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Freizeit Sommerzeit lockt Leckermäuler

In Salzwedel hat die Eiszeit begonnen. Die kühler Leckerei hat in Salzwedel eine lange Geschichte.

Von Cornelius Bischoff 13.05.2020, 13:00

Salzwedel l In Salzwedel hat die Eiszeit hat begonnen: Auf den Straßen der Hansestadt tummeln sich zunehmend glückliche Leckermäuler, die, bewaffnet mit Eiswaffel oder -becher, die kühle Köstlichkeit genüsslich lecken und löffeln.Den wenigsten Salzwedelern dürfte bewusst sein, dass sie sich mit ihrer Freude über gefrorene Leckereien in der Gesellschaft antiker Dichter und chinesischer Kaiser aus grauer Vorzeit befinden. Ganz so weit reicht die Geschichte des Verkaufs von Speiseeis in Salzwedel aber nicht zurück, berichtet der Hüter des Archivs der Hansestadt, Steffen Langusch.

Die älteste bekannte Nachricht datiert auf den 3. Juni 1883. Es war ein Sonntag, als Theophron Dietrichs den staunenden Bürgern in einer Anzeige den Genuss von „Vanille- und Frucht-Eis sowie Stachelbeer-Törtchen“ aus der Produktion seiner „Conditorei, Confituren- und Bonbons-Fabrik“ empfiehlt. Knapp 30 Jahre zuvor hatte Dietrichs die Bäckerei seines Vaters übernommen und das Geschäft in der Holzmarktstraße 18 erweitert. Die Balkeninschrift weist noch immer auf diesen ältesten bekannten Eisproduzenten in Salzwedel hin.

In den folgenden Jahren leckten und schleckten sich die Salzwedeler wohl vor allem während der Sommermonate durch das Eis-Angebot vereinzelter, ungenannter Konditoren. Eine Ausnahmeerscheinung seiner Zeit war der Konditor William Stappenbeck: Letzterer hatte es als Hersteller von Eisbomben zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Diese besonderen Köstlichkeiten galten als Höhepunkte bei Familienfeiern und Festen in der Region, waren also nicht zum Verzehr im Alltag bestimmt. Das „Bombenlabor“ von William Stappenbeck vermutet Steffen Langusch im Stappenbeckschen Haus am Mönchskirchplatz, an der Stelle, die heute das Restaurant „Der Grieche“ beherbergt.

Das Eis-Monopol des Teophron Dietrichs und seiner Kollegen sollte rund 18 Jahre bestehen, bis, am 8. Juni 1901, das „Salzwedeler Wochenblatt“ verkündete: „Der Italiener Anacleto Dall’asta wird morgen in unserer Stadt ein Special-Geschäft eröffnen, das bisher hier noch nicht vertreten war, nämlich den Verkauf verschiedener Sorten Fruchteis mittelst Eiswagen in den Straßen der Stadt.“ Es steht zu vermuten, dass die Salzwedeler das italienische Eis mit Begeisterung aufgenommen haben: Am 24. September 1901 bedankte sich Anacleto Dall’asta in einer weiteren Anzeige bei seinen Kunden und kündigte an, dass der mobile Eisstand im Folgejahr wieder durch die Straße der Stadt rollen würde.

Der Erfolg des Italieners schien sich in dessen Heimat herumgesprochen zu haben, denn in der Folge kamen italienische Eiswagen in Mode: Im Archiv der Stadt Salzwedel finden sich Hinweise auf weitere italienische Familiennamen und auch Anacleto Dall’asta scheint überregional tätig gewesen zu sein: Um 1900 war der findige Italiener mit seinem Eiswagen in Uelzen unterwegs und nach dem Eintrag in einem Rostocker Adressbuch von 1910 führte er auch dort eine Handlung für Fruchteis.

Eines Tages scheint Anacleto das Heimweh gepackt zu haben. Steffen Langusch vermutet, dass der italienische Eis-Pionier seinen Lebensabend unter heimischer Sonne verbracht hatte, aber der Verkauf von Speiseeis war in den Straßen der Hansestadt in Mode gekommen.

Um Gesundheit und Sittentreue der Einwohner besorgt, griff der damalige Bürgermeister Dr. Gustav Kersten zu drastischen Maßnahmen. Am 27. Juni 1913 erließ der Magistrat von Salzwedel eine Polizeiverordnung gegen die Abgabe von Speiseeis an Kinder. Eine Begründung des Vorstoßes findet sich in einem Begleitschreiben an das Regierungspräsidium in Magdeburg:

„Die Abgabe von Speiseeis an Kinder, namentlich auf Straßen und Plätzen, hat hier einen erheblichen Umfang angenommen; die Abnehmer sind häufig Kinder unbemittelter oder minderbemittelter Eltern, die selten genug ihnen das Geld dazu geben können. Die Gefahr der Verleitung zu Näschereien und Unredlichkeiten ist daher unter ihnen besonders groß. Dazu kommen die mit Recht zu befürchtenden gesundheitlichen Schädigungen.“ Der Regierungspräsident genehmigte den Entwurf ohne Änderungen.

Die Zeit war reif, für ein „richtiges“ Eis-Café . Letzteres vermutet Steffen Langusch in dem „Café zur Sonne“, das Hermann Schulz in der Gertraudenstraße eröffnet hatte. Das Branchen-Verzeichnis aus einem Adressbuch des Jahres 1925 verzeichnet sein Lokal als einzige „Eishandlung für Speiseeis“ in der Stadt.

Der Archivar vermutet, dass Gäste in dem Haus, in der heutigen Neuperverstraße 27, auch Kaffee und Kuchen bestellen konnten. Ebenso wahrscheinlich sei es, dass in den neun anderen Cafés der Stadt auch Eisbecher auf der Speisekarte standen. Amtlich ist aber nur das „Café zur Sonne“ vermerkt und gilt somit als erste Eisdiele der Stadt. In der Folge war dem sündhaften Schlecken eine Heimstatt gegeben – aber noch immer drückte die Obrigkeit jener Zeit, die Sorge um Volksgesundheit und Wettbewerb.

Vorreiter in diesem Zusammenhang wurde der Stendaler Obermeister der „Zwangsinnung des Conditorei-Handwerkes in der Altmark und Stadt Jerichow“, Carl Güssow. Dieser schrieb am 25. Juli 1929 einen Brandbrief an die Polizeiverwaltung in Salzwedel: „Hierdurch bitten wir ergebenst, (…) eine Polizeiverordnung über den Verkehr mit Speiseeis zu erlassen (…). Zur Begründung weisen wir darauf hin, dass die Gefahren, die der Volksgesundheit, (…) drohen, überaus ernst sind. Es ist eine große Anzahl von Fällen bekannt geworden, in denen schwere Erkrankungen einzelner, ja Massenerkrankungen von Schulkindern durch den Genuss derartigen Eises von Straßenwagen verursacht worden sind.“ Was folgte, war eine Lawine: Die Polizeiverwaltung Salzwedel wandte sich ratsuchend an Dienststellen in Stendal, Gardelegen, Wittenberge, Rathenow, Goslar und Halberstadt. Auch dieses Schreiben ist überliefert: „Es ist beabsichtigt, (…) eine Polizeiverordnung (...) zu erlassen. Es wird um Mitteilung gebeten, ob (…) Erfahrungen gesammelt worden sind (…) Gleichzeitig wolle noch mitgeteilt werden, ob (…) sich ein vermehrter Verkauf von Speiseeis im Straßenhandel breitgemacht hat.“

Natürlich hatte die „Zwangsinnung des Conditorei-Handwerkes“ ihr Schreiben auch an die umliegenden Bezirke gerichtet. Interessant ist, dass man die Anfrage in Stendal so aufgefasst hatte, als gelte es, eine „Polizeiverordnung über die Beschaffenheit und Bezeichnung des Speiseeises“ zu erlassen. Diese Frage wurde dem Kreisarzt zur weiteren Begutachtung vorgelegt.

Nun also war der Amtsschimmel geweckt. Für reichliches Futter sorgte in Salzwedel eine Pauline Vahldieck. Letztere bot ihr Speiseeis als mobile Händlerin in den Straßen der Hansestadt feil. In den Straßen, wohlgemerkt und nicht auf dem Wochenmarkt.

Das nämlich hatte ihr die örtliche Polizei untersagt und so machte Pauline ihrem Ärger beim Regierungspräsidenten in Magdeburg Luft. Zahlreiche Briefe wurden gewechselt und am Ende war klar: Speiseeis gehörte nicht zu den Gegenständen, welche auf einem ordentlichen Wochenmarkt gehandelt werden! Es folgte eine schriftliche Verfügung, dass der Eiswagen von Pauline Vahldieck den Wochenmarkt zu meiden habe. Aber Pauline hatte schon eine neue Idee und bekam die Erlaubnis, während des Tags der Deutschen Jugend, am Sonntag, 23. Juni 1935 auf dem Sportplatz am Böddenstedter Weg ihren Verkaufsstand zu öffnen. Das war eine Sensation, denn eigentlich war der Handel am Sonntag verboten. Nicht mit Pauline!

Überliefert ist ihr Antrag vom 16. Mai 1938, in dem sie bittet, ihre Genehmigung für den Speiseeisverkauf generell auf Sonntage auszudehnen. Nach langer Diskussion von Für und Wider wurde die Erlaubnis zunächst verweigert und schließlich, im Sommer 1944 doch erteilt. Offenbar hatte auch der Zweite Weltkrieg dem Amtsschimmel in der Hansestadt nichts anhaben können: Für die Sommerzeit wurde Pauline Vahldieck der mobile Handel mit Speiseeis genehmigt.

Zu den schillernden Persönlichkeiten der Salzwedeler Eis-Geschichte gehörte scheinbar auch Willi Knuth. Dieser hatte im Laufe des Jahres 1937 ein Café im Haus des Fotografen Otto Ludewigs – heute Breite Straße 51 – eröffnet. Das genaue Datum ist nicht bekannt, sicher aber scheint, dass Knuth in seinem ersten Geschäftsjahr in Streit mit der Konkurrenz gekommen war. Einen Hinweis darauf liefert seine Anzeige in der „Neuen Salzwedeler Zeitung“, vom Donnerstag, 26. Mai 1938.

Sie beginnt mit den Worten: „Zur Aufklärung: Das Gute setzt sich durch.“ Das aber wohl an anderem Ort, denn offenbar war Willi Knuth recht schnell in neue Räume gezogen: Das Adressbuch von 1939/40 vermerkt seine „Speiseeishandlung“ unter der Adresse „Vor dem Lüchower Tor 21“, etwa dort, wo sich heute der Parkplatz vom Dänischen Bettenlager findet. Etwa um diese Zeit, mit Ende des Zweiten Weltkriegs, versiegen schließlich die Quellen des Stadtarchivs über den Eisverkauf in Salzwedel.

Vielleicht aber möchten Sie, liebe Leser, die Erinnerungen an Ihre persönliche Eiszeit aus den folgenden Jahren mit der Redaktion teilen? Schreiben Sie uns Ihre Anekdoten, schicken Sie uns Ihre Fotos und wir geben den vergangenen 75 Jahren Eis-Geschichte in Salzwedel Ihr persönliches Gesicht.