1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Osterburg
  6. >
  7. Not macht ganz schön erfinderisch

Corona-Pandemie Not macht ganz schön erfinderisch

Not macht auch in Coronazeiten erfinderisch. Damit Dienstagabend die Sitzung des Seehäuser Verbandsgemeinderates mit den verschärften RKI-Quarantäneregeln stattfinden konnte, wurde der Versammlungsraum der Seehäuser Feuerwehr kurzerhand ganz unkonventionell zwangsbelüftet.

Von Ralf Franke 21.04.2021, 15:43

Seehausen

Verbandsgemeindebürgermeister Rüdiger Kloth (links) und der Seehäuser Wehrleiter  Enrico Schmidt begutachten die Lüftungstechnik.
Verbandsgemeindebürgermeister Rüdiger Kloth (links) und der Seehäuser Wehrleiter Enrico Schmidt begutachten die Lüftungstechnik.
Foto: Ralf Franke

Zuletzt rasant steigende Inzidenzzahlen weit über der 200er Marke ließen den Stendaler Landrat Ende vergangener Woche im zweiten Jahr der Corona-Pandemie wieder zu drastischen Schritten greifen und zum Beispiel ab Montag auch die Kinderbetreuung herunterfahren.

Alles kann man indes nicht zum Stillstand verdonnern, hatten sich in letzter Zeit die Kommunalparlamente und deren Ausschüsse gesagt, weil wichtige Entscheidungen zu treffen sind, damit Firmen ihr Geld bekommen, laufende oder geplante Investitionen nicht ins Stocken geraten und viele Verwaltungsvorgänge einfach keinen Aufschub dulden. Eine Auffassung, die ausgebremst wird, weil das Robert-Koch-Institut in seinen Empfehlungen an die Bundesregierung vergangene Woche die Quarantänezügel noch einmal anzog. Der Seehäuser Verbandsgemeindebürgermeister Rüdiger Kloth (Freie Wähler) informierte die Mitglieder des Bau- und Ordnungsausschusses des Stadtrates Seehausen am vergangenen Donnerstag zuerst.

Heimatverein hilft mit XXL-Heizlüfter weiter

Demnach wäre automatisch jeder Versammlungsteilnehmer ein Verdachts- und damit ein Quarantänefall, wenn er (oder sie) sich länger als zehn Minuten mit einem Covid-19-Infizierten in einem Raum aufgehalten haben sollte. Wie groß der Raum oder die Abstände der betroffenen Personen waren und ob vorschriftsmäßige Masken getragen wurden, soll offenbar keine Rolle mehr spielen. Damit wären nicht nur größere Sitzungen in Frage gestellt, sondern auch kleine Besprechungen im Rathaus. Ganz zu schweigen davon, dass mit der Logik eigentlich auch keine Impfaktion mehr stattfinden dürfte, wie sie vergangene Woche in der Wischelandhalle über die Bühne ging. Denn selbst mit straffer Zeitplanung war jeder impfwillige Ruheständler 20 bis 25 Minuten in der Halle. Ganz zu schweigen vom medizinischen Personal und deren Helfern, die bis zu 15 Stunden aushielten.

Die Einheitsgemeinde Osterburg hat jetzt auf den Hinweis der Kreisverwaltung reagiert und alle Sitzungen für die kommende Woche abgesagt. Rüdiger Kloth griff zu einem ungewöhnlichen Mittel, damit der Verbandsgemeinderat Seehausen am Dienstagabend wichtige Weichen stellen konnte. Er organisierte vom Heimatverein Aulosen ein leistungsstarkes Heißluftgebläse, das sonst für warme Festzelte sorgt und das vom Haupteingang des Gerätehauses über den Flur sowie die geöffneten Fenster des Versammlungsraumes permanent in einer Richtung für angewärmte Frischluft sorgte – laut Typenschild immerhin bis zu 3300 Kubikmeter in der Stunde. Das stünde in dem Raum nach Kloths Berechnung theoretisch für 16 Mal Luftwechsel pro Stunde. Wenn man nur von der Hälfte des Wertes ausgeht, weil sich Luft in den Ecken etwas träger verhält, wäre das immer noch doppelt so viel wie eine Studie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen als ausreichend für diesen Zweck bewertet, ergaben die Recherchen des Bürgermeisters.

Was die ungewöhnliche Maßnahme am Ende wert ist, die nur noch mit Freiluftversammlungen zu toppen ist, wird sich mit Verzögerung, vielleicht auch nie zeigen, aber sie machte es den Verantwortlichen leichter, eine vermeintliche Schwachstelle bei den neuen RKI-Regeln für sich zu nutzen. Unter Rubrik Kontaktpersonen-Management ist bei der Zehn-Minuten-Klausel nämlich auch vom „selben Raum mit wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöser Aerosole“ die Rede. Was damit gemeint ist und wer das wie feststellen soll, darüber ist dagegen kein Hinweis zu finden.

Ratssitzungen noch im Freien möglich?

Für kritische Anwender oder Durchsetzer der Schutzmaßnahmen zur Infektionsminimierung ist es indes eine weitere von vielen Anweisungen, deren Sinn sich dem Laien nicht immer erschließt. Wie es weiter geht, wenn die Inzidenzzahlen im Landkreis nicht wie in den vergangenen Tagen fallen, bleibt spannend.

Zu Rats- und Ausschusssitzungen war in jüngster Zeit ohnehin nur sehr zurückhaltend eingeladen worden. Aber nicht alle Beschlüsse können nur mit Ja, Nein oder einer Enthaltung im sogenannten Umlaufverfahren entschieden werden, macht Rüdiger Kloth geltend. Über manche Dinge müsse halt auch mal diskutiert werden.