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Ein Altmärker berichtet über seinen Weg aus der Abhängigkeit "Als Alkoholiker musst du jeden Tag kämpfen"

Von Alexander Walter 23.02.2013, 02:13

Christian P. hat jahrelang massiv getrunken. Damit ist er einer von vielen Altmärkern mit einem Alkoholproblem. Der Volksstimme erzählte der Familienvater über seinen Weg in die Sucht und über den langen Weg zurück ins Leben.

Salzwedel l Zum Schluss trank Christian P. (Name geändert)fast jeden Tag eine Flasche Schnaps. Der Alkohol bestimmte sein Leben. Familie, Freunde und Hobbys traten in den Hintergrund. Sechs Entgiftungen und zwei Langzeittherapien später sitzt der Familienvater nun auf einem Stuhl im Beratungszimmer der Suchtberatung der Salzwedeler Arbeiterwohlfahrt. Heute ist er weitgehend "trocken", wie man unter Alkoholikern sagt. Stellvertretend für viele andere ist er bereit, seine Geschichte zu erzählen.

Sie beginnt in den 1980er Jahren. "Damals hat alles angefangen", erinnert sich der Altmärker. Während der Ausbildung in der Landwirtschaft habe er sich nach der Arbeit oft mit Kumpels zu einem Bierchen getroffen. In der Disko kam die eine oder andere Flasche hinzu - all das ist auch heute nichts Ungewöhnliches unter Jugendlichen. "Das war mein erster Kontakt mit Alkohol", sagt Christian P.. Ein Problem mit dem Trinken habe er damals aber noch nicht gehabt. Ganz langsam erst, fast unmerklich nahm der Alkoholkonsum dann aber zu. Die Droge schlich sich gewissermaßen ins Leben des Altmärkers. In den 1990er Jahren habe er vor Vereinstreffen in seinem Dorf auch zu Hause schon mal einen getrunken, erzählt Christian P.. "Weil es immer so lange gedauert hat, bis die mit ihren Ansprachen und Ehrungen fertig waren."

Mag dies bereits ein ernstes Warnsignal gewesen sein, richtig problematisch wurde es für den Altmärker erst viel später, als er infolge von zwei schweren Unfällen vor ein paar Jahren erwerbsunfähig geschrieben wurde. "Als ich zu Hause war, ging das Trinken richtig los", sagt Christian P. rückblickend. "Ich litt unter schweren Depressionen." Der Alkohol schien das entstandene Loch füllen zu können. Sinnlosigkeit, Einsamkeit und Grübeleien - all das verschwand, wenn er die Flasche ansetzte.

Wie massiv er der Droge in dieser Zeit verfiel, das erkennt der Familienvater erst in der Rückschau so richtig. Typisch für Alkoholiker habe er damals begonnen, Schnapsflaschen im Haus zu verstecken. An einem Geschäft im Nachbarort holte er sich den Stoff, um die erste Flasche gleich danach heimlich an einem Feldweg zu leeren. Mit Alkohol im Blut setzte er sich anschließend wieder ans Steuer und fuhr nach Hause zu Frau und Kindern.

Oft sei er damals tagelang betrunken gewesen, bis der Körper gesagt habe: Es geht nicht mehr. Danach brach Christian P. alles aus, konnte kein Essen und auch keinen Alkohol mehr zu sich nehmen. Doch statt anschließend ganz aufzuhören, gab er sich, sobald es ihm besser ging, wieder und wieder der Flasche hin.

"Mein Wille war einfach zu schwach", sagt er heute. Doch auch sein Körper war es wohl. Zwei Entzugsversuche auf eigene Faust scheiterten an den unerträglichen Nebenwirkungen. Erst viel später sollte Christian P. erfahren, dass er sich damit in Lebensgefahr begeben hatte.

"Wenn der Saufdruck kommt, rede!"

Lange und immer wieder ging das so. Schließlich tat Christian P. etwas, für das er sich noch heute mehr als für alles andere schämt: "Ich habe Geld aus dem Portemonnaie meiner Frau gestohlen", erzählt er. Und das, obwohl die finanzielle Situation der Familie alles andere als rosig gewesen sei.

Für seine Frau war das Ende der Geduld nun erreicht. Sie drohte mit der Scheidung. Auch seine Kinder hätten sich damals mehr und mehr von ihm entfernt, sagt P.. Als er nach einer Polizeikontrolle auch noch seinen Führerschein abgeben musste, war der Leidensdruck schließlich groß genug. Christian P. wagte einen Schritt, den längst nicht alle Betroffenen gehen: Er suchte sich professionelle Hilfe.

Es war der erste Schritt auf einem steinigen Weg und doch war es für P. der einzige Weg zurück ins Leben. Sechs Entzüge und Langzeittherapien in Uchtspringe, Haldensleben, Jerichow und Leipzig hat der Altmärker seitdem hinter sich gebracht. Auch einen Selbstmordversuch hat er unternommen. Geheilt ist P. trotz aller Therapien nicht. Aber das ist kaum ein Alkoholiker jemals.

Seine Therapeutin, habe oft zu ihm gesagt: "Wenn der Saufdruck kommt, lenk dich mit Aktivitäten ab oder komm her und rede!", erklärt der Altmärker. Überhaupt: "Reden, reden, reden". Das sei ganz wichtig für Betroffene.

Christian P. weiß heute, dass der Alkohol sein Begleiter bleiben wird, wohl sein ganzes Leben lang: "Als Alkoholiker musst du jeden Tag kämpfen", sagt er. Wichtiger als eine vollständige Heilung ist ihm inzwischen aber ohnehin, dass sich seine Familie nach seinem Schritt in die Therapie zu ihm bekannt hat. "Wenn meine Frau nicht zu mir gehalten hätte, wäre ich zu 70 Prozent schon tot", sagt er mit bebender Stimme.

Die gute Nachricht für den Altmärker ist: Er hat den Kampf gegen den Alkohol durch sein Bekenntnis zur Krankheit und den Willen zur Therapie angenommen. Damit hat er gute Chancen der Droge auf Dauer erfolgreich zu widerstehen, auch wenn es zwischendurch Rückfälle geben sollte.

Was bleibt ist die Trauer über das, was durch den Alkohol verloren ging. "Ich habe so viel zerstört in den vergangenen Jahren", sagt P.. Für die Zukunft wünsche er sich, dass seine Familie wieder stolz auf ihn sein kann.