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Geschichte Vergodendeel: Auf Zeitreise in Omas Kindheit

Für die Jüngeren ist es Geschichtsunterricht, für die Ältesten sind es lebhafte Erinnerungen: Das Schaumähen im Freilichtmuseum Diesdorf.

22.07.2019, 10:00

Diesdorf l Himmlische Ruhe im Freilichtmuseum Diesdorf. Das Blattwerk der Bäume raschelt leise zum Takt des Windes. Vögel zwitschern. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Denn in einer Stunde wird sich das Gelände des Freilichtmuseums Diesdorf zum Hotspot der altmärkischen Traditionsfans entwickeln.

Mittlerweile treffen die Heimatinteressierten Männer, Frauen und Kinder aus dem benachbarten Dähre ein. In traditioneller Kleidung aus der Zeit um 1900 kommen sie auf das Areal. Sie werden heute den Roggen vom Feld holen. Unter anderem in schweißtreibender Handarbeit. Einer der Höhepunkte an diesem Tag.

Alfred Henke genießt ebenfalls noch die Ruhe. Er steht auf dem Podest der alten Bockwindwühle von 1811. In etwa einhundert Metern Entfernung nähern sich bereits die ersten Besucher und zeigen in seine Richtung. Ein Blick auf die Uhr: „Jetzt geht es los.“ Auch für Alfred Henke. Heute ist er gewissermaßen der Müller der Mühle. „Ich werde den Besuchern die Geschichte der Bockwindmühle näherbringen“, sagt er: „Natürlich auch die Funktionsweise.“ Das sei schon etwas Besonderes und nicht mehr überall zu sehen. Imposant, dass Mühlen wie diese von nur einem Mann betrieben wurden. Manchmal half auch der Bauer, meint der 70-Jährige. Aber „die moderne Technik hat die Mühlen überflüssig gemacht“, erklärt er. Nicht heute. Hunderte Menschen nutzen an diesem Tag die alten Holzstufen empor zur Bockwindmühle.

„Eins, zwei – eins, zwei.“ Klaus Merda spricht ins Mikrophon. Alles funktioniert, die Technik steht. Aber auch noch der Roggen. Doch diesem geht es nun an die Ähre. Die Heimatinteressierten aus Dähre nähern sich dem Feld, welches von unzähligen Besuchern umringt wird. Harken und Sensen geschultert, Hüte und Kappen gegen die Sonne. Wüsste man es nicht, könnte man sich in eine längst vergessene Zeit versetzt fühlen. Vom Greis bis zum Kleinkind sind alle in traditioneller Kleidung. Im Hintergrund spielt alte Heimatmusik. Ein beeindruckendes Bild. Doch viel Zeit zum Staunen bleibt nicht, die Arbeit wartet auf die Frauen und Männer, während die Kinder das Ziegen-Gespann betreuen.

Die Männer stehen bereits mit den Sensen im Feld. Gekonnt mähen sie Bahn um Bahn. Doch einfach ist es nicht. Nicht nur, dass die Arbeit ohnehin schon körperlich fordernd ist, der Regen hat sein Übriges getan. Die Sonne von oben treibt die Schweißtropfen in die Gesichter. Während die Männer mähen, binden die Frauen den Roggen mit gekonnten Handgriffen und stellen diesen in Stiegen ab. Der Schmied dengelt unterdessen die Sensen für den nächsten Einsatz.

Im Hintergrund nähert sich die fahrbare Arbeitserleichterung in Form eines Handablegers. Spätestens in diesem Moment wird deutlich, wie sehr der Einsatz von Technik den Landarbeitern das Leben erleichterte. Nochmals einfacher wurde es mit Flügelableger und Mähbinder. Doch auch die Technik kommt nicht problemlos durch die Ernte. „Nach diesem Regen gestern und mit der Feuchtigkeit hätten die Menschen die Ernte damals verschoben“, erklärt Klaus Merda durch die Lautsprecher. „Aber für Sie bekommen wir das hin.“ Haben sie auch. Der Schnitt wurde höher angesetzt, schon hatte die historische Technik weniger Probleme. Dem Roggenbrot steht somit nichts mehr im Wege.

„Die Bauern warteten damals sehnsüchtig auf die Ernte und damit auf das frische Brot“, weiß Klaus Merda. Und jeder Gast, dem es ähnlich geht, kann das auch in die Tat umsetzen. „Vom Korn zum Brot“, sagt Merda. Denn wenige Meter weiter ist genau das das Motto. Kinderhände kneten mit Eltern unter Anleitung Teig, dahinter stehen die Getreidesorten zur Veranschaulichung bereit. In Zeiten, in denen ein Brot für kleines Geld in Discountern aus Industriefertigung hundertfach wartet, etwas sehr Besonders, befinden einige Besucher.

Doch so manches aus der Neuzeit möchte man vielleicht doch nicht missen, muss Emil Schulz (4) aus Braunschweig feststellen. Er versucht sich im Waschen von Wäsche – per Hand. Doch am Waschbrett mit Kernseife muss Mutti zur Hand gehen. Mangeln hingegen ist dann wieder etwas für Emil. Die Gäste drum herum tauschen sich aus: „Das hat meine Uroma auch so gemacht.“ „Meine Oma hatte keine Waschküche und hockte am Fluss.“

„Guten Tag, Herr Lehrer“, tönt es indes in der alten Dorfschule. Jung und Alt nehmen vor Lehrer Klaas auf alten Schulbänken Platz, die ihren Namen noch verdienen. Die Frauen und Mädchen bekommem zum Teil Haarschleifen. „Daran konnte man damals erkennen, aus welchem Haus sie kommen“, sagt Lehrer Klaas. Gleiches galt für die kleinen Tafeln zum Schreiben. Eine Schieferplatte für die einfache Bevölkerung, eine gebundene für die wohlhabende. „Ich werde jeden hier duzen“, sagt Klaas: „Ich kann Sie nicht schlagen, wenn ich Sie sage.“ Denn körperliche Züchtigung war damals noch die Aufgabe des Lehrers, so Klaas. Egal, ob der Lausbub nun auf dem Dorfplatz oder in der Schule etwas verbockte.

Wenig später bekommt auch einer seiner „Schüler“ die Züchtigung zu spüren. Lehrer Klaas biegt einen Rohrstock vor der illusteren Klasse. „Der Lehrer in Diesdorf hatte damals mehrere in einem Behälter mit Wasser“, erklärt er, dass würde sie elastisch halten. Und während die Buben mit dem Stock auf den Allerwertesten bekamen, mussten die Mädchen seinerzeit die Hände dafür ausstrecken. „Schule war damals noch streng militärisch“, sagt er.

„Hat das Oma auch gemacht?“, fragt ein Mädchen ihre Mutter beim Verlassen des Museums. „Weiß ich nicht genau. Aber die Uroma bestimmt“, antwortet sie. Antworten hat es an diesem Tag auf viele Fragen gegeben.