1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Kind trotz Notfall zu spät behandelt?

Patientenhilfe Kind trotz Notfall zu spät behandelt?

Ein Vater erhebt schwere Vorwürfe gegen Salzwedeler Mediziner. Er sagt, dass sein Sohn trotz Notfalls viel zu spät behandelt wurde.

Von Alexander Rekow 20.08.2018, 01:01

Salzwedel l Der Vorwurf klingt haarsträubend. Der Salzwedeler Fred Burgis wirft mehreren Medizinern in Salzwedel vor, seinen Sohn Alexander (10) trotz eines Notfalls nicht behandelt zu haben. Im Vorfeld kam es zu einem Fahrrad-Unfall, bei dem sich der Junge auf die Zunge gebissen haben und diese dadurch eingerissen sein soll. Doch was ist genau passiert?

An einem Freitag im Juli diesen Jahres fuhr Fred Burgis mit seinem Sohn Alexander am Vormittag mit dem Rad auf der Uelzener Straße. Ziel der beiden war der Busbahnhof der Hansestadt, um gemeinsam nach Arendsee zu fahren. Auf Höhe der ehemaligen Sparkasse passierte es schließlich. „Ich habe gerade nach hinten geschaut, wo der Papa bleibt“, sagt der Zehnjährige. Dann fuhr er gegen eine Straßenlaterne. Ersten Anzeichen nach, so der Vater, sei alles in Ordnung gewesen. Alexander habe weder geweint noch geklagt. Also setzten die beiden ihre Fahrt fort. Doch in den Bus eingestiegen, begannen die Schmerzen. „Mir wurde schwindelig, und es tat weh“, erinnert sich der Zehnjährige. Blut füllte seinen Mund. Die Alarmglocken des Vaters gingen an. „Wir sind in Arendsee gar nicht erst irgendwo hin, wir haben direkt den nächsten Bus zurück nach Salzwedel genommen“, weiß der Vater noch. Sie wollten sofort zu einem Arzt in die Heimatstadt.

In Salzwedel angekommen, radelten die beiden direkt zu einem Hausarzt. „Das war genau zwei Minuten vor zwölf“, erinnert sich Fred Burgis genau. Im Warteraum hätten noch drei Patienten gesessen. „Wir sind direkt zu einer Schwester und wollten vom Arzt wissen, ob genäht werden muss“, sagt der Vater. Die Antwort verschlug ihm dann die Sprache: „Sie sagte, die Sprechstunde ist vorbei.“ Daher soll sie die beiden zu einem Chirurgen in der Stadt geschickt haben.

„Er hat uns nicht gesagt, worum es genau geht“, erklärt indes die Schwester der Praxis, „wir schicken keinen Notfall weg – schon gar kein blutendes Kind!“ Das bestätigt auch eine Medizinerin der Praxis.

Zudem sollen die Schwestern die Dringlichkeit bereits am Tresen abschätzen. Denn häufig drängen Patienten auf einen Notfall, der eigentlich keiner sei. Der Ärztemangel der Region, die vielen Patienten, der Stress und auch die Hitze verschärfen die Situation zusätzlich. „Für viele Patienten ist alles ein Notfall“, weiß die Medizinerin aus Erfahrung und bestätigt mehrfach, dass kein Notfall-Patient der Praxis verwiesen werde, egal ob kurz vor Schluss oder nicht. Dennoch wurden Vater und Sohn zu einem Chirurgen geschickt.

Somit machte sich der besorgte Vater also mit seinem Sohn auf den Weg zu einer Praxis mit Fachrichtung Chirurgie. Dort angekommen, gab es den nächsten Dämpfer. „Der hatte Urlaub“, grummelt der Salzwedeler. Also blieb dem Vater für sein Kind nur noch eine Lösung – die Notaufnahme im Altmark-Klinikum Salzwedel. Wenn nicht dort, wo sonst?

Eine Schwester der Notaufnahme soll nach Ankunft der beiden einen Chirurgen informiert haben – doch der soll gar nicht erst gekommen sein, sagt Fred Burgis. „Stattdessen hat er uns ausrichten lassen, dass er das nicht behandelt“, klagt der Vater: „Ich hätte heulen können – keiner wollte meinen Sohn behandeln.“

Aber auch im Altmark-Klinikum wehrt man sich gegen den Vorwurf, dass ein Kind bewusst nicht behandelt worden ist. „Das Kind wurde von seinem Vater bei uns mit einer Verletzung der Mundschleimhaut vorgestellt und fachärztlich begutachtet“, erklärt der Oberarzt der Notaufnahme, Benjamin Stüttgen. „Dabei konnte nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob es sich bei der Verletzung um eine behandlungswürdige Mitbeteiligung der Zähne, beispielsweise eine Lockerung, handelte. Dementsprechend wurde das Kind zur weiteren Diagnostik und Therapie an einen Zahnarzt verwiesen“, teilt der Oberarzt mit.

Nachdem dann die Mutter von Alexander von der Arbeit kam, machte sie sich schließlich auf den Weg zu einem Kieferorthopäden, erinnert sich der Vater: „Da wurde er aber auch nicht behandelt!“ Stunden später fanden Mutter und Kind zur Erleichterung aller bei einem Zahnarzt Hilfe. „Da war es dann schon nach 16 Uhr“, ärgert sich Fred Burgis. Wie der Vater erklärt, wurde die Zunge des Kindes schlussendlich mit mehreren Stichen genäht. Alexander zeigt daraufhin seinem Vater stolz die Narbe, eine weiße unscheinbare Linie quer über die Zunge.

„Als Krankenhaus der Grundversorgung ist es uns leider nicht möglich, sämtliche medizinische Notfälle abschließend bei uns zu behandeln“, sagt der Oberarzt der Notaufnahme in der Hansestadt. Und gerade bei Verletzungen im Mund- und Augenbereich würden in der Regel Fachärzte außerhalb der Klinik hinzugezogen werden.

Das bestätigt auch die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalts (KVSA). Bei Verletzungen der Zunge seien Fachzahnärzte für Oralchirurgie aufzusuchen, erklärt Bernd Franke, für die Öffentlichkeitsarbeit der KVSA zuständig. Die nächste in Sachsen-Anhalt sei aber erst in Magdeburg – und damit unverhältnismäßig weit entfernt. Da laut KVSA die Versorgung von Weichteilen Bestandteil der chirurgischen Weiterbildung sei, hätte dies ein Facharzt für Chirurgie behandeln können.

Oberarzt Benjamin Stüttgen stellt abschließend klar: „In jedem Falle findet in unserer Notaufnahme eine Begutachtung und wenn nötig Erstversorgung statt.“

Für Fred Burgis stehen viele Stunden ohne jegliche Behandlung seines Kindes im Raum. Aus welchem Grund, zählt da für ihn wenig. Ein unhaltbarer Zustand auf dem Rücken seines Sohnes. Und Alexander? Der grinst schon wieder.