Abenteuer Der Lauf seines Lebens

Der gebürtige Salzwedeler Guido Lange joggt entlang der Ostsee von Stralsund bis nach Helsinki.

Von Antonius Wollmann 08.06.2017, 01:01

Salzwedel l Weiter, immer weiter. Jeden Tag 20 Kilometer, manchmal auch 30 oder 40. Trotz der fiesen Erkältung, die sich Guido Lange am Anfang seiner Reise eingefangen hatte. Trotz der schmerzenden Füße, die auf den Schnupfen folgten. Immerhin hat er sich mittlerweile an den unbarmherzigen Wind an der polnischen Ostseeküste gewöhnt. Anfangs hatte er noch das Gefühl, als würde er an einer unsichtbaren Wand abprallen, sagt der gebürtige Salzwedeler, der mittlerweile in der Nähe von Koblenz wohnt. Jeder Schritt ein Kampf, jeder Meter ein kleiner Sieg. „Jetzt spüre ich den Zug fast gar nicht mehr“, fügt der 52-Jährige hinzu.

Seit dem 1. Mai ist Guido Lange unterwegs. Los ging es in Stralsund. Auf seiner außergewöhnlichen Reise wird er Polen, die russische Exklave Oblast Kaliningrad, Litauen, Lettland und Estland durchqueren, die Ostsee dabei immer im Blick. Das Ziel: Die finnische Hauptstadt Helsinki, um dort am 12. August den Helsinki-Marathon zu laufen. Überquert er die Ziellinie, dann ist die magische Marke von mehr als 2000 gelaufenen Kilometern geknackt.

Vier Monate hat sich Guido Lange von seiner Arbeit als Verlagskaufmann freistellen lassen. Dieses „Sabbatical“, also die Freistellung von seinem Job, möchte er möglichst aktiv nutzen, statt ein knappes halbes Jahr vor sich hin zu gammeln. Vor zwei Jahren hat er mit den Planungen begonnen. Von seinem ursprünglichen Ziel, ans Nordkap zu wandern, hatte er schnell Abstand genommen, dafür die Route an der Ostsee ins Auge gefasst. Nach vielen Gesprächen mit Ultraläufern, Etappenwanderern und Outdoor-Experten fühlte er sich gerüstet.

Sechs Wochen nach seinem Start ist Guido Lange guter Dinge. In Polen ging es bestens voran. Über Pommern ging es bis ins ehemalige Ostpreußen. Ende Mai überquerte er die russische Grenze.

Der Grund für seinen Optimismus: Mittlerweile habe sich sein Körper daran gewöhnt, fast täglich um die 2100 Kilokalorien zu verbrauchen und wieder aufzunehmen. Bis es so weit war, musste er der Belastung ihren Tribut zollen. „Ich fror nach den Läufen und hatte noch kein Zimmer, keine Dusche und nichts zu essen. Dazu die kalten Temperaturen“, beschreibt Guido Lange die schwierigen Anfangstage.

Anders als geplant, legte er Ruhetage ein, um seine Erkältung auszukurieren. Dazu stellte sich ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Der Dauerläufer fühlt sich zäher und belastbarer. „Mir ist nicht mehr kalt, wenn ich mein Ziel erreicht habe. Das heißt, dass ich noch Reserven habe“, sagt Guido Lange.

Der Extremsportler profitierte davon, dass die polnische Ostseeküste touristisch fast komplett erschlossen ist. Wenn nötig, konnte er in Hotels übernachten. Für den Fall der Fälle ist er trotzdem gerüstet. Währen des ganzen Tripps zieht er einen Wagen hinter sich her, in dem alle wichtigen Utensilien verstaut sind. 4000 Euro hat die Spezialanfertigung gekostet. 30 Kilogramm wiegt der Wagen voll beladen. Drin verstaut sind Zelt, Schlafsack und Verpflegung, Campinggeschirr und Klamotten. Für die gut 2000 Kilometer plant Guido Lange mit drei Paar Laufschuhen. „Die trage ich im ständigen Wechsel. Gekauft habe ich sie erst kurz vor dem Beginn der Reise, weil ich mir erst richtig sicher sein wollte, um auch die richtigen zu nehmen“, erklärt er. Denn jeder Läufer weiß: Ist das Schuhwerk nicht optimal, rächt sich das umso mehr.

Das richtige Abenteuer, das wusste Guido Lange schon vor Antritt der Reise, beginnt erst, wenn er die russische Grenze übertritt. Am 28. Mai war es soweit. Um Punkt Null Uhr betrat er das Territorium der russischen Föderation. Sein Plan mutete dabei in der Tat abenteuerlich an: So weit wie möglich wollte er ins russische Gebiet vordringen, um dann an einer Bushaltestelle zu campieren.

Im Anschluss ging es dann nach Kaliningrad (ehemaliges Königsberg). Dort hatte er sich ins Ibis-Hotel eingemietet. Was übrigens eine Bedingung war, um einreisen zu dürfen. „Fürs Visum muss man angeben, wo man während der Zeit absteigt“, erklärt Guido Lange. Dass er eigentlich nur eine Nacht in seiner Unterkunft verbringt, hat er vornehm verschwiegen. Angesichts seines Vorhabens blieb ihm keine andere Möglichkeit.

Fünf Tage galt sein Visum. Pünktlich musste er die Enklave am 1. Juni wieder verlassen. Hätte er den Zeitpunkt verpasst, hätten empfindliche Konsequenzen gedroht. „Die Russen sind in diesem Punkt sehr streng. Allein das Visum zu erhalten, war schon extrem aufwendig.“

Die gute Nachricht: Es ist alles gut gegangen. Am 1. Juni betrat er lettischen Boden. Sein Fazit über die Tage in Russland fällt positiv aus. „Mir ist es im Oblast Kaliningrad sehr gut ergangen, ich hatte sogar Gelegenheit, Sowjetsk (Tilsit), den Geburtsort meiner Mutter, mit dem Bus zu besuchen. Sehr interessant und auch anrührend“, berichtet er aus der Ferne.

Nun hat er das Baltikum vor Augen. Zuerst die Kurische Nährung mit ihrer Wüstenlandschaft. Thomas Mann, er besaß dort ein Ferienhaus, bezeichnete sie einst als „Sahara des Nordens“. Es folgen Litauen und zum Schluss Estland mit seiner unübersichtlichen Sumpflandschaft. Direkt an der Küste wird Guido Lange dann nicht mehr laufen können. Vom Weg abkommen wird er nach aller Wahrscheinlichkeit trotzdem nicht. Die Himmelsrichtung ist ja klar. Richtung Norden muss er. Richtung Helsinki. Weiter, immer weiter.

Während seiner Reise bloggt Gudio Lange regelmäßig über sein Erlebnisse. Sein Internettagebuch können Sie hier nachlesen.