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Streitatlas Zanken wie die Kesselflicker

Die Westaltmärker sind echte Streithammel, zumindest im Vergleich zu den Nachbarkreisen. So steht es im neuen Streitatlas.

Von Alexander Rekow 15.12.2019, 03:00

Salzwedel/Gardelegen l Ein Knallerbsenstrauch im Maschendrahtzaun – damals ein Unding für Zaunbesitzerin Regina Zindler im Vogtlandkreis, die sich darüber in einer Fernseh-Gerichtsshow echauffierte. TV-Witzbold und Musikproduzent Stefan Raab machte daraus im Jahr 1999 kurzerhand einen Charterfolg – gewissermaßen der Soundtrack zum Nachbarschaftsstreit.

Fälle wie dieser sind keine Seltenheit. Streiten scheint den Deutschen zu liegen. Zumindest, wenn man den Zahlen des Streitatlasses einer namhaften Versicherung Glauben schenken darf. Daraus geht nämlich hervor, dass im Jahr 2018 ein Viertel der Deutschen in Zankereien verwickelt war. Bei jedem Zehnten betrug der Streitwert mehr als 10 000 Euro. Obendrein dauerten die gerichtlichen Auseinandersetzungen mehr als ein Jahr. Und: Männer waren streitlustiger.

Streithauptstadt ist mit 29,3 Streitfällen auf 100 Einwohner übrigens Berlin, gefolgt von 28,8 juristischen Auseinandersetzungen in Hamburg. Harmonischer geht es mit 21,3 Streitfällen in Bayern zu; der Tiefstwert aller Bundesländer.

Wer nun aber glaubt, nur in den Metropolen wird sich angefeindet: weit gefehlt! Auch die Westaltmärker können zanken wie die Kesselflicker. Mit 25,7 Streitfällen auf 100 Einwohner rangiert der Altmarkkreis Salzwedel sogar über dem Bundesdurchschnitt von rund 24,7 Meinungsverschiedenheiten. Und bricht man es noch auf die Nachbarkreise herunter, sind die Westaltmärker sogar die Streithammel der Region. Denn im Landkreis Stendal (21,5), Börde (23,9), Uelzen (21,2), Lüchow-Dannenberg (22,1) oder Gifhorn (21,8) wählen die Einwohner wesentlich seltener den Klageweg.

Auch die Gründe führt der Streitatlas auf. In erster Linie geht es in der westlichen Altmark mit 34,2 Prozent um Privatangelegenheiten, gefolgt von Zwist im Verkehr (31,2) und arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen (15,2).

Wer sich auf einen Zwist einlässt, sollte allerdings eines in jedem Fall mitbringen: Zeit! Denn fast die Hälfte aller Auseinandersetzungen, nämlich 49,8 Prozent, dauern länger als ein Jahr.

Doch was genau bringt die Westaltmärker derart auf die Palme, dass Gerichte urteilen müssen? „Im Zivilbereich spielen Mietsachen, unabhängig von der Höhe des Streitwerts, eine gewisse Rolle“, verrät Landgerichtssprecher Michael Steenbuck vom Landgericht in Stendal und gewährt einen Einblick. Auch offene Rechnungen von Versandhäusern landen in aller Unregelmäßigkeit auf seinem oder dem Tisch eines Kollegen, und natürlich Nachbarschaftsstreitigkeiten – Stichwort Maschendrahtzaun.

„Ein großer, aber von der Öffentlichkeit vollkommen unbeachteter Bereich, ist die sogenannte Freiwillige Gerichtsbarkeit“, erklärt Steenbuck. Dazu gehören beispielsweise Familiensachen, Erbscheine oder Grundbuchangelegenheiten.

„Am Landgericht geht es bei Zivilsachen generell um Beträge über 5000 Euro, häufig um Verkehrsunfälle (Sach- und Personenschäden), Erbfälle (unter anderen um den Pflichtteil), Bausachen oder Arzthaftung“.

Einen Schwerpunkt an Delikten kann Rechtsanwalt Carsten Meyer aus Salzwedel übrigens nicht feststellen: „Die Themen halten sich bei mir etwa in Waage.“ Es gebe aber zwei Themenbereiche – wenn es zwischen Bürger und Behörde geht – die wesentlich seien: „Hierzu zählen zum einen Streitigkeiten im Rahmen der Beantragung von teilweiser oder vollständiger Erwerbsminderungsrente und zum anderen Streitigkeiten im Rahmen der Bewilligung von Arbeitslosengeld II, sprich Hartz IV“, so der Verteidiger aus Salzwedel.

Im Gardelegener Amtsgericht macht laut Gerichtsdirektor Ralf Eickelkamp zum Beispiel auch der Internethandel einen großen Teil der zivilen Fälle aus. Dabei geht es nicht um die strafrechtliche Seite, wenn Betrüger zum Beispiel Waren, die sie gar nicht besitzen, im Internet verkaufen und kassieren, sondern um die Forderungen der Geschädigten, Käufer aber auch Händler, die ihr Geld zurück haben wollen.

Typische Mietrechtsfälle seien zum Beispiel Räumungsklagen, wenn die Miete lange nicht gezahlt wurde, erzählt Eickelkamp. Auch unbezahlte Stromrechnungen landen häufig auf dem Richtertisch. „Wenn die Leute schon kein Geld für die Miete haben, zahlen sie ihren Strom oft auch nicht.“ Mietminderungen wegen des Zustandes der Wohnung seien für die Altmärker eher selten ein Grund zu klagen. Recht häufig liegen auf dem Richtertisch von Eickelkamp und seinen Kollegen dafür Entschädigungsansprüche nach Verkehrsunfällen.

Aber sind die Westaltmärker nun wirklich streitbarer als ihre Nachbarn? Zur Beruhigung aller Bürger kann Ralf Eickelkamp das nicht bestätigen. „Die Zahlen sind auch nicht gestiegen“, versichert er.