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Sommerserie Müllauto erfüllt Kinderträume in Gardelegen

Für die Sommerserie „Wir machen euren Job“ ist Reporter Cornelius Bischoff mit einem Müllfahrzeug durch die Straßen von Gardelegen gefahren.

07.08.2020, 00:00

Gardelegen l Die Sonne im Gesicht, die Haare im Wind. Klingt toll? Ist fabelhaft! Vor allem, wenn man den Trick heraus hat, den Schwung aus der nächsten Kurve ganz locker mit der Hüfte abzufangen. Schon als kleiner Junge habe ich davon geträumt, unglaublich lässig auf dem Trittbrett eines Müllautos durch die Gegend zu kurven. Möglich gemacht hat mir den Kindheitstraum Ronny Nagel. Das ist der Disponent und Leiter des Fuhrparks der Deponie GmbH Altmarkkreis Salzwedel. Ronny Nagel war auch der Absender der Nachricht, die mich dazu eingeladen hat, einmal die Sammel-Tour von Thomas Krebs und Denny Schäfer durch Gardelegen zu begleiten. Und um es vorwegzunehmen: Es mag viele aussterbende Berufe geben – aber Müllmänner leben ewig. Warum das so ist? Bleiben Sie gespannt.

Mein Tag als Müllmann auf Zeit beginnt mit dem unwilligen Klingeln des Weckers im Mobiltelefon: „4:15 Uhr“, mault die verschlafene Stimme des Blechmännchens. „Weißt du eigentlich, was du da tust?“ Klar, weiß ich das: Meine Arbeitshosen, Handschuhe, die Sicherheitsschuhe der Klasse S3 und die Butterbrot-Dose hatte ich schon am Vorabend gerichtet. Rund 45 Minuten dauert die Fahrt von Salzwedel zur Deponie und dem zentralen Sitz der Entsorger an der Bismarker Straße 81 in Gardelegen. „Arbeitsbeginn ist um sechs in der Früh‘“, hatte Ronny Nagel geschrieben. Schlag dreiviertel sechs stehe ich auf dem Hof.

„Unsere Kollegen kommen aus dem ganzen Kreisgebiet“, sagt Nagel, der wenige Minuten später auftaucht. Um 4 Uhr aufzustehen, sei für Müllwerker normal. „Aha“, denke ich und male im Geist ein kleine Minus auf die Liste meiner möglichen Traumberufe. „Dafür aber haben wir einen pünktlichen Feierabend und es wird Tarif gezahlt.“ „Oh“, merke ich auf – und prompt verwandelt sich das rote Minus in einen leuchtend grünen Haken, denn ein pünktlicher Feierabend ist, was sich Journalisten zu Weihnachten wünschen. In Schaltjahren.

Dann kommen die Kollegen: Der drahtige ist Thomas Krebs. 53 Jahre alt. Gelernter Berufskraftfahrer. Ein Händedruck wie ein Müllmann. „Ich fand schon mit sechs Jahren große Autos ganz toll“, gibt Thomas zu Protokoll. „Mensch“, denke ich, eine verwandte Seele. Dann kommt Denny Schäfer. 43 Jahre alt. Gelernter Straßenbauer. Berufskraftfahrer, Müllmann aus Leidenschaft. Auch Denny ist auf Anhieb sympathisch: „Ich war total aufgeregt“, sagt er. Schließlich komme die Presse nicht jeden Tag zu Besuch. „Mach‘ dir nichts draus“, sage ich und verrate meinem neuen Kollegen, dass die Aufregung auf Gegenseitigkeit beruht. Schließlich hat man nicht alle Tage Gelegenheit, einen Kindheitstraum in Erfüllung gehen zu lassen.

In der Sicherheitsbelehrung lerne ich dann, dass unwillige Mülltonnen die Eigenart haben, unvermutet vom Ladehebel und dem Ladehelfer entgegenzuspringen. „Abstand“, sagt Thomas, „ist wichtig“. Umsicht ist auch geboten, wenn die Hydraulik den Kübel vom Boden hebt, um dessen Inhalt in den Schlund des Wagens zu schütten. In diesem Fall nämlich schlägt die Unterseite der Tonne einen Halbkreis und haut zu Boden, was immer sich in Reichweite befindet.

Beim Rückwärtsfahren schließlich seien wir, sagt Thomas, die verlängerten Augen der Fahrerkabine. Zwar verfügen moderne Müllautos über Kameras, Sensoren und alle denkbaren Möglichkeiten, die Sicherheit für Passanten, Kollegen und Mülltonnen zu garantieren. Das gewaltige Fahrzeug aber rückwärts in eine Gasse zu manövrieren, die links und rechts fünf Zentimeter Platz zu den Außenspiegeln lässt, ist ein Kunststück, das unbedingt und in jedem Fall eines Einweisers bedarf.

In diesem Zusammenhang: Der „natürliche Feind“ des Müllwagens seien gedankenlose Autofahrer, die ihr „heiliges Blech“ in zweiter Reihe oder schräg in die Parklücke stellen. „Wie sollen wir da vorbeikommen?“, fragt Denny. „Gar nicht!“, lautet die richtige Antwort. „Es gibt“, sagt Thomas, „Sachen, die einfach nicht gehen.“ Und dann bleibt der Müll eben stehen.

Zu den gefährlichen Dingen im Leben eines Müllmannes gehören auch tief hängende Äste. Die nämlich greifen gierig nach den Leitungen für die Hydraulik, die offen über dem Dach des Fahrzeugs verlaufen. „Wenn die abreißen, haben wir die Soße“, sagt Thomas. Im wahren Sinn des Wortes, ganz abgesehen davon, dass das teure Auto dann steht. Und wer sollte die Menschen dann von ihren Papierbergen befreien? In der Folge heißt es für mich, die Augen offen zu halten und in gegebenem Fall den Kopf einzuziehen; zurückschnellende Äste eignen sich hervorragend, um den Mann auf dem Trittbrett auf die Bretter zu schicken.

„Alles verstanden?“, fragt Thomas, ich nicke heftig mit dem Kopf und dann geht es los: Runter von der Deponie, rauf auf die Straße und ab in die Stadt. „Du bleibst am besten erst mal bei mir und schaust, wie der Denny das macht“, sagt Thomas. „Nix“, denke ich und krabble von meinem Mittelsitz in der Kabine dem Kollegen hinterher. Prompt kommt der erste Rüffel: „Man steigt rückwärts aus dem Lkw“, sagt Denny: „Wie auf einer Leiter.Wenn du das in der Prüfung vergisst, ist der Führerschein erstmal gelaufen.“ Der große Lkw-Führerschein sei, sagt er, eine Voraussetzung, um als Fahrer bei der Deponie GmbH arbeiten zu können.

„Wir legen Wert darauf, möglichst jedes Fahrzeug mit zwei Fahrern zu besetzen“, erklärt er. So sei man in Notfällen auf der sicheren Seite. „Mist“, denke ich im Blick auf den – zugegeben verwegenen – Gedanken, meinen Redakteurs-Sessel in Salzwedel mit dem echt coolen Trittbrett zu tauschen: Mein „Lappen“ stammt aus dem letzten Jahrtausend und erlaubt es mir, Brummis bis 7,5 Tonnen zu lenken. Bei 18-Tonnern bin ich aber definitiv raus.

Dass das auch gut so ist, lerne ich knapp zehn Minuten später. Um Haaresbreite dirigiert Thomas unseren Müllwagen rückwärts in eine winzige Gasse. Wäre ich nicht eines von zwei „Sicherheits-Augen“ der Fahrerkabine, hätte ich mir die meinen am liebsten zugehalten. „Wir sollten nur rund 100 Meter rückwärts fahren“, sagt Thomas. Aus Sicherheitsgründen. Schwierig ist das, wenn der begehrte Rohstoff am fernen Ende eines Durchlasses liegt, der gefühlt den Platz für einen Wartburg mit Breitreifen bietet.

Und dann ist er da, der große Moment: Blau, schön und in Gesellschaft eines XXL-Kartons, einst die Heimat eines Flachbildfernsehers in Kino-Format, wartet meine erste Mülltonne! Ordentlich steht sie da, die Griffe zur Straße gerichtet. „Das ist vorbildlich“, erklärt Denny, denn einerseits erleichtert der entsprechend ausgerichtete Kübel dem „Lader“ die Arbeit und andererseits signalisieren die Griffe in Richtung der Straße dem Fahrer, dass eine Tonne seiner Beachtung bedarf. „Ist der Kübel leer, stellen wir ihn quer zur Straße“, erklärt Denny. „Aha“, denke ich und bin mir schlagartig sicher, einen Nutzen für Sie, liebe Leser, gefunden zu haben: Statt nämlich im Nachtgewand auf die Straße zu gehen, um zu schauen, ob die Mülltonnen leer sind, reicht ein Blick aus dem Fenster: Griffe zur Straße – Mülltonne voll, Griffe zum Gehweg – Mülltonne leer. Manchmal ist das Leben ganz einfach.

Wo wir eben dabei sind, über einfache Dinge zu sprechen: Es ist verflixt kompliziert, einen vollen Müllkübel passend vor die Aufnahmeeinrichtung des Fahrzeugs zu manövrieren. Bei meinem ersten Anlauf lächelt die automatische Hubvorrichtung nur milde, bewegt sich aber keinen Zentimeter. Beim zweiten Mal geht es besser; die Zähne des Hebers fassen unter den Rand der Tonne, die Automatik setzt ein. Der Kübel bewegt sich und – bleibt wie magisch in der Luft stehen. In meiner Begeisterung hatte ich die Tonne schräg angesetzt. Denny lächelt: Auch als Müllwerker ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Jetzt packt mich der Ehrgeiz! „Komm her, Tonne“, denke ich und plötzlich geht es wie am Schnürchen: Runter vom Bordstein! Ran an den Heber! Hoch! Rumms! Runter! Es ist eine Freude. Auch Denny ist begeistert: „Mensch“, sagt er, „an dir ist ein Lader verloren gegangen.“ Um den fehlenden Führerschein müsse ich mir keine Sorgen machen. Naturtalente unterstütze das Unternehmen bei der Bemühung, den Lappen zu machen. Jetzt bin ich stolz wie Oskar.

420 Müllkübel später stehen wir vor einem Kindergarten: Wohin ich sehe, winkende Händchen und strahlende Augen. Es gibt einfach Dinge, die ändern sich nicht, und plötzlich bin ich mir sicher: Irgendwo in der Zwergenschar steckt ein kleiner Junge, der den Mann auf dem Trittbrett unheimlich toll findet. So entstehen Kinderträume: „Nein“, denke ich, „Müllmänner, die leben ewig.“

 

Am Dienstag, 11. August, geht die Serie weiter. Dann schlüpft ein Reporter in die Rolle eines Kellners.