Frau dazu kommt, so etwas zu schreiben. Ich muss davon ausgehen, dass sie nicht weiß, wie die Städtebaumittel vergeben werden. Was wir wollen, kommt bei einem Teil von Leuten offenbar nicht an. Trotz Informationsveranstaltungen.

Wie haben Sie auf das Schreiben, das Petition genannt wird, reagiert?

Ich habe der Frau einen langen Brief geschrieben. Darin steht, wie die Förderung aus Mitteln des Städtebaulichen Denkmalschutzes funktioniert. Dass Werben weitgehend erhaltene historische Altstadt als besonderes nationales Erbe betrachtet und deswegen mit großen Fördermitteln bedacht wird. Dass bereits viele öffentliche Straßen und Plätze von dem Geld saniert werden konnten, aber auch private Gebäude. Und natürlich auch welche von Neuwerbenern.

Das stößt offenbar in Teilen der Bevölkerung auf Kritik.

Es sind bereits viele Werbener, auch Alteingesessene, in den Genuss einer Förderung gekommen. Darunter übrigens auch welche, die den Brief unterschrieben haben. Wir sind ja froh über jeden Bürger, der Geld in die Hand nimmt, denn das muss er ja, trotz Förderung.

Die Summe, die der Eigentümer der Promenade 1 zur Sanierung eines Fachwerkgebäudes an der Salzkirche erhält, ist einigen Bürgern wohl zu hoch: 120000 Euro.

Wenn es sich um ein Haus handelt, das baufällig und von besonderer Bedeutung für das Stadtbild ist, kann der Stadtrat eine Sanierung bis zu maximal 40 Prozent fördern. Im Falle der Promenade 1 sind es 30 Prozent der Gesamtkosten. Die restlichen 70 Prozent trägt der Eigentümer. Und darüber können wir einfach nur dankbar sein, am Haus ist Zeit im Verzug. Es ist baufällig. Die Entscheidung des Stadtrates für die Förderung fiel allerdings knapp aus.

Der Arbeitskreis Werbener Altstadt (AWA), die Biedermeiermärkte... vieles, was Werben vorangetrieben hat und weiter vorantreibt, geht auf Anstöße von den so genannten Zugezogenen zurück. Trotzdem fremdeln viele Bewohner.

Ich empfinde das häufig als ungerecht und unfair. Wenn wir bei der Promenade 1 bleiben: Dr. Zeilinger bringt sich hier ein, hat vor drei Jahren sogar in der Salzkirche geheiratet. Er ist im AWA, hält Vorträge, fühlt sich wegen der Johanniter mit der Stadt verbunden. Wenn ich dann solchen Menschen gegenüber eine Antipathie verspüre, bin ich emotional betroffen. Ohne die Menschen, die nach der Wende Werben für sich entdeckt haben, sähe es hier schlecht aus. Es brauchte diese Impulse. Hätten wir noch einen NP, wenn am Wochenende nicht der Ansturm der zugezogenen Hamburger und Berliner wäre? Ich bezweifle das.

Besteht die Kluft zwischen Ost und West?

Nein, eher nicht. Viele Zugezogene - etliche haben hier einen Zweitwohnsitz - kommen auch aus dem ehemaligen Osten. Im Übrigen erfahre ich in dieser Sache immer viel Interessantes, wenn ich als Bürgermeister bei Goldenen Hochzeiten oder anderen Festen zugegen bin. Biografien finde ich spannend. Was meinen sie, wie viele Werbener nach dem Krieg selbst Zugezogene waren?! Jeder ist irgendwann hierher gekommen. Aber dass es eine gewisse Skepsis gegenüber dem Neuen gibt, ist ja auch menschlich. Davon ab, darf man nicht vergessen, dass die Wende für viele einen extremen Bruch bedeutete. Ich höre öfters Geschichten über die alte „Brille“ oder die Genossenschaft. Das gibt es alles nicht mehr und das hängt vielen auch nach.

Warum haben Sie den Stadtrat nicht über den Brief informiert?

Der Brief war an mich als Bürgermeister gerichtet, ich gehe nicht mit allem sofort an die Öffentlichkeit. Ich wollte den Brief zunächst beantworten, was ich getan habe. Ich wollte ihn außerdem auch erst allen Unterzeichnern zukommen lassen, aber sie haben ihre Adressen nicht notiert. Wir sind gerade dabei, sie zu ermitteln.

Sie sind jetzt fast zwei Jahre Bürgermeister der Hansestadt Werben. Macht Ihnen die Arbeit noch Spaß?

Ich mache sie unheimlich gerne. Das einzige, was mir keine Freude bereitet, sind die Stadtratssitzungen. Dieser ruppige, respektlose Tonfall, auch Gästen gegenüber, diese ständigen Angriffe gegenüber meiner Person machen mich wirklich betroffen. Da muss sich was ändern, das werde ich mir in dieser Form nicht weitere fünf Jahre antun.