Hausarztpraxis Ein Sekt zum Schluss
Hausärztin Karin Willert praktiziert am 31. März 2020 zum letzten Mal in Salzwedel. Sie hat eine Nachfolgerin gefunden.
Salzwedel l Konzentriert sitzt Karin Willert in ihrem schwarzen Bürolederstuhl und blickt über ihre Brille hinweg auf den Computer. Noch einmal die Daten von der Behandlung eintragen, noch einmal Rezepte unterschreiben und noch einmal die Stammkarten der Patienten aktualisieren. Dann hängt die langjährige Hausärztin ihr Stethoskop und ihren schneeweißen Kittel an den Haken. Anlegen wird sie ihre treuen Begleiter nicht mehr. Denn am 31. März 2020 wird sie ihre Hausarztpraxis im Altmark-Center zum letzten Mal verschließen. Ein schwerer wie erleichternder Schritt für die 65-Jährige. Denn Zeit ihres Berufslebens tat sie nichts anderes, als kranken Altmärkern zu helfen.
Die medizinische Laufbahn der Medizinerin begann zu DDR-Zeiten. „Von 1973 bis 1978 habe ich in Leipzig studiert“, beginnt sie ihren berufliche Werdegang zu reflektieren. Nach dem Studium folgte ihre Facharztausbildung im Salzwedeler Krankenhaus, eher sie in der Poliklinik wirkte. 1987 praktizierte sie in einer Wohnung im Wohngebiet Arendseer Straße, der Außenstelle der Poliklinik. Aus der Außenstelle wurde dann ihre erste Hausarztpraxis. „Der zunehmende Bedarf machte das erforderlich“, erinnert sie sich. Mit dem Bau der Altmarkpassage zog sie schließlich mit ihrer Praxis um, wo sie bis zur Rente praktiziert.
Sie werde mit einem weinenden und einem lachenden Auge in den Ruhestand gehen, sagt sie. Lachend, weil sie endlich zur Ruhe kommt. „Ich habe im Quartal etwa 2000 Patienten behandelt“, rechnet sie vor. Daher waren 50 bis 60 Wochenarbeitsstunden für sie keine Seltenheit. Mit den Jahren und der Erfahrung habe sie die Arbeitsstunden aber auf 40 drosseln können.
Mit einem weinenden Auge, weil sie schon an ihrem letzten Arbeitstag ihr Team schmerzlich vermisst. Kein Wunder, die drei Schwestern ihrer Hausarztpraxis, Rita Korneck, Elke Schachel und Rita Volkmann, wird sie vermissen. „Alle drei sind schon seit der Praxis in der Lindenallee dabei.“ Aus Kolleginnen wurden Freundinnen. „Wir sind wie eine Familie“, so Willert. Ob Familienfeiern oder Ausflüge: Das Wir zählte.
Auch viele ihrer Patienten seien ihr ans Herz gewachsen. „Über die Jahre verbindet einen das.“ Denn einige ihrer Patienten, die sie seit dem Krippen-Alter betreut, kommen mit ihren Kindern zu Willert. Man schätzt und vertraut sich.
Trotzdem: „Es war natürlich nicht immer alles schön“. Neben den kräftezehrenden Wochen mit den vielen Arbeitsstunden waren es die Bereitschaftsdienste, die Kraft von der Ärztin forderten. „Ich habe mehr als 20 Jahre den Bereitschaftsdienst koordiniert.“ Sowohl in Salzwedel als auch um Diesdorf. Nicht jeder Mediziner mache das gerne. Daher sei es häufig zum Balanceakt geworden, den Wünschen der anderen Ärzte gerecht zu werden. „Wer will schon in den Bereitschaftsdienst?“ Daher sei sie heilfroh gewesen, dass die Aufgabe der Koordination der Dienste nach der Gebietsreform von der Kassenärztlichen Vereinigung übernommen wurde.
Doch nun sind das alles Sorgen von gestern. Karin Willert blickt lieber nach vorne als in die Vergangenheit. Daher freut sie sich auf ihren Ruhestand. „Dann habe ich endlich Zeit für Privates.“ Reisen will die Medizinerin, wie sie verrät. Das tat sie schon immer gern mit der Familie. „Außerdem habe ich dann mehr Zeit für Sport und natürlich für meinen Garten.“
Doch heute ist heute, daher gehört ihre volle Aufmerksamkeit noch immer der Praxis, wenn auch das letzte Mal. Und irgendwie sei dann doch alles ziemlich schnell gegangen, meint sie. Sie ist nur froh, dass sie rechtzeitig eine Nachfolgerin gefunden hat. Denn seit einigen Monaten praktiziert Karin Willert mit der gebürtigen Litauerin Edita Pociute-Kurlaviciene gemeinsam in der Hausarztpraxis. So hatten die Patienten genug Zeit, sich an das neue Gesicht und den etwas sperrigen Namen zu gewöhnen. Auch die junge Medizinerin konnte sich so ein Bild von den Gepflogenheiten machen.
Die gedrückte Stimmung ist mittlerweile allgegenwärtig. Einigen Schwestern der Praxis ist der schwere Abschied ins Gesicht geschrieben. Vereinzelt kullern Tränen, als Karin Willert eine Flasche Sekt zum Abschied aufkorkt. „Die eigentliche Abschiedsfeier haben wir wegen Corona verschoben“, sagt sie. Dafür wird es im Sommer eine Poolparty mit allen Angestellten bei ihr zu Hause geben, versichert sie. Apropos Corona: Mit der Covid-Station in Gardelegen und dem Fieberzentrum in Salzwedel sieht die erfahrene Ärztin den Landkreis in der Pandemie gut aufgestellt. „Ich hoffe nur, dass es sich nicht verschlimmert, das kann man heute noch nicht sagen.“ Was sie aber sagen kann, ist, dass die Bemühungen, den Ärztemangel zu stoppen, nicht enden dürfen.
Dann hängt Karin Willert den Kittel an den Haken. „Bleiben Sie gesund“, sagt sie zum Abschied und geht in ihren wohlverdienten Ruhestand.