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OP-Skandal Auszeit nach Zahlensalat

Die Gerichtsverhandlung um den OP-Skandal von Gardelegen offenbart, dass Fall nicht so eindeutig ist, wie ihn die Klinik dargestellt hat.

02.05.2016, 23:01

Berlin/Gardelegen l 434 Fälle hat das Altmark-Klinikum am Berliner Landgericht angezeigt. Exakt 354 142,06 Euro fordert das Krankenhaus von seinem ehemaligen Wirbelsäulen-Spezialisten Dr. T an Honorarzahlungen zurück. Der Vorwurf: In diesen Fällen habe es von Sommer 2011 bis Ende 2012 Fehlbehandlungen, falsche Dokumentation und Falschkodierungen gegeben.

Nach mehr als zweistündiger Verhandlung vor der 22. Zivilkammer beendete Richter Carsten Pekie am Freitag den Schlagabtausch der Anwälte beider Parteien mit einer „Auszeit“ – beide Seiten sollen zunächst einmal außerhalb des Gerichtes klären, ob sie sich nicht doch einigen können.

Die Differenzen sind indes groß. T.‘s Anwalt Stefan Grüll hatte zuvor die Liste des Klinikums regelrecht zerpflückt. Seitenlange Excel-Tabellen hatte das Klinikum zur Untermauerung seiner Forderungen eingereicht. In 116 Fällen fehle jedoch jegliche Begründung für eine Rückforderung, hielt Grüll Klinikum-Geschäftsführer Matthias Lauterbach und dessen Anwalt Jörg Adam vor.

Dies reduziere das Volumen der Forderungen um mehr als 100 000 Euro. Grüll legte jedoch noch weiter nach. In anderen Fällen würden Fotos oder Dokumentationen fehlen. Dies könne aber nicht seinem Mandanten zur Last gelegt werden. „Nicht nachweisbar heißt nicht, dass sie nicht stattgefunden haben. Warum sind die Fotos nicht da? Dieser Frage ist nicht nachgegangen worden“, kritisierte Grüll, der darauf verwies, dass diese Aufgaben nicht in den Händen des Chirurgen gelegen haben. Selbst die Rechnungen habe er nach den Angaben des hausinternen Controllings geschrieben.

Pikant: Das Klinikum stellte auch acht Fälle im Gesamtwert von 3465,58 Euro in Rechnung, bei denen bislang gar kein Geld an T. geflossen ist. Dieser hat nämlich in diesem Frühjahr beim Landgericht Stendal nach erfolglosem Mahnverfahren das Klinikum zur Zahlung von 105 223,94 Euro verklagt.

Diese letzten beiden Rechnungen aus den Monaten November und Dezember 2012 hat das Klinikum bislang nicht beglichen. Grülls Umkehrschluss: Die restlichen Fälle der beiden Rechnungen seien demnach unstrittig.

Richter Pekie war davon sichtlich beeindruckt: „434 Fälle, das sind fast 434 Prozesse. Sie haben das auseinander genommen. Wenn man es liest, kann man alles verstehen.“ Die leeren Spalten in den 116 Fällen bezeichnete er als „ziemlich viele“ und deutete an, dass hierzu vertiefende Gutachten erforderlich seien.

„Dann müsste man da nachlegen“, räumte Klinikum-Anwalt Adam ein.

Ein Einwurf, der Grüll zornig machte: „Der Prozess ist ein Jahr alt.“ Bislang habe er noch nicht einmal erfahren, wer diese Liste erstellt habe. „Warum wird da so ein Geheimnis draus gemacht?“ Hier gehe es um eine Existenz. „Mein Mandant hat durch diese Vorwürfe de facto Berufsverbot. Er hat vitales Interesse an der Aufklärung. Der möchte wissen, was man ihm vorwirft.“ Und weiter: „Ich möchte wissen, wer das gemacht hat. Wie soll man auf etwas eingehen, wenn man nicht weiß, wer es gemacht hat?“

Nach kurzer Beratung offenbarte Klinikum-Geschäftsführer Lauterbach, dass ein Hamburger Dienstleister für Datenauswertungen die Daten unter Einbeziehung eines externen Neurochirurgen erstellt habe. Zudem sei T.‘s Nachfolger Dr. Ralf Dörre eingebunden gewesen. Lauterbach: „Die haben sich sämtliche Fälle angeguckt.“

Für Grüll ist das Vorgehen ein Unding. In keinem Fall habe das Klinikum in strittigen Fällen bislang T. die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Die Einbeziehung des Operateurs sei aber bei Streitigkeiten mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen zwingend vorgeschrieben. „Das hat alles nicht stattgefunden. Stattdessen hat das Klinikum eine Million Euro den Krankenkassen erstattet. Das ist hirnrissig“, zürnte der Anwalt.

„Wir stehen vor großen Hürden“, fasste Richter Pekie am Ende zusammen, bevor er die „Auszeit“ aufrief.