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Zwei- und dreigeschossige Plattenbauten sollten Fachwerkhäuser in der Innenstadt ersetzen DDR-Plan sah Abriss von halb Salzwedel vor

Von Philip Najdzion 02.03.2013, 01:15

Ein ungeheuerlicher Plan ist in den 1970er Jahren entwickelt worden. Die halbe Innenstadt Salzwedels sollte abgerissen werden. Der Plan scheiterte, weil der DDR Material und Handwerker fehlten.

Salzwedel l "Vertrauliche Dienstsache" steht in der Mappe. Sie riecht nach altem Papier. Doch darin sind Pläne, die Salzwedel für immer verändert hätten. Die DDR wollte fast die halbe Innenstadt neu bauen. Die Abrissbirne hätte unter anderem die Gebäude an der Wollweberstraße und der Alten Jeetze dem Erdboden gleich gemacht. Die Wende, fehlende Arbeitskräfte und fehlendes Material verhinderten dies.

1200 Wohnungen sollten abgerissen und durch neue ersetzt werden. Die Fachwerkhäuser sollten einem "Plattenbau deluxe" weichen. Zwei- bis dreigeschossigen Wohnungen mit Loggia des Typs Wohnungsbauserie 70. Der damalige Kreisarchitekt Reinhold Matzat hat die Pläne in den 1970er Jahren im Auftrag mit erarbeitet. In einem Vortrag sprach er öffentlich über das einst vertrauliche Projekt.

Es war das Jahr 1976. Der Rat des Kreises und der Stadt stimmten einem Mammutprojekt zu: Bis zu 1200 Wohnungen in Salzwedel sollten abgerissen und durch neue ersetzt werden sollen. Grundlage der sogenannten städtebaulichen Leitplanung von 1976 bis 1990: Die SED hatte während ihrer Parteitage acht und neun beschlossen, dass das Wohnungsproblem bis 1990 gelöst werden sollte. Denn der DDR fehlte Wohnraum. Die Situation in Salzwedel, schilderte Matzat so: 1500 neue Arbeiter sollten beim Erdgasbetrieb anfangen, 1200 von ihnen mit jungen Familien. "Die konnten in Salzwedel aber nicht untergebracht werden", sagte der Architekt.

Neue Leitungen entlang neuer Hauptstraße

Für sie sollte in der Innenstadt Wohnraum geschaffen werden. Die alten Fachwerkhäuser entsprachen vor allem im Sanitärbereich kaum den Wünschen und Ansprüchen der jungen Leute.

Es war ein gigantisches Projekt: Eine neue Hauptstraße sollte Salzwedel durchziehen. Geplant war ein innerstädtischer Ring von der Katharinenkirche bis zum Südbockhorn. Dieser führte über Wollweberstraße, Große St.-Ilsen-Straße, Nicolaiplatz bis hin zur Holzmarktstraße. Aber ohne Umweg. Schräg gegenüber dem einstigen Schlecker am Eingang der Burgstraße hätten die Häuser der Straße weichen müssen.

Entlang der gesamten Straße sollten neue Leitungen verlegt werden - Wasser, Abwasser, Gas und Strom. Zwei neue Kindergärten sollten in der Stadt gebaut werden. Wo heute die Volksstimme ihren Redaktionssitz hat, wäre ein Platz entstanden. Ein Durchgang sollte bis zur Mönchskirche führen. Die Apotheke hätte einem Neubau weichen müssen.

Ein erster Schritt für den großen Plan: Zustand und Einrichtung der vorhandenen Häuser mussten analysiert werden. Lohnt sich der Erhalt, oder sollten die Häuser abgerissen werden? Mit drei bis fünf Mann ging eine Arbeitsgruppe von Tür zu Tür. Sie prüften, ob die Decken morsch sind und dokumentierten jede Toilette und Badewanne. "Dreieinhalb Jahre haben wir gebraucht", sagte Matzat.

Das Ergebnis der Arbeitsgruppe liest sich ernüchternd: In der Altstadt ordneten sie 885 Wohneinheiten in die Kategorie "schwere Schäden" ein, 43 seinen "unbrauchbar".

Die Planer legten fünf Abrissgebiete fest (siehe Infokasten). Vor allem an Großer und Kleiner St.-Ilsen-Straße, Wollweberstraße und Alter Jeetze war ein fast kompletter Abriss vorgesehen. Um die Marienkirche sollte größtenteils Denkmalschutz herrschen, erklärte Matzat.

Der Friedensring entstand in dieser Zeit als Ersatzneubau. Dort sollten die Menschen einziehen, während Bagger und Abrissbirne ihr Quartier bearbeiteten. Wer sich geweigert hätte, hatte schlechte Karten. "Dazu gab es das Aufbaugesetz", sagt Matzat. Privateigentümer wären enteignet worden oder, um es in der Sprache des damaligen Regimes zu sagen: Ihr Eigentum wäre in Volkseigentum überführt worden. Der Salzwedeler schätzt, dass der gesamte Umbau in zweieinhalb Jahren hätte geschafft werden können. Der Sozialismus selber und die Wende 1989/90 verhinderten aber, dass Salzwedel ein komplett neues Stadtbild erhielt. Denn dem Arbeiter- und Bauernstaat fehlten Handwerker und Baumaterial, erklärte Matzat seinen Zuhörern.

Bei seinem Vortrag zeigte sich der Architekt erleichtert, dass die Pläne der SED niemals verwirklicht worden sind. Er sprach von Wollweber und St.-Ilsen-Straße als Kleinod von Salzwedel. "Gott sei Dank" sei dies erhalten geblieben.

Vergleichbare Pläne habe es für alle Kreisstädte im Bezirk Magdeburg gegeben. Wolfgang Winkelmann arbeitete damals in Gardelegen für einen Energieversorger. Er war zuständig für sogenannte Schachtscheine. "Jeder, der mehr als 30 Zentimeter in die Erde buddeln wollte, brauchte so einen Schein", erklärte er.

Eines Tages lagen die Umbaupläne für die Stadt auf seinem Tisch. "In Gardelegen wäre nur das Rathaus stehengeblieben", sagte er. Winkelmann erzählte, dass er sich damals geweigert hätte, die Pläne zu unterschreiben. Er sei nach Magdeburg gefahren und habe seinen Unmut kundgetan.

"Wahnsinn" - das Wort fiel am Dienstagabend mehr als einmal. Rund 50 Gäste waren der Einladung des Lions-Clubs Salzwedel und der Urania als Veranstalter gefolgt. Der Plan ist ein Stück Stadtgeschichte. Und darum werde er Pläne und Modelle dem Stadtarchiv überlassen, so Matzat. Doch eines sagte er auch: "Wäre die Wende nicht gekommen, hätte die Stadt so ausgesehen, dass wir uns heute ärgern würden." Der Umbau wäre gekommen, wenn auch in abgeschwächter Form. Die Pläne waren zu teuer. So erarbeitete der Hauptauftraggeber Komplexer Wohnungsbau kurz vor der Wende eine Alternativvariante.