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Landwirtschaft Altmarkkreis Salzwedel: Milchviehhalter auf dem Rückzug

Die Zahl der Milchviehhalter im Altmarkkreis Salzwedel geht drastisch zurück. Die Gründe sind vielschichtig. Für die an Grünland reiche Altmark ist das eine fatale Entwicklung, weil regionale Wertschöpfung verloren geht.

Von Antje Mewes 10.08.2021, 04:30
Die Landwirte Frank Pieper (von links), Christian Schmidt, Annegret Jacobs, vom Kreis-Bauernverband  und Margret Pieper im modernen Milchviehstall der Agrarerzeugergemeinschaft Pretzier.
Die Landwirte Frank Pieper (von links), Christian Schmidt, Annegret Jacobs, vom Kreis-Bauernverband und Margret Pieper im modernen Milchviehstall der Agrarerzeugergemeinschaft Pretzier. Foto: Antje Mewes

Salzwedel - In der landwirtschaftlich geprägten Altmark spielt die Rinderzucht eine große Rolle. Inzwischen ist die Lage in diesem Wirtschaftszweig katastrophal. Die Zahl der gehaltenen Tiere sinkt stetig. Im Altmarkkreis bei Milchrindern innerhalb von vier Jahren um gut 4200. Ebenso groß ist der Schwund der Milchkuhhaltungen. 2016 waren es 86, 2020 nur noch 68 Betriebe, wobei sich die Bestandsgröße von 263 auf durchschnittlich 306 Kühe erhöht hat. In diesem Jahr gaben allein rund um Salzwedel weitere fünf Betriebe ihre Milchviehhaltung auf. Zahlen, die Annegret Jacobs, Geschäftsführerin des Kreis-Bauernverbandes bei einem Gespräch mit Landwirten genannt hat.

Dabei sei der Rückgang nicht allein ökonomischen Gründen geschuldet – auch wenn die Erlöse in der Milchproduktion knapp bemessen sind. Die Vergütung für die Milch, reiche kaum, um die Produktionskosten zu decken. Der Milchgrundpreis für die Erzeuger stagnierte lange bei 33 Cent je Liter. Dieser Auszahlungspreis der Molkerein resultiere aus dem hohen Druck, den die Handelsketten ausüben.

Wir vermuten, dass wir diesen Mehraufwand nicht bezahlt bekommen.

Frank Pieper

Inzwischen führten aber auch höhere Anforderungen seitens der Politik und die steigenden Ansprüche der Gesellschaft dazu, dass Landwirtschaftsbetriebe diesen aufwändigen Produktionszweig abstoßen. Denn es sei für viele in der derzeitigen Erlössituation nicht zu schaffen, die höheren Tierwohl- und Umweltauflagen zu erfüllen. Diese beziehen sich unter anderem auf Verordnungen zur Rohmilchgüte oder zur Düngung, auf den Gewässerschutz bis hin zur gentechnikfreien Fütterung, die immer höhere Kosten verursache und die Ökonomie verschlechtere. So koste Rapsextraktionsschrot als Eiweißfuttermittel momentan fast doppelt soviel wie 2020. Hinzu kommen gestiegene Pachten, teurere Betriebsstoffe wie Diesel oder mehr Bürokratie. Die Mitarbeiter hätten für ihre Arbeit auch mal mehr Lohn verdient, macht Christian Schmidt, Geschäftsführer der Agrargesellschaft Siedenlangenbeck deutlich: „Sie sind mit soviel Herzblut bei der Sache“, sagt er.

Bei der Tierhaltung nennt Frank Pieper, Chef der Agrarerzeugergemeinschaft Pretzier ein Beispiel: So sollen im nächsten Jahr männliche Kälber nur noch in einem Alter von mindestens 28 Tagen transportiert werden dürfen. Bisher waren es 14 Tage. Das bedeutet für die Landwirte, dass sie Tiere zwei Wochen längern füttern, betreuen, tierärztlich versorgen müssen und der Platzbefarf steigt. „Wir vermuten, dass wir diesen Mehraufwand nicht bezahlt bekommen“, sagt er. Schwarzbunte Bullenkälber haben, ähnlich wie männliche Küken von Legehennen, keinen hohen Wert für die Mast. Die Bauern bekommen für sie abhängig von der Marktlage manchmal nicht mal 70 Euro je Kalb. Bei Kosten für Futter, Arbeitszeit, Stall und Besamung der Kuh von rund 150 bis 200 Euro.

Weitere Forderungen wie breitere Stallgänge und Auslaufflächen zögen für viele Betriebe Investitionskosten nach sich, die beim derzeitigen Milchpreis nicht gedeckt werden könnten. Dabei habe sich in der Milchviehhaltung in den vergangenen Jahren viel zum Guten für die Tiere gewendet – mit luftigen Laufställen statt Anbindehaltung und mehr Platz für die einzelne Kuh in der Gruppenhaltung.

Optimismus, Weitblick und Fachwissen sind gefragt, um diesem Druck standzuhalten.

Annegret Jacobs

Für die Grünlandnutzung komme als Alternative zum Milchbetrieb Mutterkuhhaltung in Frage. Aber das sei ebenfalls ein „knappes Geschäft.“ Mehr als „plus minus null“ komme dabei nicht herum. Darum habe er das wieder aufgegeben, so Schmidt. Einige Landwirte suchten ihr Heil in der Färsenaufzucht. „Aber wenn es keine Milchviehhalter mehr gibt, gibt es auch keine Jungrinder mehr“, bringt es Pieper auf den Punkt. Sie ist im Pretzierer Betrieb die Ökonomie zuständig.

Mit jedem Milchviehbetrieb, der aufgebe, gingen Arbeitsplätze verloren. Die Grünlandbewirtschaftung werde schwieriger, die Produktion und damit die Wertschöpfung vor Ort komme schrumpft. Die viel beschworene Regionalität ebenso.

Welchen Ausweg kann es geben? „Optimismus, Weitblick und Fachwissen ist gefragt, um diesem Druck standzuhalten“, sagt Annegret Jacobs. In der Gesellschaft müsse ein Umdenken einsetzen. Mehr Tierwohl und Umweltschutz seien nicht zum Nulltarif zu haben. Milch und die daraus erzeugten Lebensmittel hätten einen viel höheren Wert, als momentan aufgrund von Billigpreisschlachten der Handelsketten dafür gezahlt wird. Die jetzigen Tierwohllabel hätten bisher nicht dazu beigetragen, dieses Dilemma zum Positiven für die Landwirte zu wenden.