1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Entertainer Gregor Gysi

Lesung Entertainer Gregor Gysi

Mit den Qualitäten eines echten Entertainers gestaltete Gregor Gysi seine Lesung im ausverkauften Salzwedeler Kulturhaus.

Von Arno Zähringer 20.02.2020, 01:00

Salzwedel l Norbert Blüm, ehemaliger Bundesminister für Arbeit und Soziales der CDU, und Gregor Gysi gehen in eine Kneipe. Dem Wirt rufen sie zu: „Zwei Kurze.“ Der antwortet: „Das sehe ich, aber was wollt Ihr trinken?“ Der Witz, den Gregor Gysi im Salzwedeler Kulturhaus erzählte, charakterisierte einen Abend, der unterhaltsam, kurzweilig, amüsant, aber doch auch informativ war.

Das Einzige, das nicht in das ausverkaufte Kulturhaus passt, ist das Bühnenbild: Ein Tisch mit weißer Decke, Gläsern sowie jeweils zwei Flaschen Mineralwasser und Multivitaminsaft. Eine gemütliche Atmosphäre sieht anders aus – beispielsweise mit zwei Sesseln oder einem Sofa, einer Stehlampe und einem kleinem Tisch.

Aber dem Hauptdarsteller des Abends, Gregor Gysi, scheint das alles nichts auszumachen. Er braucht keine Aufwärmphase, sondern kommt in Sachen Thüringen gleich zum Punkt. „Natürlich war ich zuerst entsetzt“, sagt Gysi. Für ihn ist klar, Thüringen braucht Neuwahlen – aber mit einer Regierung. Denn Neuwahlen ohne Regierung bedeuten Schaden für Thüringen, ist der Politiker der Linken sicher. Und auch darin, dass Thüringen Bodo Ramelow möchte.

Die CDU befinde sich in einer „wirren Situation“. Aber auch an der SPD lässt er kaum ein gutes Haar. Deshalb bilanziert er: „Die Zeit der großen Volksparteien ist vorbei, sie haben ausgedient.“ Just in dem Moment, in dem er diese Aussage macht, klingelt sein Mobiltelefon. „Das wollte ich eigentlich verhindern.“ Doch es ist die einzige Situation, die ihn an dem Abend für Sekunden aus dem Takt kommen lässt. Denn der 72-Jährige, der wie kaum ein anderer deutscher Politiker von seinen politischen Widersachern geschmäht, beschimpft wurde und Anfeindungen ertragen musste, hat in Salzwedel ein Heimspiel. Die Veranstaltung mit knapp 500 Besuchern war sehr schnell ausverkauft.

Befürchtungen, Gysi nutze die Veranstaltung, die offiziell als Lesung deklariert worden war, für Parteipropaganda, zerstreuen sich schnell. Sicher: Gysi hat linkes Denken geprägt, ist zu einem seiner wichtigsten Protagonisten geworden. Doch er ist nicht nur Politiker, sondern auch Anwalt, Autor, Moderator mit den Qualitäten eines Entertainers und Familienvater.

Er, der von Ende 1989 bis 1993 letzter Vorsitzender der SED und ihrer Nachfolgepartei PDS war, plaudert aus seinem Leben. Berichtet, „mehr als 1000 Scheidungen gemacht zu haben“ und dass er dabei aufpassen musste, „nicht depressiv zu werden“. Nein, er sei nicht plötzlich Buddhist geworden, wie der Titel seiner Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“ vielleicht vermuten lasse. Aber er habe rückblickend festgestellt, dass er mehrere Leben gelebt habe: 1. Kindheit und Jugend in der DDR, 2. Studium, 3. Rechtsanwalt in der DDR, 4. Bürger der BRD, 5. von der Mehrheit abgelehnt zu werden, und 6. das Leben, ,,das ich jetzt führe“. Vor allem das fünfte Leben, in dem Gysi um Anerkennung und Akzeptanz kämpfte, sei harte Arbeit gewesen. „Das siebte Leben ist das Alter. Wenn ich soweit bin, dann rufe ich Sie an“, ruft Gysi Moderator Thomas Kney zu, der angesichts der Gysischen Präsenz mehr oder weniger lediglich als Stichwortgeber fungieren kann.

Doch das verwundert nicht, denn Gysi bestreitet den Abend auf herzerfrischende Art, haut eine Anekdote nach der anderen raus. Und er beweist, dass es durchaus einen Grund hat, dass ihm der Ruf eines selbstironischen Menschen vorauseilt; er kann tatsächlich auch über sich selbst lachen. Sehr zur Freude der Besucher. Trotzdem: Das Schulwesen watscht er noch kurz und knapp ab: 16 Schulsysteme mögen zur Zeit der Postkutschen noch in Ordnung gewesen sein, allerdings nicht mehr im 21. Jahrhundert. Und mit Blick auf 30 Jahre Wiedervereinigung sagt er: „Es gab Dinge in der DDR, die hätte man für Gesamtdeutschland übernehmen können.“

Zum Ende der sehr unterhaltsamen Ein-Mann-Show gibt Gregor Gysi noch ein klares Bekenntnis ab. Er sei wild entschlossen, das Alter zu genießen. Auch weil es keine Pflicht sei, Erspartes zu vererben. Deshalb rät er den Besuchern im Kulturhaus: „Nehmen Sie die Privilegien des Alters an. Erfüllen Sie sich Ihre Wünsche.“ Auf Gysi bezogen kann man sich vorstellen, dass er mit Norbert Blüm in eine Kneipe geht und zum Wirt sagt „ ... “